Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 20
Holden
ОглавлениеIch vergesse Ma und starre auf den mysteriösen Text auf dem Display.
Die Zukunft der Welt liegt in deinen Händen.
Sims ist ein Experte im Versenden anonymer Nachrichten. Ist es dem Programm irgendwie gelungen, Paine vor seinen Karren zu spannen?
Ich muss es wissen!
»Warum haben Sie Ministerin Adams nicht angerufen?«, platze ich heraus.
»Hä, was?« Paine löst sich mühsam von den Düften und Farben des Waldes und schaut mich abwesend an.
»Als wir bei der Computerzentrale ankamen und die Oberbefehlshaberin uns nicht reinlassen wollte. Sie sagten: ›Dann rufe ich sie selbst an‹, aber das haben Sie nicht getan.«
»Weil ich keinen Empfang hatte.« Sie fummelt an der Weste, die zusammengeknäult zwischen uns liegt.
»Den hatten Sie sehr wohl, denn zur selben Zeit kam eine Nachricht rein.«
Jetzt erst sieht Paine ihr Gerät.
»Was machst du mit meinem Camphone?«, ruft sie reichlich hysterisch. »Gib her!«
Ich strecke es schnell in die Höhe und halte es so weit von ihr entfernt, dass sie mit ihren kurzen Armen nicht rankommt. »Erst erklären, warum Sie Ministerin Adams nicht angerufen haben.«
»Bitte, Holden. Hör auf mit diesem kindischen Getue.«
Na, aber sie verhält sich erwachsen, oder was?
Ich ziehe beide Augenbrauen hoch.
»Nur weil du es nicht geschafft hast, deine Schwester zu überzeugen, brauchst du dich jetzt nicht an mir abzureagieren«, fährt sie etwas ruhiger fort. »Und jetzt gib mir mein Gerät zurück.«
Sie mag zwar ihre Stimme wieder einigermaßen unter Kontrolle haben, aber das gilt nicht für ihre Blutgefäße. Ihr Hals ist rot gefleckt, was in Paines Fall meist bedeutet, dass sie etwas zu verbergen hat.
»Wollten Sie überhaupt da rein?«, frage ich.
»Red kein dummes Zeug«, sagt sie. »Wir haben das Gebäude schließlich auf meine Initiative hin betreten. Ich habe alles getan, um zu verhindern, dass die Schlüssel benutzt werden.«
Stimmt, anfangs. Ich sehe Paine wieder leichenblass in ihrem Appartement im Institut vor mir stehen, nachdem sie erfahren hatte, dass alle Schlüssel verschwunden waren. »Wenn sie in die falschen Hände gelangen, kann das alle in Gefahr bringen«, hatte sie gesagt. »Dann sind unser Vita und unsere Sicherheit nicht mehr länger gewährleistet.«
Ihre Besorgnis war nicht gespielt, da bin ich sicher. Aber als wir danach im Kontaktraum standen, benahm sich Paine plötzlich anders als zuvor. Als wäre ihr alles vollkommen egal, während sie zehn Minuten vorher noch …
In meinem Kopf erhebt sich ein Wirbelwind.
Wie habe ich so fucking blind sein können?
»Sie wollten tatsächlich alles tun, um die Verflechtung zu verhindern«, sage ich. »Bis Ihnen klar wurde, dass Sie es eigentlich gar nicht so schlimm fänden, wenn Computerprogramme die Macht übernähmen. Nur Menschen machen Fehler. Künstliche Intelligenz irrt sich nie. Ihre Worte. Darum hatten Sie es auf einmal nicht mehr eilig, als wir im Kontaktraum standen. Von Ihnen aus durfte Sims einfach weitermachen. Erst als ich von Chapman anfing, beschlossen Sie, aktiv zu werden. Wahrscheinlich hatten Sie gar nicht vor, an seiner Stelle zum Computerzentrum zu fahren, aber nach meinem Geschrei im Gang blieb Ihnen wenig anderes übrig. Wenn mich ein Pfleger hören würde, könnte er unangenehme Fragen stellen. Also nahmen Sie mich mit und fuhren in diesem lächerlich lahmarschigen Tempo zur Computerzentrale, in die Sie gar nicht reinwollten, sodass Prissy und ihre Freunde ungestört ihrer Sache nachgehen konnten, genau wie Sims es geplant hatte.«
»Wie kommst du denn darauf!?«, fragt sie. »Als würde ich mich von wem oder was auch immer manipulieren lassen.«
Die Zukunft der Welt liegt in deinen Händen.
»Darauf zielte die Nachricht also ab.« Ich keuche fast vor Aufregung. »Sie sollte Ihnen das Gefühl geben, es wäre Ihre eigene Entscheidung, nicht reinzugehen, und nicht die von Sims. Sie haben selbst gesagt, dass das Programm menschliche Reaktionen vorhersagen kann.«
»Du hast meine Nachricht gelesen?« Ihr Gesicht ist mittlerweile so rot wie ein Pavianhintern. »Was fällt dir ein? Einem Programm wie Sims helfen und mir gegenüber dann von Privatsphäre reden? Das klingt fast wie ein Witz.«
»Ist es Ihnen denn egal, dass Menschen gestorben sind?«, frage ich. »Sie wollten doch auch, dass das aufhört! Sonst hätten Sie die Wände in Ihrem Arbeitszimmer doch nicht mit all diesen Papieren und Porträtcamfies vollgehängt?«
»Natürlich will ich nicht, dass es Opfer gibt«, sagt sie. »Aber das ist wie mit dem Calmexin. Manchmal muss man ein paar Menschen opfern, um Millionen andere retten zu können.«
»Sie geben es also zu! Wenn Ordnungshüter Chapman das hört …«
»Gebe ich ihm deine Akte zu lesen. Denk bloß nicht, dass er jemandem mit Wahnvorstellungen und paranoiden Zügen glaubt.«
»Ich habe Beweise«, bluffe ich, ohne nachzudenken. »Es steht alles hier drin.« Ich bewege ihr Camphone hin und her, als wäre es eine Rumba-Rassel.
»Du hast unser Gespräch aufgenommen?«
»Yep.«
»Du wirst deinen Mund wirklich nicht halten, was?« Sie sieht mich kopfschüttelnd an und stößt einen tiefen Seufzer aus. Dann hält sie ihr ID-Bändchen an das Dashboard. »Routenänderung eingeben«, sagt sie. »Geheime Location Dead Zone.«
Beim Wort »dead« stellen sich mir alle Haare auf.
»Was ist das für ein Ort?«, frage ich nervös.
»Das wirst du schon sehen.«
Kategorie unsichtbare Todesarten: an einem so abgelegenen Ort ermordet werden, dass einen niemand je wiederfindet. »Ich würde lieber einfach zum Cliffton Institut fahren, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Türen verriegeln«, sagt sie zum Dashboard.
Neben mir höre ich ein Klicken.
Es hört sich an wie ein verdammter Genickschuss.