Читать книгу Blaues Gold - P. D. Tschernya - Страница 24
Aufgaben neu verteilen
ОглавлениеDie häufigen Übungen für seine Rekonvaleszenz zwangen Jeff an manchen Tagen, dem Schulunterricht fern zu bleiben. Marco hatte dann von den Lehrern den Auftrag, ihn mit Unterrichtsmaterial zu versorgen. Die Hausaufgaben wurden dann meistens gemeinsam bei Jeff zu Hause erledigt.
Bald war es auch höchste Zeit für eine neuerliche Zusammenkunft wegen Projekt M. Seit dem Unfall hatte sich die Mannschaft nur zweimal gesehen, beide male ohne Jeff. Trotz der Beteuerung, zu ihm zu halten, machte sich etwas Verunsicherung breit. Es war auch die Frage aufgetaucht, ob der Plan noch zu halten war. Und wenn ja, wie? Der Gesprächsbedarf war groß. Endlich ergab sich eine passende Gelegenheit, am ersten Dienstag im November ein Treffen im Moore Park zu arrangieren.
„Wir können schon mal Fußball spielen, während wir auf Jeff warten“, schlug Jerry vor, nachdem sie versammelt waren. „Er ist noch mit unserer Mutter auf dem Rückweg aus Orlando und wird sich verspäten.“
Heute war ein wichtiger Tag, denn Jeff war im Krankenhaus die provisorische Fußprothese angepasst worden. Das erste Mal seit seinem Unfall würde er wieder auf beiden Beinen stehen können – auch wenn der linke Fuß nicht sein eigener sein würde.
Eine knappe halbe Stunde später fuhr Jeff mit Angelina im Auto vor. Die Jungs brachen ihr Spiel ab, denn sie wollten bei seinen ersten Gehversuchen dabei sein. Jeff saß noch auf dem Beifahrersitz, die Wagentür stand offen. Nun drehte er sich und setzte den gesunden rechten Fuß auf den Boden. Das linke Bein hievte er mit den Armen hinterher. Fast so, als wollte er aus dem Auto hüpfen.
„Warte, ich helfe dir“, bot Ali an, da er direkt an der Autotür stand.
„Nein, danke. Aussteigen kann ich alleine“, sagte Jeff. „Aber halt mir mal die Krücken.“
Ali schnappte die Krücken, Jeff stützte sich mit den Händen am Türrahmen und lüpfte sich mit Kraft hinaus.
„Damit ihr´s wisst, ich hab in der Klinik schon geübt“, erklärte er selbstbewusst.
„Aber hier musst du jetzt aufpassen“, riet Marco. „Das Feld ist ja stellenweise wie ein Kartoffelacker.“
„Ich kenne es“, gab Jeff trocken zurück. „Hab hier ja auch mal Fußball gespielt.“
„Trotzdem“, warnte Marco.
„Ali, die Krücken, bitte. Ich werde euch zeigen, wie gut ich schon gehen kann.“
Jeff machte einige Schritte auf dem Gehweg hin und her.
„Das sieht richtig gut aus“, rief Chang freudig. „Ich wette, du übst schon seit Tagen.“
Jeff blieb vor Chang stehen.
„Mir ist es noch nie besser gegangen als heute, Leute“, sagte er. „Und das verdanke ich euch. Euch allen. Und vor allem Jerry.“
Jerry sah verlegen zur Seite.
„Ist schon gut, Bruderherz“, sagte er fast verlegen. „Dazu sind wir doch alle da.“
„Kann ich euch jetzt alleine lassen?“, rief Angelina aus dem Auto, da sie keiner mehr beachtete.
„Klar, Mutter“, rief Jeff. „Danke fürs Herbringen.“
Angelina fuhr los, das Team war wieder ganz unter sich.
„Wir haben einen Stuhl für dich besorgt, Jeff“, sagte Frank und zeigte über den Platz. „Dort hinten am Baum steht er.“
Sie gingen zusammen hinüber, Jeff versuchte dabei gut über den unebenen Rasen zu kommen. Er nahm auf dem Stuhl Platz und die Jungs verteilten sich vor ihm im Gras.
„Kommst du mit der Prothese klar?“, fragte Chang ernst.
„Ich hab fast keine Schmerzen“, antwortete Jeff. „Lasst uns gleich anfangen.“
„Keine Schonung, Jeff?“, fragte Jerry zur Sicherheit.
„Nein. Wegen mir habt ihr schon genug Zeit vertrödelt.“
„In Ordnung“, sagte Jerry und wandte sich an alle. „Wie ihr wisst, Jungs, stehen wir seit Jeffs Unfall vor einer neuen Situation. Darüber müssen wir heute reden.“
Jerry blickte zu Frank, denn der sollte in der heiklen Situation zunächst an seiner Stelle sprechen.
„Wir haben uns seit deinem Unfall schon paarmal getroffen“, sagte Frank und schaute Jeff an.
„Das hab ich mitgekriegt“, erwiderte Jeff.
„Wir haben uns gefragt, ob wir das Unternehmen nicht abblasen sollten“, fuhr Frank fort. „Dann haben wir auch überlegt, ob wir Projekt M ohne dich stemmen können, oder ob wir einen Ersatzmann suchen sollten.“
Frank machte eine Pause.
„Wir haben uns Zeit zum Nachdenken gelassen. Beim letzten Mal haben wir dann abgestimmt. Das Ergebnis war eindeutig – viermal war `Mit Jeff dabei´ angekreuzt.“
„Viermal?“, wunderte sich Jeff. „Ihr seid doch aber fünf.“
„Leider wurde ein leerer Zettel abgegeben. Da gibt es jemand, der so gar keinen Ehrgeiz hat, auf den Mond zu kommen“, sagte Jerry mit einem Blick zu Marco.
„Das stimmt gar nicht“, wehrte der sich gleich. „Ihr habt mir nur nicht genug Zeit gelassen, um für mich eine klare Entscheidung zu treffen.“
Jeff schmunzelte. Das war typisch Marco. Für manche Entscheidungen brauchte er eine Ewigkeit.
„Wie dem auch sei“, fuhr Frank fort. „Wir ziehen das Projekt mit dir durch. So viel ich weiß, bist du auch der Vater der ganzen Idee.“
„Das stimmt“, sagte Jeff erfreut und erinnerte sich an die Anfänge. „Ich musste Jerry fast überreden.“
„Aber nicht allzu lange“, schmunzelte nun Jerry.
„Die Aufgaben müssen wir dann gar nicht neu verteilen, oder?“, fragte Ali.
„Alles kann im Großen und Ganzen beim Alten bleiben“, sagte Jerry. „So wie wir es bereits besprochen haben.“
„Um auf den Mond zu kommen, brauchen wir mehr Kopf als Fuß“, sagte Frank und schaute zu Jeff. „In der Schwerelosigkeit wirst du sowieso keinen Nachteil haben.“
„Da hast du vielleicht Recht“, antwortete Jeff und wunderte sich, dass ihm der Gedanke nicht selbst gekommen war.
„Wir müssen aber entscheiden, wer auf dem Mond landet und wer oben im Mutterschiff bleibt“, sagte Chang. „Die Landeeinheit hat ja nur für vier Leute Platz.“
„Das wäre auch ein Punkt für heute“, ergriff Jerry das Wort. „Ich will darüber keine großen Diskussionen und habe bereits beschlossen, dass ich oben bleibe. Ich werde im Mutterschiff alle Manöver und auch die Landung koordinieren.“
„Du verzichtest von vornherein freiwillig?“, wunderte sich Jeff.
„Ja“, antwortete Jerry trocken. „Möchte mir jemand im Mutterschiff Gesellschaft leisten? Dann hätten wir den Punkt gleich geklärt.“
Jerry schaute sie nacheinander an, aber keiner meldete sich.
„Das heißt, ihr wollt alle auf den Mond. Kann ich verstehen. Aber der Plan sieht folgendes vor: Frank muss auf jeden Fall mit, denn er ist für die medizinische Betreuung zuständig und ein Älterer muss dabei sein. Jeff steuert die Mondeinheit bei der Landung und -“
„Jeff?“, unterbrach ihn Chang hastig. „Ich dachte, jemand anders würde das übernehmen.“
„Glaubst du, weil mir ein Fuß fehlt, bin ich dazu nicht in der Lage?“, fragte Jeff unwirsch.
„So habe ich es nicht gemeint“, verteidigte sich Chang.
„So ist es aber angekommen“, ärgerte sich Jeff. „Ich habe jetzt einiges vor mir. Aber ich werde lernen, mit der Prothese so zu leben, als wäre sie ein Teil von mir.“
„Jeff, reg dich nicht auf“, ging Frank dazwischen. „In unserem Vertrag steht, dass wir über alles offen und in Ruhe reden können. Okay?“
„Ich muss auf den Mond, Leute“, sagte Jeff plötzlich geknickt. „Das ist alles, wofür ich jetzt noch lebe.“
Überrascht schauten sie ihn an. Doch keiner sagte etwas.
„Ich kann gerne mit Jerry oben bleiben“, sagte Marco. Er fühlte sich wie immer bei Auseinandersetzungen unwohl und wollte die Situation beenden.
„Nein, Marco“, sagte Jerry entschlossen. „Du wirst auf den Mond fliegen. Aber nicht wegen Jeff, sondern wegen mir. Ich brauche in der Kapsel jemand, auf den ich mich voll und ganz verlassen kann.“
Das saß. Jerry konnte manchmal sehr direkt sein. Er wandte sich nun an Ali und Chang.
„Einer von euch beiden wird zusammen mit mir auf das Mutterschiff aufpassen. Zuerst will ich dich bitten, Chang, mit mir oben zu bleiben.“
„Mich?“ Chang presste die Lippen aufeinander. So nahe am Mond, zum Greifen nah, und dann nicht runter können? „Ali kann das genauso gut wie ich. Wir können auch losen.“
„Ali ist für die Raumanzüge und die ganze Dokumentation auf dem Mond zuständig. Und wie ich bisher sehe, bist du ziemlich ausgeglichen, vernünftig und vor allem bist du sehr schnell beim Lernen.“ Jerry verteilte Zuckerbrot und Peitsche. „Deshalb will ich dich im Mutterschiff haben.“
Chang starrte vor sich hin.
„Damit hab ich nicht gerechnet“, sagte er. Die Enttäuschung war ihm anzusehen. „Lass mir etwas Bedenkzeit.“
„Die kannst du haben. Aber steig jetzt nicht aus“, sagte Jerry. „Wir brauchen dich. Hier auf der Erde und später auch oben im Weltall.“
Dann sprang Jerry überraschend auf.
„Los, lasst uns endlich Fußball spielen.“
Jeff blieb sitzen und schaute ihnen mit etwas Wehmut zu. Nach ein paar Minuten gab es einen Handelfmeter und das Team lud ihn zum Mitmachen ein.
„Du kannst zwar noch nicht rennen wie ein Wiesel, Jeff“, sagte Frank außer Atem. „Aber den Elfmeter, den kannst du jetzt für mich versenken.“
„Meinst du das wirklich ernst?“, fragte Jeff ungläubig.
„Klar meint er das ernst“, rief Ali. „Stell dich hin und hau einfach drauf. So wie immer.“
Jeff ging auf seine Krücken gestützt langsam zum Elfmeterpunkt. Lange sah er den Ball an.
`Wie oft hab ich einen Elfmeter geschossen?´, überlegte er.
Bis vor wenigen Wochen hätte er nicht im Traum daran gedacht, so etwas Banales zählen zu wollen.
`Bestimmt hab ich schon hunderte Elfmeter geschossen.´
Ab heute würde er sich jeden Elfmeterschuss gewiss merken. Selbst überrascht ließ er seine rechte Krücke los und trat mit Wucht gegen den Ball, der an Jerry vorbei in die linke obere Ecke flog.
„Richtig gut, für einen Schuss aus dem Stand“, sagte Ali anerkennend.
„Anlauf nehmen kann ich noch nicht“, erwiderte Jeff wie zur Entschuldigung. „Aber das werde ich auch wieder lernen.“
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