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Eine neue Situation

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Angelina war gegangen, kurz darauf erschien die Arztvisite. Dr. Connors, die rechte Hand von Dr. Simon, Dr. Sideropolis, eine junge Ärztin frisch von der Universität, und Schwester Josefa betraten Jeffs Zimmer.

„Wie geht es uns heute Morgen, hast du Fieber oder Schmerzen?“, fragte Dr. Connors.

Dr. Sideropolis blieb mit Jeffs Unterlagen im Hintergrund.

„Nein, Fieber hab ich keins“, antwortete Jeff. Die Krankenschwester nickte. Sie hatte am frühen Morgen die Temperatur gemessen. „Aber ich spüre immer wieder diese Schmerzen.“

„Gegen die Schmerzen wird dir Schwester Josefa etwas geben. Am Nachmittag sehe ich mir deinen Verband sehr genau an. Wir wollen, dass die Heilung gut verläuft.“

„Doktor!“, rief Jeff, als der Arzt schon an der Tür stand.

„Ja?“

„Ich wollte Sie nur fragen … was haben Sie mit meinem amputierten Fuß gemacht?“

Dr. Connors erschienen große Runzeln auf der Stirn.

„Ich möchte ihn noch einmal sehen“, erklärte Jeff.

„Wie bitte? Ich versteh nicht ganz.“

„Ich möchte meinen abgeschnittenen Fuß noch einmal sehen. Sie haben ihn doch nicht schon weggeworfen, oder?“, fragte Jeff aufgeregt.

„Nein“, antwortete Dr. Conners verlegen. „Er befindet sich in einem unserer Kühlschränke. Dort ist er gut aufgehoben.“

„Ich will ihn haben“, sagte Jeff auf einmal. „Ich möchte ihn bei uns im Garten begraben. Er ist ein Teil von mir und ich will immer wissen, wo er sich befindet.“

„Hm, das wird wohl ein bisschen dauern“, sagte Dr. Connors. „Schwester Josefa wird sich gegebenenfalls kümmern.“

Die Herausgabe von amputierten Gliedmaßen war nicht gerade erwünscht, aber legal und prinzipiell möglich. Auch war die private Einäscherung oder Beerdigung von amputierten Gliedmaßen erlaubt. Aber die Erledigung der Papiere war ein langwieriger Prozess, den die Ärzte gerne delegierten.

Etwas später am Vormittag wurden für Jeff ein Telefon, sein Handy war beim Unfall kaputt gegangen, und der Fernseher freigeschaltet. Das Telefon stellte er gleich stumm und den Fernseher machte er nach kurzem Herumprobieren wieder aus. Er wollte Ruhe haben. Das eigene Selbstmitleid reichte ihm im Augenblick vollkommen.

Am Nachmittag kam wie angekündigt Dr. Connors und schaute sich Jeffs Operationswunde an. Er war zufrieden und zwei Krankenschwestern versorgten Jeff anhand seiner Anordnungen. Danach war Jeff erneut voll mit Schmerzmitteln und döste vor sich hin. Um siebzehn Uhr holte ihn lautes Klopfen aus dem Schlummer. Die Tür ging auf und sein Bruder trat ein.

„Tag, Jeff“, grüßte er. „Ich hab fast die ganze Mannschaft mitgebracht. Schau mal.“

Hinter Jerry drängten Marco und Frank herein.

„Hallo, Jeff“, sagte Frank. „Ali und Chang können heute nicht kommen, aber sie lassen Grüße ausrichten.“

„Hallo, Jeff“, grüßte endlich auch Marco.

Ihm war anzusehen, wie sehr er darunter litt, seinen Freund in diesem Zustand hier liegen zu sehen.

„So ein Mist“, sagte er betreten. „Wie konnte das nur passieren?“

„Ich weiß auch nicht“, antwortete Jeff. „Ein saublöder Unfall wegen einem saublöden Fahrer.“

„Ich kenn jemanden, der den Busfahrer kennt, der den Bus gefahren hat“, sagte Marco. „Wenn der Idiot nur rechtzeitig gebremst hätte. Ich würde den sofort rausschmeißen!“

„In der Zeitung steht, dass du ein Auto übersehen hast und dagegen gefahren bist“, sagte Frank.

„Ich hab ein Auto übersehen?“, regte sich Jeff auf. „Wer schreibt so einen Schwachsinn? Das Auto schoss los, gerade als ich vorbei wollte. Der Fahrer hat mich übersehen.“

„Das gibt sicher eine Untersuchung“, sagte Frank. „Bestimmt gibt es neben dem Busfahrer auch andere Zeugen.“

„Was hab ich davon? Mein Fuß ist weg und kommt nie mehr zurück“, sagte Jeff resigniert. „Ich kann nicht mehr auf den Mond. Es wäre auch mit gesunden Beinen schwer genug. Und jetzt bin ich ein Krüppel. Sucht euch einen anderen.“

Jerry schaute verlegen.

„Darüber wollten wir auch sprechen, aber erst später“, sagte er unbedacht, ohne auf Jeffs Stimmung einzugehen.

„Ihr wolltet mir sagen, dass ich nicht mehr im Team bin?“, fragte Jeff erschrocken – obwohl er genau das erwartete.

„Das Gegenteil ist der Fall, Jeff. Wir zählen auf dich“, teilte ihm Jerry gleich mit.

„Ich bin jetzt aber behindert“, erwiderte Jeff. „Ich werde euch bei allem nur im Wege sein.“

„Mach dir keine Sorgen“, antwortete Frank. „Dein Arzt sagte uns vorher, dass du in zwei oder drei Wochen schon mit der Reha beginnen kannst.“

„Ihr wart bei meinem Arzt?“, fragte Jeff verdutzt.

„Ja klar. Wir müssen doch wissen, wie es um dich steht und wie es weitergeht“, antwortete Jerry.

„Kein Mensch weiß, wie es ausgehen wird“, sagte Jeff ernst. „Auch die Ärzte nicht. Ihr gefährdet Projekt M.“

„Wir stehen zu dir, Jeff“, sagte Jerry. Frank und Marco nickten. „Wir sind uns einig, dass du dabei sein sollst.“

Jeff biss auf die Unterlippe bis sie schmerzte. Damit hatte er nicht gerechnet und seine Augen wurden feucht. Jerry drehte sich unsicher hin und her.

„Dieser Dr. Simon sagte uns auch, dass die Reha etwa drei Monate dauern wird. Und wenn deine Prothese passt, dann kannst du so gut wie alles wieder machen.“

„Lasst uns das Thema wechseln“, bat Jeff. Er fühlte sich auf einmal unwohl. „Mutter wird vielleicht gleich kommen und wir wollen nichts verraten.“

„Jeff, ich hab dir ein neues Handy mitgebracht“, ergriff Marco die Gelegenheit. „Ich erklär´s dir jetzt.“

„Danke“, erwiderte Jeff traurig. „Ich glaub aber, ich werde Ruhe haben wollen …“

Einige Minuten später erschien Angelina in der Tür. Jerry, Marco und Frank beschlossen, zu gehen.

„Das nächste Mal bring ich dir paar interessante Bücher mit“, verabschiedete sich Jerry. „Dann hast du etwas zur Ablenkung.“

„Und lass das Handy an“, bemerkte Marco beim hinausgehen. „Damit ich dir ab und zu eine Nachricht schicken kann.“

Die Tür klappte zu, Angelina setzte sich zu Jeff ans Bett.

„Ich habe Neuigkeiten.“

„Schon wieder Neuigkeiten“, sagte Jeff sarkastisch. „Hoffentlich was Gutes jetzt.“

„Wieso, hatte Jerry etwa schlechte Nachrichten?“

„Nein, überhaupt nicht. Sag schon, was gibt es Neues, so schnell von gestern auf heute.“

Angelina freute sich, Jeff in besserer Verfassung zu sehen, wie sie meinte.

„Ich werde weniger arbeiten“, erzählte sie weiter. „Etwa die Hälfte der Zeit – bis es dir wieder gut geht.“

„Das ist bestimmt nicht nötig, Mutter“, antwortete Jeff.

„Ich habe es im Lehrerkollegium bereits abgestimmt. Wenn du aus dem Gröbsten raus bist, dann kann ich wieder voll einsteigen.“

„Es wird sicher auch so gehen, Mutter“, beharrte Jeff.

„Wir werden etwas weniger Geld haben“, fuhr Angelina fort. „Aber das macht nichts. Ich habe es mit Vater besprochen. Wir verkaufen das Wohnmobil und -“

„Ihr wollt wegen mir alles verkaufen?“, unterbrach sie Jeff. „Das will ich nicht!“

„Wir möchten, dass du eine gute Behandlung bekommst. Und mach dir keine Sorgen. Vater besorgt sicher auch ein kleineres Auto, das dann weniger verbraucht. Und wenn es irgendwie eng werden könnte – deine Großeltern haben uns auch ihre Hilfe angeboten.“

Jeff biss auf die Unterlippe. Das war ihm alles zu viel.

***

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