Читать книгу Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt - Patrick Karez - Страница 11

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Der Triumphzug marschierte ein. Der Vater. Mit geschwollener Brust. Stolz. Und stolzierend. Wie ein Hahn. Gefolgt vom Sohn. Dem Ältesten. Dem Thronfolger. Dem Kronprinzen. Leicht verunsichert. Aber durchaus in freudiger Erwartung. Marschierten sie in ein Zimmer ein. An dem nichts Triumphales war. Und doch. Scharten sich alle um sie. Von der Mutter abwärts. Bis zur Kleinsten. Die Mutter. Diese Mutter. Die Nestglucke. Sie gluckste. Sie schnatterte. Sie herzte. Ihren Sohn. Und sogar ihren Gatten. Sie war erleichtert. Und begeistert. Sah sich bestätigt. In ihren Hoffnungen. In ihren Erwartungen. Immer schon. Hatte ich es doch gesagt! Es wird einmal was. Aus diesem Jungen! Und zwar etwas. Ganz Großes! Ich fühle es. Ich wußte es. Schließlich kennt ihn keiner besser als ich. Ich bin seine Mutter.

Umgehend. Machten sie sich an die Arbeit. Vater. Und Sohn. Du mußt jetzt üben. Fleißig sein. Zeichne! Hier! Zeichne meine Hand! Ja. So! Nein. So! Und du. Ernsti. Komm auch gleich dazu! Schließlich sollst du auch Künstler werden! Der Lehrer hat es gesagt. Du hast ebenfalls Talent. Ihr zeichnet beide sehr guth. Beide gleich guth. Sagt der Lehrer. Der Gustl ist ja immerhin schon zwei Jahre älter als du! Der ist jetzt schon bald vierzehn. Du hingegen bist erst zwölf. Aber dafür hast du schon eine ruhige Hand. Eine verdammt ruhige Hand. Und sicher. Werden sie dich auch annehmen. Und dir ein Stipendium geben. Wie deinem Bruder. Übt also zusammen! Seid fleißig! Ihr wißt es ja. Ohne Fleiß. Kein Preis. Und auch kein Stipendium.

Also übten sie. Die Brüder. Und die anderen Geschwister. Übten gleich mit. Alle saßen sie da. Oder lagen. Auf dem Boden. Auf dem Bauch. Und kritzelten. (Die einen.) Und zeichneten. (Die anderen.) Sie waren gut. Die beiden ältesten Burschen. Sehr gut sogar. Der Vater war ganz außer sich. Und die Mutter erst. Ein Stipendium! Dieses magische Wort. Es würde alles ändern. Alles! An ihrer Situation. Die vertrackt war. Und ausweglos. Und hoffnungslos. Bis heute. Denn heute hatte sich etwas getan. Heute hatte sich etwas geändert. Heute hatte sich alles geändert. Sie würden Künstler werden. Und zwar richtige! Keine bloßen Handwerker. Das war immer schon ein Traum gewesen. Des Vaters. Er selbst hatte ihn niemals wahrmachen können. Denn ihn hatte man nicht gefördert. Damals. Als er noch ein Kind war. In ihrem Alter. Da hatte er bereits arbeiten müssen.

Aber die hier. Diese beiden. Seine Söhne. Die sollten es einmal besser haben. Viel besser. Und der dritte ebenfalls. Georg. Der sollte auch gleich Künstler werden. Der war zwar gerade erst einmal neun Jahre alt. Aber er zeichnete ebenfalls schon gut. Nicht ganz so gut. Wie die anderen beiden. Aber gut. Und er war geschickt. Für eine Karriere als Kunsthandwerker reichte es allemal. Den würde der Vater dann unter seine Fittiche nehmen. Der sollte einst Graveur werden. Wie er selbst. Drei Söhne. Und alle drei Künstler. Eine Laune der Natur. Ein Zufall. Und Glücksfall. Denn normalerweise gießt Fortuna ihr Füllhorn nicht ganz so gleichmäßig aus. Werden die Gene nicht ganz so homogen verteilt. Wenn aus einem was wird. Wird aus dem anderen meistens nichts. Wird der eine Priester. Wird der andere Verbrecher. Aber nein. Hier war es anders. Alle drei. Sollten sie Künstler werden. Und erfolgreich. Und reich. Hoffentlich.

Und mittendrin. Die Mutter. Ganz aufgeregt. Das Muttertier. Herumwirbelnd. Sich um die eigene Achse drehend. Mit den Flügeln schlagend. Flatternd. Und glucksend. Führte sie gerade die Norma auf. Ein wenig Tragik. Tut schließlich immer gut. Ein wenig Tragik. Kann niemals schaden. Selbst in freudigen Augenblicken nicht. Wie diesen. Muß man ja schließlich stets auf dem Boden bleiben. Mit beiden Füßen. Die Norma also. Casta Diva. Tönte es nun durch den ganzen Innenhof. Sie war ja schließlich auch eine Künstlerin. Die Mutter. Sie alle waren es! Und das wollte sie nun allen zeigen. Den armen Nachbarn. (Nessun dorma!) Und der ganzen Welt! Dann wechselte sie das Repertoire. Nun sang sie. Die Violetta. Aus der Traviata. Was die vom Wege Abgekommene heißt. Die Kameliendame. Eine von der Gesellschaft geächtete und abgelehnte Person. Und wäre die Bohème in diesen Tagen bereits komponiert worden. So hätte sie ganz sicher auch die gesungen. Denn das waren sie ja schließlich auch. Bohème. Was auf Deutsch Künstler heißt. Auf Französisch hingegen. Heißt es Zigeuner. Fahrendes Volk. Vagabunden. Und das waren sie. Fürwahr. Und zwar beides.

Gustav. Ernst. Und Georg. Alle drei. Saßen sie da. In Reih. Und Glied. Und zeichneten. Was das Zeug hielt. Hände. Füße. Nasen. Ohren. Augen. Alles. Was schwierig war. Und kompliziert. Und das war ja schließlich so gut wie alles. Weshalb es keine Grenzen gab. Bei der Auswahl ihrer Motive. Zeichnet die Holzmaserung nach! Sagte der Vater. Versucht, Metall darzustellen! Hier! Nehmt diese Platte! Versucht, den Glanz darauf festzuhalten! Aber nein! Ernst! Man sieht ja gar keinen Unterschied. Zwischen dieser Steinplatte hier. Und der Metallplatte! Du mußt genauer sein! Nein. So! Ja. So! Und tatsächlich. Komplex waren sie. Und kompliziert. Die einfachsten Dinge. Die ein normaler Mensch gar nicht erst beachtet. Denen er keine genauere Beachtung schenkt. Vor allem die Hände waren es. Und die Haare. Sobald man sie denn genauer unter die Lupe nahm. Diese feinen Striche. Falsch gesetzt. Und schon sah man nichts weiter. Als einen Haufen Stroh. Geschwind mußten die Schwestern herhalten. Als Modelle. Und sie taten es nur zu gern. Schließlich waren sie Mädchen. Und sie hatten schöne Haare. Und lang. Und kunstvoll geflochten. Zöpfe. Eigneten sich vorzüglich. Als Vorlage. Niemals waren sie motivierter! Und zwar alle miteinander. Denn heute begann ein neues Leben. Das spürten sie. Alle. Und sie hörten es. Alle. (Und die Nachbarn leider auch.)

Jetzt erst ergab alles einen Sinn. Niemals war man je so eifrig gewesen. Geradezu besessen. Ging es nun viel leichter. Von der Hand. Als je zuvor. Da hatten sie zwar auch schon stets gezeichnet. Und zwar immerzu. Und gern. Aber seit heute erhielt das Ganze eine völlig neue Bedeutung. Eine andere Dimension. Einen höheren Sinn. Denn erst jetzt begriffen sie. Und zwar wirklich. Und in letzter Konsequenz. Daß es kein Spiel war. Das Leben nicht. Und das Zeichnen nicht. Bald schon wären sie erwachsen. Und zwar alle drei. Früher. Oder später. Müßten sie also selbst für ihren Unterhalt sorgen. Und für den ihrer Familie. Und für den ihrer eigenen. Zukünftigen. Sollten sie denn einmal heiraten. Und Kinder bekommen. Ja. Heute war ein besonderer Tag. Der alles veränderte. Den Verlauf der Dinge. Das Schicksal dieser Familie. Aber auch den Lauf der Welt. Der Kunst-Welt zumindest. Und der Kunst im Allgemeinen. (Aber das wußte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.)

Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt

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