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dd) Information des Mandanten über den Akteninhalt
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Die Information des Mandanten über den Inhalt der Akten ist grundsätzlich zulässig. Der Verteidiger ist hierzu nicht nur berechtigt, sondern in aller Regel sogar verpflichtet. Verboten ist ihm lediglich die Herausgabe der Originalakten. Unbedenklich ist eine Überlassung eines vollständigen Aktenduplikats. Die Beschränkung des originären Akteneinsichtsrechts auf den Verteidiger soll nur die Unversehrtheit der Akten garantieren, nämlich deren Vernichtung, Beschädigung, Unterdrückung und Verfälschung verhindern.
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Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der Verteidiger den Beschuldigten auch dann vollumfänglich über den Akteninhalt informieren darf, wenn sich aus ihm das Bevorstehen von Zwangsmaßnahmen, wie die Verhaftung des Mandanten, Durchsuchungen, Beschlagnahmen etc. ergibt. Der BGH ist der Auffassung, dass der Verteidiger derartige Informationen nicht weitergeben darf.[20] In der Lit. folgen ihm bspw. Beulke/Ruhmannseder und Roxin.[21] Beulke/Ruhmannseder begründen ihre Ansicht mit der Stellung des Rechtsanwaltes als „Organ der Rechtspflege“. Diese Organstellung verpflichte den Verteidiger, auch öffentliche Interessen wahrzunehmen. Insoweit komme ihm in dieser Situation eine „Filterfunktion“ gegenüber dem Mandanten zu.[22] Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Die Vorenthaltung von Informationen wäre geeignet, das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger zu zerstören. Der Verteidiger ist auch nicht verpflichtet, eine effektive Strafrechtspflege mit zu gewährleisten. Seine Aufgabe in der Strafrechtspflege besteht einzig und allein in der Wahrnehmung der Beistands-, Schutz- und Kontrollfunktion zugunsten des Beschuldigten. Auch hat die StA durch die Gewährung der Akteneinsicht entschieden, dass die Gefährdung des Untersuchungszweckes gem. § 147 Abs. 2 StPO der Akteneinsicht gerade nicht entgegensteht. Der Verteidiger ist zu einer Kontrolle dieser Entscheidung des StA nicht berufen. Schließlich hat der Verteidiger die weiterzugebenden Informationen auf prozessordnungsgemäße Weise erhalten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum er dieses auf gesetzmäßige Weise erlangte Wissen nicht für die Verteidigung verwerten können soll. § 258 StGB verbietet dem Verteidiger von vornherein nur ein prozessordnungswidriges Verhalten. Hat der Verteidiger sein Wissen in Ausübung seines Rechts auf Akteneinsicht erlangt, gebührt seiner Schutzaufgabe Vorrang vor seiner Zuordnung zur Rechtspflege.[23] Dies ist wohl auch Auffassung des BVerfG. Es hat in seinem Beschluss vom 17. Juni 2006 eine mögliche – versuchte – Strafvereitelung jedenfalls für den Fall angenommen, dass der Verteidiger dem Mandanten über eine bevorstehende Verhaftung informiert und die Kenntnis hiervon unzulässig, bspw. täuschungsbedingt, erlangte.[24]
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Nicht gesehen wird von der Rspr. offensichtlich die Problematik, dass die Wahrheitspflicht des Verteidigers gem. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO selbstverständlich auch gegenüber dem Mandanten gilt. Pfeiffer bspw. will dieses Dilemma dadurch lösen, dass der Verteidiger seinen Mandanten „aus gegebenen Anlass allgemein auf §§ 112 ff. StPO“ hinweisen dürfe.[25] Keinen Rat hat er jedoch dafür parat, was der Verteidiger antworten soll, wenn der Mandant, durch den „allgemeinen“ Hinweis auf die Möglichkeit eines Haftbefehls konkret hellhörig wird und seinen Verteidiger fragt, ob er einen solchen zu befürchten habe. Soll der Anwalt nunmehr seinen Mandanten unter Verstoß gegen § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO in Sicherheit wiegen? Hat der Verteidiger nur die Alternative zwischen einer Bestrafung wegen Parteiverrats oder wegen Strafvereitelung?