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Marco referiert

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Zum Jahresende war das Wetter mies und bescherte nur schlechte Laune. `Weiße Weihnachten´ erwartete in Florida sowieso niemand. Aber dafür sollte es wenigstens angenehmen Sonnenschein geben. Stattdessen war über die anstrengenden Feiertage der Himmel oft bewölkt, an einigen Tagen schüttete es wie aus Eimern. Und im Januar ging es mit dem Regenwetter weiter. Daher beschloss Jeff, das überfällige Treffen für Marcos Referat auf seinem Zimmer abzuhalten. Durch seinen Unfall war die gesamte Planung durcheinander geraten. Am ersten Samstag des Jahres würden sie sogar Ruhe haben, da seine Eltern mit Mel die Großeltern besuchen wollten.

„Gutes Neues“, begrüßte Jerry unten am Hauseingang Chang.

„Auch ein gutes Neues“, antwortete Jerry. „Heute bist du aber etwas spät dran.“

„Ich weiß. Aber ich musste noch zu Hause aushelfen.“

Zügig gingen beide nach oben, wo sie von den anderen empfangen wurden.

„Gutes Neues, Leute“, wiederholte Chang fröhlich. „Und wie geht es dir, Jeff?“

„Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann sicher gut“, antwortete Jeff.

„Du machst ja Scherze“, lachte Chang. „Dann geht´s dir bestimmt prima.“

„Verteilt euch auf die freien Plätze, dann können wir loslegen“, schlug Jerry nach der Begrüßungsrunde vor. „Ist es in Ordnung, Jeff, dass ich heute das Treffen leite?“

Jeff hatte fast vergessen, dass die Frage kommen würde, obwohl sie sich vor einigen Tagen abgesprochen hatten.

„Ist okay, Jerry.“

„Wir treffen uns aus hier bei uns aus mehreren Gründen“, eröffnete Jerry ihre Versammlung. „Zum einen ist schlechtes Wetter, Mel ist nicht zu Hause, und außerdem kann Jeff zurzeit nicht gut laufen. Die neue Prothese kommt erst in zwei Wochen. Es ist eine Spezialanfertigung und bis Weihnachten hat es die Firma nicht geschafft.“

„Ich hab jetzt dreimal die Woche Reha“, erklärte Jeff. „Ich muss viel üben, damit die Muskeln aufgebaut werden. Vater hat mir im Keller den Trainingsraum hergerichtet. Aber die schwerste Übung ist manchmal, überhaupt dorthin zu kommen.“

Jeff schwieg und schaute herab auf sein linkes Bein, das jetzt ohne Prothese über dem Teppich baumelte. Seine Stimmung ließ erahnen, dass er noch etwas sagen musste.

„Ich wollte mich bei euch bedanken“, fuhr er fort und sah jeden an. „Für das Vertrauen das ihr zu mir habt.“

„Es wird gewiss gut gehen“, ergriff Chang das Wort. „Frank hat uns über Amputationen, Prothesen und wie es dann weiter gehen kann einiges erzählt.“

Frank nickte zustimmend.

„Es gibt doch so tolle Wunderprothesen“, sagte Ali und schaute zu Frank. „Wie hießen die noch mal?“

„Du meinst bestimmt die bionischen Prothesen“, sagte Frank.

„Genau die“, fuhr Ali fort. „Die sind gedankengesteuert und aus coolen Werkstoffen wie Titan und so. Bestimmt kriegst du eine Superanfertigung.“

„Vater ist auch in Kontakt mit Spezialisten vom MIT“, sagte Jerry. „Aber Jeff will das Thema erst angehen, wenn wir wieder vom Mond zurück sind.“

„Echt?“, wunderte sich Ali. „Warum nicht gleich?“

„Das würde zu viel Zeit kosten“, sagte Jeff. „Mir reicht vorläufig eine ganz normale Prothese.“

„Aber heute wollten wir auch wieder in Projekt M einsteigen?“, sagte Jerry, um das Augenmerk auf ihr Anliegen zu lenken. „Stimmt´s, Marco?“

„Äh, ja.“ Marco war etwas nervös. „Ich hab was vorbereitet.“

„Und wie ist dein Thema?“, fragte Jerry, obwohl er es kannte.

„Ähm, ganz allgemein `Leben im All´“, las Marco ab. „Mit den Schwerpunkten `Hygiene´ und `Körperpflege´.“

„Dann leg los, wir sind gespannt“, forderte ihn Jerry auf.

Marco fühlte sich nicht wohl, obwohl er schon viermal mit Jeff geübt hatte.

„Also, ähm“, räusperte er sich. „Jeden Morgen so um sechs werden wir geweckt. Das heißt zunächst raus aus dem Schlafsack, besser gesagt aus dem Schwebesack, sich die Astroklamotten anziehen und waschen.“

„Ist das nicht eher umgekehrt, zuerst waschen und dann anziehen?“, bemerkte Ali.

„Ist doch egal. Meinetwegen umgekehrt. Hauptsache der Astronaut mieft nicht.“

Marco war sauer, weil er gleich zu Beginn unterbrochen wurde. Ali war ihm sowieso immer zu vorlaut. Und da Marco nicht gleich weiter redete, ergriff Jeff die Gelegenheit für eine Frage.

„Hier bei uns sagen wir Astronaut. Wusstet ihr, dass man in der Heimat unseres Vaters `Kosmonaut´ sagt?“

„Du meinst in Russland?“, fragte Chang.

„In Russland. Wo denn sonst?“

„Und bei mir zu Hause in China sagen wir `Taikonaut´“, verkündete Chang.

„Wieso sagst du `bei mir zu Hause in China´?“, staunte Ali. „Bist nicht hier in Florida geboren wie wir alle?“

„Klar bin ich hier geboren“, antwortete Chang. „Aber meine Eltern und Großeltern träumen noch oft vom alten China. Sie reden dann immer von `zu Hause´.“

„Dürfte ich jetzt vielleicht weitermachen?“, fragte Marco ungehalten. „So werde ich ja nie fertig.“

„Marco hat recht“, sagte Jerry. „Lasst ihn zu Ende sprechen. Danach können wir noch andere Themen aufgreifen.“

„Danke, Jerry“, sagte Marco. „Also, jeder wird seine eigene Zahnbürste haben, so wie auf der Erde. Aber statt Zahnpasta gibt es Tabletten.“

„Tabletten zum Zähneputzen?“, wunderte sich Ali. „Davon hab ich noch nie gehört.“

„Ist aber so“, fuhr Marco ungerührt fort. „Gerade im Weltall ist das der letzte Schrei. Wegen der Müllvermeidung. Wohl auch nie was von der `Zero Waste´ Bewegung mitgekriegt?“

Ali wollte schon antworten, aber Frank legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Lass ihn doch ausreden.“

„Danke, Frank“, nahm Marco den Faden wieder auf. „Also, du zerkaust die Tablette, drückst etwas Wasser auf die Zahnbürste, gerade so viel, dass die Borsten feucht sind -“

„So wenig Wasser?“, fragte Ali erstaunt.

„Ja, Mann. Weil Wasser ist das Kostbarste im All“, antwortete Marco. „Und dann schrubbst du dir ganz normal die Beißerchen. Dabei entsteht nämlich Schaum.“

„Und wie wird man das Zeug wieder los?“, fragte Chang neugierig. „Fenster aufreißen und in den Himmelsgarten spucken geht schlecht.“

„Überhaupt nichts spuckst du aus“, antwortete Marco. „Wenn du fertig bist, dann schluckst du alles runter. Ist ja nur Wasser mit Schaum.“

„Runterschlucken? Das ist ein Scherz, oder?“, fragte Frank.

„So wird´s aber gemacht. Das ist schon dein halbes Frühstück. Weil, diese Putztabletten gibt es in verschiedenen Geschmäckern“, sagte Marco und grinste zufrieden. „Dann wäschst du die Bürste. Wenig Wasser drauf wie vorher. Im Tuch abwischen. Fertig.“

„Das fängt ja gut an“, sagte Frank kopfschüttelnd. „Wie ist das mit duschen? Wir sind tagelang unterwegs, müssen Übungen machen und dürften ordentlich schwitzen.“

„An den Mief werden wir uns gewöhnen müssen“, antwortete Marco. „Duschen wie zu Hause geht nicht. Es gibt kein fließendes Wasser. Auch muss jeder vor Abflug zum Frisör, damit die Matte möglichst kurz ist. Lange Haare stehen im Weltall zu Berge und sind nur Frauen vorbehalten. Und ihr seid wohl keine Mädchen.“

„Du kannst ja auch witzig, Marco“, lachte Jerry. „So kenn ich dich gar nicht.“

Jerrys Bemerkung tat Marco gut. Er fühlte sich auf einmal wohl in der Rolle als Referent, von Lampenfieber keine Spur.

„Wie ist es dann mit dem Waschen?“, hakte Ali nach.

„Hab ich dazu nichts gesagt?“ Marco war verwirrt. „Haarewaschen geht so einfach wie Zähneputzen. Einige Tropfen Wasser auf die Haare. Ein wenig Shampoo dazu. Alles verreiben und dann den Dreck mit einem Tuch aufwischen.“

„Und das soll reichen?“, fragte Ali. „Ich glaub, ich lass mir eine Glatze schneiden.“

„Und Gesicht waschen und rasieren?“, erkundigte sich Chang.

„Du wirst dich wegen dem bisschen Flaum am Kinn nicht rasieren wollen?“, neckte ihn Ali.

„Ruhe im Publikum oder ich lass den Saal räumen“, ermahnte sie Marco gut gelaunt. „Waschen, egal was, geht nur mit einem feuchten Tuch. Entweder müssen wir etwas Wasser in ein Tuch drücken oder es gibt Feuchttücher an Bord. Auf jeden Fall musst du den Schmutz einfach nur aufrubbeln.“

„Wie soll ich das aushalten?“, jammerte Chang. „Ich dusche zu Hause so gut wie jeden Tag.“

„Gewöhnungssache“, sagte Marco trocken. „Und ihr könnt schon mal hier auf der Erde mit dem üben anfangen. Ich hab ein paar Prototypen gemacht, so ´ne Art Papierwaschlappen. Jetzt bekommt ihr einen zum austesten von mir.“

„Aber der ist ja fast trocken“, erschrak Ali, als ihm Marco eines seiner Exemplare in die Hand drückte.

„Irgendwie wird im All immer mit Wasser gespart. Merk dir das einfach“, sagte Marco ungerührt. „Im Übrigen werden die Tücher einfach in der Kapsel aufgehängt und trocknen dann von alleine.“

„Das ist nicht gerade hygienisch“, sagte Frank. „Gibt es nicht Beutel für schmutzige Wäsche?“

„Oder gleich über Bord mit dem Zeug“, meinte Ali.

„Hm“, machte Marco und wurde leicht rot. „Dazu hab ich keine Infos. Aber ich kann mich noch schlau machen.“

Aus dem Untergeschoss waren plötzlich Geräusche zu hören.

„Ich glaub unsere Leute sind wieder da“, sagte Jeff verärgert. Kurz darauf hörten sie trippelnde Schritte.

„Anscheinend sind unsere Eltern früher als geplant vom Einkauf zurück“, sagte Jerry. „Und das auf der Treppe hört sich ziemlich nach Mel an.“

„Eure Schwester ist echt eine Nervensäge“, sagte Frank. „Zum Glück hat meine Schwester von nichts ´ne Ahnung.“

„Ich danke dir fürs Referat, Marco“, sagte Jerry. „Aber wir müssen für heute Schluss machen.“

Marco strahlte vor Freude. Er hatte die letzten Tage so viel Angst vor dem Referat gehabt. Und jetzt war ihm sein Vortrag so gut gelungen.

***

Blaues Gold

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