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Marco, der beste Freund

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Der Sommer war vorbei, die Schule hatte längst begonnen und der Herbst machte sich mit den ersten Wetterkapriolen bemerkbar. Der Oktober war dieses Jahr ziemlich launig. Nach einer schönen ersten Woche wehte ab Montag ein nasser, oft auch kühler Wind vom Atlantik. So war es auch am Mittwoch, als Marco am Nachmittag mit dem Fahrrad zu Jeff unterwegs war. Er wunderte sich, dass die bleigrauen Wolken das viele Wasser überhaupt noch halten konnten.

`Vielleicht ist das der letzte Hurrikan der Saison, der sich da aufbaut´, dachte Marco. `In jedem Fall wird es hier bald wie aus Kübeln schütten.´

Bis dahin hoffte er bei Jeff zu sein – und schaffte es knapp. Kaum waren sie oben in Jeffs Zimmer, da hämmerten schon die ersten Regentropfen gegen die Fenster.

Marco verspürte wenig Lust auf den Schulstoff der letzten drei Wochen. Schon wieder wollte Jeff alles mit ihm durchkauen. Aber ohne seine Nachhilfe hätte er die letzten beiden Schuljahre gar nicht geschafft. Das war ihm klar.

Jeff war ein unerbittlicher Nachhilfelehrer und sie machten sich gleich an die Arbeit. Nach drei Stunden hatten sie die Hausaufgaben erledigt und sogar einige mühselige Wiederholungen geschafft. Marco schaute sehnsüchtig aus dem Fenster, denn er wollte nach Hause. Vom Himmel fielen nur noch feine, silbern glitzernde Tröpfchen. Ab und zu brachen die Wolken auf und die Sonnenstrahlen ließen die feucht dampfenden Straßen Floridas golden glänzen.

`Das gibt nachher bestimmt einen Regenbogen´, dachte Marco erfreut, stand auf und packte seine Sachen.

„Ich bin heute irgendwie kaputt“, sagte er entschuldigend. „Ich mach mich auf den Heimweg. Bis morgen, in der Schule.“

Jeff fixierte ihn scharf. Er überlegte, ob jetzt eine gute Gelegenheit wäre, um mit Marco über Projekt M zu sprechen. Projekt M, so nannten er und Jerry seit neustem ihren verrückten Plan, zum Mond zu fliegen.

„Warte mal“, sagte er hastig, als Marco fast schon aus dem Zimmer war. „Ich muss mit dir reden.“

Marco drehte sich genervt um.

„Was denn? Doch nicht etwa noch mehr Übungen.“

„Nein. Es hat nichts mit der Schule zu tun. Kannst du dicht halten?“

„Was soll die Frage? Wir sind doch Freunde.“

„Ich meine – ein Geheimnis. Kannst du das für dich behalten?“

„Klar doch. Hast du was ausgefressen?“

„Ja. Nein. Eigentlich nicht“, stammelte Jeff. „Mann, du machst mich völlig nervös.“

Marco wunderte sich. Seit langem hatte er Jeff nicht mehr so verunsichert erlebt. Das letzte Mal war es, als er sich fast in ein Mädchen aus der Parallelklasse verliebt hatte.

„Ich, das heißt ich und Jerry, wir haben da was vor. Und du sollst mitmachen“, brachte es Jeff mühsam heraus. „Du musst einfach dabei sein. Verstehst du? Weil du mein bester Freund bist.“

„Ich versteh kein Wort. Hast du irgendwas genommen?“

„Ich meine es ernst. Wir planen das Ganze schon seit dem Sommer.“

„Seit dem Sommer? Und du hast mir nichts gesagt“, entrüstete sich Marco.

„Konnt ich nicht. Zuerst war es nicht ganz sicher – und jetzt ist es streng geheim. Wir planen etwa seit ich mir im Juli den Knöchel verstaucht habe. Kannst du dich erinnern?“

„Klar kann ich mich erinnern. Jetzt versteh ich auch einiges. Deshalb warst du in letzter Zeit nicht mehr oft bei den Spielen.“

„Ja, manchmal auch deswegen. Aber, interessiert dich nicht worum es geht?“

„Ach so“, sagte Marco. „Ja schon. Um was geht´s denn?“

Jeff holte vor seiner Antwort erst einmal tief Luft.

„Wir wollen zum Mond fliegen …“ Er machte eine Pause. „Und du kommst mit.“

Marco schüttelte ungläubig den Kopf. Er war sich ganz sicher, nicht richtig gehört zu haben.

„Kannst du das noch mal sagen?“

„Ich sagte, dass wir zum Mond fliegen wollen“, wiederholte Jeff. „Und du sollst mit uns kommen.“

„Wahrscheinlich träume ich das nur. Oder ich hab Halluzinationen“, murmelte Marco. „Das wird´s sein. Ich hab zu viel gelernt. Und mein Hirn spielt jetzt verrückt.“

Jeff packte Marco am Arm und zwickte ihn so kräftig, dass der laut „Aua!“ schrie.

„Hast du jetzt kapiert, dass das kein Traum ist?“

„Spinnst du?“, rief Marco empört. „Du hast mir wehgetan.“

„Nur damit du endlich aufwachst. Und über den Plan musst du völlig dicht halten. Zu keinem Menschen darfst du auch nur ein Wort sagen. Ist das klar?“

„Jetzt weiß ich´s genau. Du bist verrückt. Komplett verrückt bist du. Warst du schon beim Arzt?“

„Marco, ich weiß, dass –“

„Oder du willst mich nur verarschen, oder?“, unterbrach ihn Marco beleidigt.

„Ganz bestimmt nicht. Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber es ist machbar. Jerry hat es durchrechnet. Du weißt doch, Vater arbeitet bei der NASA und –“

„Was?“, rief Marco verblüfft. „Dein Dad macht auch mit?“

„Nicht so laut, Mensch. Sonst hört uns noch jemand. Nein, Vater weiß von nichts. Er wird auch nie was erfahren.“

Jeff hielt kurz inne.

„Ich mach dir einen Vorschlag. Wenn du dich beruhigt hast, erklär ich dir alles. Und wenn du mit zum Mond willst, dann –“

„Ich? Zum Mond? Niemals. Was soll ich auch dort.“

„Hast du etwa Angst?“, fragte Jeff herausfordernd.

„Angst? Nee. Aber keine Lust auf so was. So was Verrücktes. Das kann gar nie klappen kann das.“ Marco redete sich in Rage. „Das ist unmöglich. Völlig unmöglich ist das.“

„Nicht so laut“, mahnte Jeff erneut und ging zur Tür, um zu sehen, ob jemand in der Nähe war. „Niemand darf uns hören.“

„Meinst du, bloß weil dein Dad bei der NASA schafft, dann kannst du einfach reinspazieren, eine Rakete schnappen und zum Mond fliegen?“, flüsterte nun Marco. „So mir nichts dir nichts? Weißt du nicht, wie gefährlich das auch ist?“

„Was brüllt ihr hier so rum?“ Mit einem Satz kam Melinda in Jeffs Zimmer gestürzt. „Man kann unten jedes Wort hören. Was soll unmöglich sein? Es gibt nichts auf der Welt, das nicht möglich ist. Sagt unser Mathelehrer immer.“

„Tag, Mel“, grüßte sie Marco spontan. „Weißt du was dein schlauer Bruder sagt? Er will –“

Jeff schaffte es gerade noch mit einem Sprung zu Marco und presste ihm seine Hand auf den Mund.

„Bist du verrückt?“, brüllte er ihn zornig an. „Es sollte unter uns bleiben, auf welches Spiel wir gehen!“

Marco starrte Jeff mit weit aufgerissenen Augen an. So wütend hatte er ihn noch nie erlebt.

„Was für ein Spiel?“, fragte Mel misstrauisch.

Marco war plötzlich klar, dass es Jeff vorher todernst gemeint haben musste. Der bugsierte bereits seine Schwester unwirsch aus dem Zimmer.

„Das nächste Mal klopfst du an, bevor du bei mir reinplatzst! Verstanden? Sonst setzt es was!“

Er gab ihr einen Schubs und knallte die Tür hinter ihr zu.

„Bist du völlig verrückt geworden?“, raunzte er mit rotem Kopf Marco an. Vor Ärger gelang es ihm kaum, die Stimme zu dämpfen. „Ich vertraue dir ein Geheimnis an und du posaunst es eine Minute später vor meiner Schwester aus. Das ist der Wahnsinn! Weißt du nicht, dass die nicht dicht halten kann? Du bist, du bist – oh Mann!“

Jeff war richtig in Rage und schlug mit der Hand gegen seinen Schrank, dass der nur so wackelte. Beinahe wäre ihm der Kragen geplatzt und er hätte Marco angebrüllt:

`Du bist noch viel dämlicher, als ich dachte!´

Seine tiefe Zuneigung hatte ihn gerade noch so davon abgehalten. Er und Marco, sie waren nun mal die besten Freunde. Für Jeff gab es keinen Besseren. Seit er sich erinnern konnte, machten sie fast alles gemeinsam. Das erste Mal waren sie sich wohl in einer Krabbelgruppe begegnet. Ihre Mütter hatten sie hingebracht, denn beide sollen damals für ihr Alter ein `sensorisches Problem´ gehabt haben. So erzählten es jedenfalls die Familien. Später waren sie zusammen im Kindergarten und auch in gleichen Jugendsportgruppen.

`Und doch hat sich jeder von uns ganz anders entwickelt´, ging es jetzt Jeff durch den Kopf. `Wir sind im Grunde so verschieden. Aber trotzdem – oder gerade deswegen? – mag ich ihn und wir verstehen uns sonst so gut.´

In Jeffs Augen stellte sich Marco manchmal so schusselig an, dass es auf keine Kuhhaut ging. Und doch liebte er ihn so innig, als wäre er sein Bruder. Und beinahe wäre es jetzt zu einem echt üblen Streit gekommen. Jeff musste Marco beim Flug dabei haben. Unbedingt. Koste es, was es wolle. Ohne Marco würde er nur halb so viel Spaß haben. Daher sagte er, fast schon ruhig:

„Hör zu. Wir gehen auf unseren Bolzplatz. Dort können wir ungestört reden. Ich pack nur schnell meine Sachen.“

Als sie das Haus verließen, sprang Mel hinter einer Tür hervor und überraschte sie.

„Ich werde noch herauskriegen, was ihr da wieder ausheckt. Da kannst du dich drauf verlassen”, sagte sie zu Jeff.

Jeff drehte sich um und schnauzte sie verärgert an:

„Du wirst gar nichts tun, Schwesterchen! Ich verbiete es dir, dich in meine Sachen einzumischen. Ist das klar?“

„Gar nichts ist klar! Du hast mir nichts zu –“

Jeff knallte die Haustür zu. So hörten sie Mels letzte Worte nicht und sahen auch nicht ihre Grimassen, die sie durch das Fenster schnitt. Sie hatte gewittert, dass Jeff etwas vorhatte. Und als seine Schwester fühlte sie sich in der Pflicht, herauszubekommen, um was es ging.

„Ich wusste gar nicht, dass deine Schwester so biestig sein kann“, rief Marco erstaunt, als sie auf ihre Fahrräder stiegen. „Unglaublich.“

„Ach lass“, entgegnete Jeff mit einer wegwerfenden Geste. „Sie nimmt sich zu wichtig, seit sie Klassensprecherin ist. Dabei ist es purer Zufall, weil der erste Klassensprecher krank ist. Jetzt glaubt sie, dass sie auch zu Hause herumschnüffeln muss.”

Sie fuhren schnurstracks zu ihrem Fußballplatz am Moore Park. Auf dem Weg sprachen sie kein Wort. Jeff hatte den Ball eingepackt, damit sie zunächst etwas kicken konnten. Marco rutschte dann auf einer feuchten Stelle im Rasen aus und sie legten eine Pause ein. Eine Weile saßen sie nur still auf einer hölzernen Bank.

„War das also vorher ernst gemeint?“, fragte Marco nach einer Weile. „Die Sache mit dem Mond?“

„Das war voller Ernst.“

„Hm“, erwiderte Marco. Das war manchmal seine Art, wenn er nachdenken musste. Entweder sagte er nichts oder eben `Hm´.

„Dann ist das ja eine echt ernste Sache“, fügte er noch hinzu, halb bejahend halb fragend, und sah zu Jeff.

„Das ist es wirklich“, erwiderte Jeff.

Er fühlte, dass er jetzt nicht viel reden durfte. Marco musste seine Gedanken ordnen und den Schock verdauen. Und er musste neugierig werden. Er musste anfangen zu fragen. Dann hätte ihn Jeff schon halb gewonnen. Marco würde dann mitmachen und das Geheimnis für sich behalten.

„Aber … wie wollt ihr das anstellen? Das ist doch viel zu kompliziert. Und auch gefährlich.“

Jeff merkte, dass Marco `ihr´ sagte, nicht `wir´. Er sah den Plan also noch nicht als ein gemeinsames Unternehmen an.

„Etwas kompliziert wird es wohl sein. Aber nicht viel gefährlicher, als mit dem Bus zur Schule zu fahren. Weißt du nicht, wie viele Unfälle an allen möglichen Kreuzungen passieren können?“

Jeff merkte gleich, dass das eine gute Frage gewesen war. Denn Marco nahm sich des Themas mit Begeisterung an.

„Natürlich weiß ich das! Ich musste doch erst neulich über die Unfallhäufigkeit in unserer Stadt nachforschen. An der Ecke Taylor und Ridgewood Avenue passierten in den letzten acht Jahren sechzehn schwere Unfälle. An der Ecke der zwölften und dreizehnten im Komponistenviertel sogar einundzwanzig. Und das trotz der Umbauten und einer neuen Ampel, die das verhindern sollte. Und zwischen der Jefferson und Madison Avenue sind die Unfälle erst zurückgegangen, nachdem auf der Orange mehrere Bodenwellen eingebaut waren. Und …“

Wenn Marco anfing über seine geliebte Stadt und ihre Busse zu reden, dann war er kaum noch zu bremsen. Was den Autoverkehr, und vor allem den Busverkehr anging, da war er wie ein wandelndes Lexikon. Über die Buslinien wusste er einfach alles. Kein Wunder, war es doch sein Traum, nach der Schule Busfahrer in Merritt Island zu werden. Und zwar der beste Busfahrer, den die Stadt je gesehen hatte.

***

Blaues Gold

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