Читать книгу Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt - Patrick Karez - Страница 10

5

Оглавление

Wenige Tage noch. Und er würde sein Abschlußzeugnis erhalten. Nach acht Jahren Volks- und Bürgerschule. In Wien Neubau. Doch was dann? Seine Lehrer, die ihn auch im Zeichnen bestärkten, drängten ihn zu einer künstlerischen Karriere. Vor allem sein Zeichenlehrer. Das war in diesen Tagen nichts Außergewöhnliches. Denn Wirtschaftskrise hin. Oder her. Der Bau der Ringstraße. Die doch nun schon einmal begonnen worden war. Vor beinahe zwanzig Jahren schon. Der mußte auch zu Ende geführt werden. Koste es. Was es wolle. Es bestand demnach durchaus Bedarf. Und kein Mangel. An talentierten Künstlern. Im gründerzeitlichen Wien. Der Ringstraßenära. Wirtschaftskrise hin. Oder her.

„Sehr guth!“, der Zeichenlehrer beugte sich über seine Schulter, „Ausgezeichnet!“

Klimt seufzte. Er haßte es. Wenn sich der Lehrer so an ihn heranmachte. Sich anpirschte. Wie ein Tiger. Lautlos. Und von hinten. Doch dessen unablässige Komplimente machten das alles wieder wett. Denn der Lehrer war selbst ein sehr guter Zeichner. Alles, was Gustav diesbezüglich gelernt hatte, wußte er von ihm. Nun. Fast alles. Denn der Vater zeichnete ja ebenfalls sehr gut. Und präzise. Nur war dieser ein wenig pedantisch. Der Zeichenlehrer hingegen. Erklärte besser. Und zwar. Mit Methode. Er brachte es ihm näher. Die verschiedenen Techniken. Schließlich. Gehört eine Schraffur mit System gesetzt. Das hatte er gelernt. Wie bei Dürer. Und die Schatten. Die konnte man auch nicht beliebig über das Bild verteilen. Alles hatte seine Ordnung. Im Bild. Wenn es schon im wahren Leben nicht so war. Zumindest. Im Bild. Gab es ganz feste Regeln. So war es immer schon.

Selbst in der Kunst. Die ja an sich frei ist. Oder es zumindest sein sollte. Gibt es feste Regeln. Und Gesetze. Zumindest damals. Gab es ein System. Und eine Methode. Schließlich war es ja auch ein Handwerk. Wo alles seine Regeln hatte. Und seine Gesetze. Diese waren dem Jungen nicht immer recht. Aber er hielt sich brav daran. Zumindest hier. In der Schule. Denn schließlich hatte er zu diesem Zeitpunkt keine andere Wahl. Noch nicht. Was der Lehrer sagte, gehörte getan. Denn schließlich saß der Lehrer. Stets. Am längeren Hebel. Eines Tages. Da würde er auf all diese Regeln und Gesetze verzichten. Er würde darauf pfeifen. Auf all diesen mühsamen und unnötigen Schnickschnack. Dann würde er nurmehr das tun. Und lassen. Was er wollte. Und nicht das. Was andere ihm sagten. Oder ihm vorschrieben. Oder von ihm erwarteten. Er würde die Kunst befreien. Sie aus ihren Ketten lösen. Sie aus ihrem Gefängnis führen. Der Zeit. Ihre Kunst. Der Kunst. Ihre Freiheit. Doch alles zu seiner Zeit. Alles der Reihe nach. Denn gut Ding. Braucht Weile.

Petit. à. Petit.

L’oiseau. Fait son nid.

(Geäst. Für. Geäst.

Baut der Vogel. Sein Nest.)

(Französisches Sprichwort)

„Sehr schön!“, der Zeichenlehrer riß ihm das Blatt unter den Händen weg und präsentierte es der ganzen Klasse, „Seht ihr? So gehört es gemacht! Sehr guth, Klimt! Sehr guth!“

Der Zeichenlehrer hatte die Tendenz, sich immerfort zu wiederholen. Einerseits war es nervig. Andererseits tat Gustav dieser Zuspruch gut. Daheim bekam er ja keinen. Da bekam er bloß immer nur zu hören, wie faul er doch sei. Faul wie eine Laus. Beziehungsweise. Línej jako veš. Pflegte der Vater stets zu sagen. Der hatte gut reden! Aber das dachte Gustav natürlich nur. Das sagte er nicht. Denn sonst würde es Watschen regnen.

Da rüttelt wer fest. Am Watschenbaum!

Die Frucht wird reif. Man merkt es kaum!

(Und lassest Du das Rütteln nicht.

Legt warm sie sich auf Dein Gesicht.)

(Österreichisches Sprichwort)

Hier in der Schule. War jedoch watschenfreie Zone. Zumindest für ihn. Denn die Lehrer mochten ihn. Er war einer der besten Schüler. Mit Bestnoten. Er war kein Streber. Alles andere als das. Aber es interessierte ihn. Dinge zu lernen. In diesem Punkt. Glaubte er seiner Mutter. Aber er wußte es ja selbst. Er hatte es gesehen. Mit eigenen Augen. Wie weit es mit einem kommen kann. Wenn man bloß einfacher Handwerker ist. Wäre sein Vater Jurist. Oder Ökonom. Also Fabrikdirektor. Oder Bankdirektor. Dann sähe ihr aller Leben mit Sicherheit ganz anders aus. Nein. Da hatte die Mutter recht. Und so lernte er. Und lernte. Damit er es eines Tages besser haben würde. Und die anderen gleich mit. Selbstverständlich. Denn er würde seinen Reichtum mit den anderen teilen. Mit seiner Familie. Einer für alle. Alle für einen. So lief das nun mal. In der Familie. Ist Blut dicker. Als Schlamm. Wenn die Familie nicht funktioniert. Dann funktioniert gar nichts mehr. Das hatte er sich sagen lassen. Und er hatte es zudem bereits früh gelernt. Lernen müssen. Sie hatten daheim zwar nichts zu fressen. Aber sie hielten zusammen. Und sie hatten sich lieb. Außer den gefürchteten Watschen. Regnete es. Viel öfter noch. Kussis. Die gab es fast stündlich. Auch darin war die Mutter unangefochtene Weltmeisterin. Im Verteilen von Bussis. Und so verteilten auch die Geschwister untereinander ihre Busserln. Nach unten hin. Streng nach Altersreihenfolge. Streng nach Hierarchie. Denn im Großen und Ganzen herrschten Liebe und Zusammenhalt in diesem Haus. Das keines war. Bloß ein ödes, dunkles und feuchtes Zimmer. Wo sie in Schichten unter- und über- und nebeneinander schliefen. Hätte es unter ihnen keine Liebe gegeben. So wäre ihr Leben die reinste Hölle gewesen. Aber so, ging alles irgendwie. Auf Brot und eine Villa kann man schließlich verzichten. Ab. Und an. Auf Kussis. Und Liebe. Hingegen nicht.

„Wir streben eine Carrière als Künstler an!“, riß der Zeichenlehrer ihn aus seinen Gedanken, „Nicht wahr, Klimt?“

„Hm. Weiß nicht.“ Gustav zuckte mit den Schultern.

„Warum diese Zier?“

„Der Vater, der Vater.“

„Aha!“, der Lehrer zwirbelte seinen Schnurrbart kunstvoll zwischen Daumen und Zeigefinger, „Nun denn. Dieser ist schon einbestellt. Für zwölf Uhr dreißig.“

„Hierher?“ Gustav sah seinen Lehrer erschrocken an.

„Wohin sonst?“ Der Lehrer sah sich theatralisch um. „Nun beruhige er sich, alles hat seine Ordnung so. Ich möchte dem Vater einen Vorschlag unterbreiten. Eine höhere Zeichenschule. Das wäre es doch, nicht wahr, Klimt?“

„Hm. Weiß nicht.“

„Weiß er überhaupt irgendwas?“

Doch Gustav schwieg. Um Gottes Willen! Der Vater! In der Schule! Niemals und nimmer würde der einer Zeichenkarriere zustimmen! Graveur solle er werden, der Filius, genauso wie der werte Herr Pater! Wie der Vater. So der Sohn. Aber Künstler? Der älteste Sohn auch noch? Der Thronfolger? Der Kronprinz? Wo man doch ohnehin schon nichts zu Fressen hatte daheim? Nein. Das konnte er sich getrost abschminken. Eher würde die Hölle zufrieren!

Und der Vater kam. Vater und Zeichenlehrer zogen sich in die Direktion zurück. Der Filius blieb draußen. Und außen vor. Vernahm er undeutlich das Gemurmel durch die Holztür. Manche Worte vermochte er zur Gänze aufzuschnappen. Doch die Totalität der Unterredung entzog sich sowohl seinem Gehör- als auch seinem Kombinations-Sinn. Jetzt kam er unter der Tür hindurch. Der Pfeifenqualm. Wie bei den Indianern. Dachte er. Hoffentlich war es eine Friedenspfeife. Dann öffnete sich die Tür. Der Vater trat heraus. Er war ein wenig blaß um die Nase. Aber im Großen und Ganzen wirkte er recht beherrscht. Der Zeichenlehrer hingegen versuchte sich spontan als Pantomime und versah den Filius mit einer aufmunternden Geste. Zumindest deutete jener sie. In diese Richtung.

Als sie gemeinsam die Lehranstalt verließen, brach der Vater endlich sein Schweigen.

„Er will, daß du Künstler wirst!“

„Ja, Vater, ich weiß.“

„Bože můj, als ob ich es nicht ohnehin schon schwer genug hätte in diesem … Leben! Was in Dreigottesnamen soll ich nur mit einem Künstlersohn anfangen?“

Der Junge schwieg. Er hatte sich ohnehin keine Chancen ausgerechnet.

„Gustav, du bist der Älteste! Hörst du? Du bist mein ältester Sohn. Wenn ich eines Tages nicht mehr da bin, dann mußt du dich um die Mutter kümmern und deine Geschwister durchfüttern! Verstehst du? Da paßt eine Laufbahn als Künstler so ganz und gar nicht ins Bild. Chápeš to? Verstehst du?“

Gustav nickte.

„Dein Lehrer meint, es gäbe da zur Zeit großen Bedarf an jungen Talenten. Beim Bau der Ringstraße und so. Falls die überhaupt jemals fertig wird, in diesen schwierigen Zeiten! Beim Bau des Ausstellungs-Geländes waren sie ja auch alle aus dem Häuschen! Wie viel Geld uns das doch bringen würde! Eine Welt-Ausstellung! In Wien! Keine drei Jahre ist es her! Du erinnerst dich doch sicher noch daran? Schließlich waren wir ja dort!“

„Aber natürlich erinnere ich mich daran!“

„Ja. Und was hat es gebracht? Nichts! Außer dem völligen Ruin, versteht sich! Die Gäste sind ausgeblieben, die Hotel-Preise waren viel zu hoch – einmal ganz abgesehen davon, daß man, practisch über Nacht, viel zu viele davon gebaut hat. Denk nur einmal an das Métropole, am Donau-Canal – oder an das Impérial – die ganze Ring-Straße ist voll davon! Und dann die Cholera-Epidemie! Die hatte dem Ganzen dann den Rest gegeben. Und die Miß-Ernte! Wie als ob das andere nicht schon schlimm genug gewesen wäre …“

„Ja, ich weiß.“

„Dann der große Börsen-Krach. Der inzwischen schon sprich-wörtliche ‚Schwarze Freitag‘ … Nur eine Woche nach Eröffnung der großen Welt-Ausstellung, am ersten Mai … Dann die Finanz- und Wirtschafts-Crisis! Du weißt, daß wir dabei all unsere Ersparniße verloren haben!?“

„Ja, ich weiß, Vater …“, schließlich hörte er es nun schon zum viertausend-dreihundert-achtundsechzigsten Mal.

„Verstehst du? Uns war es vorher recht guth gegangen, Gustav! Wir hatten uns zwar keine großen Sprünge erlauben können, aber die Welt war noch in Ordnung. Deine Mutter und ich … wir liebten uns. Sehr sogar! Ihr sieben Zwerge … sechs … seid doch der beste Beweis dafür! Weißt du … ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt. Du bist jetzt alt genug. Du bist erwachsen. Bald schon vierzehn Jahre alt. In wenigen Tagen verläßt du die Schule, du bist nun ein Erwachsener. Ein Mann … In deinem Alter – das war nur acht Jahre, nachdem meine Eltern von Drabschitz nach Wien gezogen waren – da hatte ich bereits zu arbeiten begonnen. Im Rahmen meiner Ausbildung zum Graveur, freilich, aber es war Arbeit. Ich arbeitete bereits für meinen Meister – und ich arbeitete nicht wenig, das kann ich dir sagen! Denn der Guthe, Gott hab’ ihn selig, war nicht gerade der fleißigste Meister, den man sich denken kann. Ich habe Steine geschleppt. Und pfund-schwere Metall-Platten. Ich habe dann auch die Gold-Gravur erlernt. Du weißt es doch! Wie ich die Schmuck-Stücke meiner Kunden mit nach Hause nahm, um ihre Namen hineinzugravieren. Und ihre hehren Treue-Schwüre. Zumal in Ringe, also auf die Innen-Seiten, was ja nicht so unbedingt einfach ist, wie du weißt …“

„Ja, ich weiß.“

Der Sohn erinnerte sich tatsächlich. An diese besseren Zeiten. Die so oft heraufbeschworen wurden. Vom Vater. Diese besseren Zeiten. Diese glorreichen. Und goldreichen. Als tatsächlich noch Gold im Hause war. Nicht ihr Gold. Versteht sich. Sondern das der anderen. Aber immerhin. Hatte es ihn immer schon fasziniert. Dieses schwere Metall. Das jedoch auch gleichzeitig sehr weich war. Erstaunlich weich. Ein falscher Hieb. Ein falsches Ansetzten. Und alles war dahin. Wofür sich natürlich einzig und allein der Graveur verantworten mußte. Ein verantwortungsvoller Beruf also. Der eine ruhige und gewissenhafte Hand verlangte. Er erinnerte sich. An diesen warmen Glanz. An dieses Schimmern. Wie jenes. Der aufgehenden Sonne. Einer Sommersonne. Warm. Und strahlend. Gleißend. Und verheißungsvoll. Versprach es Glück. Hoffnung. Und eine gute Ehe. Eine ewige zumal. Bis daß der Tod sie scheide. Denn so war es damals. Noch. Besiegelte das Gold diesen Bund. Fürs Leben. Für die Ewigkeit. War dieses Material gedacht. Bereits bei den alten Ägyptern. Das hatte der Vater ihm gesagt. Es war ein Symbol für die Sonne. Die Wärme. Das Licht. Für Gott. Auch im Mittelalter. Das hatte der Vater ihm gesagt. Hatte Gott ausschließlich auf diese Art und Weise gezeigt werden dürfen. Mittels dieses Materials. Gold. Magisch. Und ewig. Wirkte es sich auch auf den Sohn aus. Es färbte förmlich auf ihn ab. Und er wußte bereits sehr früh. Wie wertvoll es war. Denn diejenigen, die es hatten, die waren wer. Die anderen, die es nicht besaßen, die waren nichts. Und niemand. Ja. Das Gold. Es allein. Schien darüber zu entscheiden. Und darüber zu wachen. Wer es schaffte. Oder eben nicht. Wer es im Leben zu etwas brachte. Oder eben nicht. Sei es zu materiellem Wohlstand. Oder zu einer ewigen, glücklichen Ehe. Oder eben nicht. Gold. Das war Gott. Tatsächlich.

„Ich habe einst einen ausgezeichneten Ruf genoßen!“, insistierte der Vater, „Aber das alles war noch vor dieser unsäglichen Crise. Aber lassen wir das … Du solltest es einmal beßer haben als ich. Weißt du, wir stammen eigentlich aus recht passablen Verhältnissen. Deine Urgroß-Eltern, Wenzel und Katharina, aus Drabschitz bei Leitmeritz, in Nord-Böhmen, die besaßen einen eigenen Guths- und Bauernhof. Verstehst du? Sie waren Grundbesitzer! Ihr ältester Sohn Joseph, also mein Vater und dein Großvater, der schaffte es in seiner militärischen Carrière bishin zum Leib-Gardisten für Kaiser Ferdinand den Ersten! Deshalb zogen wir acht Jahre vor der Thron-Besteigung Kaiser Franz Josephs – und der großen Revolution – nach Wien. Auch er besaß etwas. Nehmlich späther. Nach seinem militärischen Dienst. Eine Tabak-Trafik! Und das war schließlich etwas. Zumal damals! Verstehst du? Wir sind keine Versager! Und dein Vater ist es auch nicht! Es war die Crise …“

„Ja, Vater. Ich weiß.“ (Und er wußte es nun schon zum viertausend-dreihundert-neunundsechzigsten Mal.)

„Aber würdest du es als Künstler beßer haben? Ich wage, dies zu bezweifeln. Man hört ja so allerhand, von den Künstlern. Fast alle von ihnen führen ein wahres Lotter-Leben. Mit Wein, Weib und Gesang …“

„Hm.“ (Bei dem Wort „Weib“, hatte der Sohn interessiert aufgehorcht.)

„Viele von ihnen sind krank. Du weißt schon. Zu viel der Freuden. Zu viel Vergnügen. Zu viele Laster. Viele von ihnen sterben sehr jung, das weißt du vielleicht. Sie brennen aus. Wie Kerzen. Denn es gibt nur eine ganz kurze Phase in einem Menschen-Leben, während der man wirklich productiv – und creativ – sein kann. Verpaßt man diese Periode, so ist es aus. Niemand interessiert sich dann mehr für dich! Einmal ganz abgesehen davon, daß man mit seinen Werken immer auch den actuellen Zeit-Geschmack treffen muß, daß man dem strengen Dictat der Mode unterliegt, daß man Käufer und Mäzene finden muß, ihnen schmeicheln und das Geld aus der Tasche locken muß, denn kein Mensch gibt freiwillig etwas her – und Geld schon gar nicht! Ach, Gustav! Du hast gar keine Ahnung, worauf du dich da überhaupt einläßt! Ich selbst, habe manchmal … oder vielmehr hatte ich das … mit diesen Herren zu thun, weißt du? Wenn die sich dann etwas in den Sinn setzen, dann muß es unter allen Umständen auch so gemacht werden! Diese Künstler aber, die leben irgendwo auf einem anderen Planeten! Auf dem Monde! Aber ganz sicher nicht hier, auf der Erde. Sie schweben stets mit beiden Füßen in der Luft, haben ihren Kopf hoch im Himmel – umso tiefer und härter erfolgt dann der Fall, der nothgedrungen einst kommen muß …“

„Den Kopf hoch im Himmel …“, dachte der Sohn, „Beide Füße in der Luft … Genau das Richtige für mich!“

Und doch war er nachdenklich geworden. Denn noch nie zuvor in seinem Leben, hatte er den Vater derart viel reden hören. Mehr als zwei, drei Worte waren normalerweise nicht aus ihm herauszupressen. Doch das hier, das gemahnte schon fast an einen Shakespeareianischen Monolog! Sein. Oder nicht sein. Das. War hier. Die Frage. Den Vater schien es ganz offensichtlich zu quälen. Der abtrünnige Sohn. Das spürte er genau. Denn der Vater machte sich Sorgen. Große Sorgen sogar. Zudem war er sehr obrigkeitshörig. Für ihn gab es nur Gott. Und den Kaiser natürlich. Und dann den Beamtenapparat. Gottgleich. Und kaisernah. Da er selbst – nicht zuletzt aufgrund seiner Übersiedlung nach Wien, im zarten Alter von nur sechs Jahren – keine nennenswerte Schulausbildung genossen hatte, beugte er sein Haupt umso ergebener jenen gegenüber, die an den Schaltstellen der Macht saßen. Welche die Macht verkörperten. Die Lehrer. Also die Herren Professoren. Wie man sie hier in Wien nannte. Ein Herr Professor. War zwar nicht Gott. Und auch kein Kaiser. Aber er war nun mal ein Beamter. Ein Diener des Staates. Und der müsse ja schließlich wissen, wovon er sprach. Er hatte ihm von einer neuartigen Schule erzählt. Der Kunst-Gewerbe-Schule des K.u.K. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Die erst vor neun Jahren gegründet worden war. Und zwar. Nach englischem Vorbild. Hatte der Lehrer ihm versichert. Der Herr Professor. Hielt es für eine sehr gute Institution. Von hohem Ansehen. Von bald schon internationaler Reputation. Dann mußte es wohl auch so sein. Wenn der Herr Professor es sagte. Ein Stipendium gäbe es auch. Im Glücksfalle. Für Sonderbegabte. Aus einkommensschwachen Schichten. Aus unterprivilegierten Klassen. Wie man es damals nannte. Und da fielen sie ja darunter. Leider Gottes. Und durchaus.

Man wolle es darauf ankommen lassen. So hatte man sich geeinigt. Mit dem werten Herrn Professor. So war man verblieben. Und auseinandergegangen. Im Pfeifenqualm. Ein Kompromiß. Der keineswegs ein fauler war. Sondern ein sehr guter. Wie auch der Vater sich eingestehen mußte. Und schließlich auch dem Herrn Professor. Sollte der Sohnemann nämlich die schwierige Aufnahmeprüfung bestehen – und erhielte er dann womöglich auch noch ein großzügig dotiertes Stipendium – so müsse man dies als untrügliches Zeichen ansehen. Des Schicksals. Der Vorsehung. Eine göttliche Fügung. Das hatte der Lehrer gesagt. Mehr. Oder weniger. Stünden die Chancen gut dafür. Denn der Filius brächte nur die allerbesten Noten mit. Im Abgangszeugnis der Bürgerschule erhielte er in allen Fächern ein „sehr guth“. Dafür wolle man sorgen. Und auch den einen oder anderen Kontakt ausspielen. Man sei ja schließlich gut vernetzt. Hier in Wien. Zumal als Professor. Und so. Erfüllte es den Vater. Mit unermeßlichem Stolz. Es rührte ihn. Zu Tränen. Er stand sogar kurz vor dem Zerbersten. Vor Stolz. Und mit geschwollener Brust. Auch wenn er dies nicht zu zeigen vermochte. Und seinem Sohne gegenüber. Schon gar nicht.

Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt

Подняться наверх