Читать книгу Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt - Patrick Karez - Страница 14

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Die Jahre gingen ins Land. Und es waren gute Jahre. Lehrreiche zumindest. Eben die Lehrjahre. Nur ein Jahr, nachdem Gustav Klimt an dieser Schule angenommen worden war, bestand auch sein jüngerer Bruder Ernst die Aufnahmeprüfung. Und einige Jahre später, sollte auch der dritte Bruder, Georg, diese Schule besuchen. Ein regelrechtes Familienunternehmen also. Eine regelrechte Klimt-Mafia. Wobei der allerjüngste Bruder, Georg, außen vor blieb. Er sollte sich zudem auf Metall- und Kupfertriebarbeiten spezialisieren, womit er, als einziges Kind, in die Fußstapfen des Vaters trat. Obwohl er nicht direkt mit seinen beiden Brüdern arbeitete, sollte er doch regelmäßig Aufträge für sie übernehmen – vor allem für den Ältesten, Gustav, den Kopf und Anführer der ganzen Klimt-Bande. Somit bildeten also Gustav und Ernst den harten Kern. Zusammen mit Franz Matsch.

Nach der Vorbereitungsschule, besuchten die drei den sogenannten Curs für Zeichenlehrer an Mittelschulen, dem man ab dem Jahre 1877 eine eigene Abteilung gewidmet hatte und der insgesamt drei Jahre dauerte. Bei ihren Lehrern Carl Hrachowina, Ludwig Minnigerode und Michael Rieser waren sie in allerbesten Händen und erhielten das optimale Handwerkszeug für ihre spätere Künstlerkarriere. Die Fächer, die sie studierten, waren Stillehre und Anatomie, Schattenkonstruktion und Perspektive, sowie Farbenchemie, denn schließlich sollte ein jeder Handwerker auch genau wissen, womit er da überhaupt arbeitet. Und natürlich das ständige Zeichnen nach antiken Repliken – aber bald auch schon nach dem lebenden Modell. Da diese damals sehr teuer waren und von daher eher selten von der Schule gebucht, wurden die Schüler von ihren Lehrern dazu angehalten, alles und jeden im familiären Umfeld sowie im Freundes- und Bekanntenkreis zu zeichnen, was nur zu kriegen war. Übung macht ja schließlich und bekanntlich den Meister. Und das taten sie auch. Sie verlegten sich sogar auf das Abzeichnen von Photographien, beziehungsweise deren Übertragung ins Großformat, was ja damals bei den photographischen Abzügen noch nicht möglich war.

Bei Professor Carl Hrachowina erlernten sie das Freihand- und Ornament-Zeichnen, das besonders Gustav sehr taugte und worin er eine Art Naturtalent besaß. Bei Professor Ludwig Minnigerode studierten sie die Genre- und Portrait-Malerei, was besonders Franz Matsch gefiel – vor allem letzteres aber Gustav Klimt später ungemein nützen würde. Bei Professor Michael Rieser übten sie sich in der Historien- und Bildnis-Malerei, was vor allem Ernst und Franz gefiel, während es Gustav ein wenig zu trocken erschien. Und dennoch. Professor Laufberger sollte mit dem, was er in seiner Einführungsrede behauptet hatte, durchaus Recht behalten: Dies alles würde den Studenten später ungemein nützlich sein – vor allem Gustav Klimt, der dies alles in sich aufnahm wie ein Schwamm. Denn die Historien- und Bildnis-Malerei, die ihm während des Studiums nicht allzusehr zusagte, sollte ihm seine ersten großen Privat- und sogar Staats-Aufträge verschaffen. Das Ornament-Zeichnen sollte ihm dazu dienen, eine völlig neue und eigene Stilrichtung, nämlich die Secession, zu begründen. Und in der Portrait-Malerei, sollte er später überhaupt ungeschlagen und völlig außer Konkurrenz bleiben. Für viele Jahrzehnte sogar. Mehr noch: Sie sollte ihn unsterblich machen.

Vor allem Gustav Klimt und Franz Matsch unterstützten sich gegenseitig sehr. Ja, sie wurden im Laufe der Zeit regelrecht unzertrennlich. Schon wurde hinter ihrem Rücken über sie geredet. Gemunkelt. Aber immerhin respektvoll. Denn sie waren gut. Sehr gut sogar. Auch die Professoren bestätigten dies. Und zwar regelmäßig. Neid und Eifersucht hatte Gustav Klimt bis dato nicht gekannt. In der Volks- und Bürgerschule, da hatten die anderen Schüler ihn sogar bewundert. Denn da war er noch der einzige seiner Art gewesen. Also der einzige mit diesem ganz besonderen Talent. Hier hingegen, besaßen sie es alle. Die einen mehr. Die anderen weniger. Aber immerhin. Alle. Hatten sie die schwierige Aufnahmeprüfung bestanden. Also waren sie alle gut. Überdurchschnittlich gut sogar. Und sie alle waren ja schließlich zu diesem Zeitpunkt noch keine vollendeten Künstler. Das würde noch kommen. Allerdings bemerkte der junge Gustav sehr früh, daß es hier sehr wohl eine Art Konkurrenzdenken und das dazu passende Verhalten gab. Schließlich wollten sie ja alle denselben Beruf ergreifen. Und die passenden Arbeitsplätze dazu waren rar.

Hier waren seine Mitschüler wesentlich verhaltener mit Lob. Und Bewunderung. Jeder spielte nur für sich allein. Jeder arbeitete konzentriert an seinen eigenen Fähigkeiten und an seiner eigenen Karriere. Nicht so Gustav Klimt und Franz Matsch. Die schlossen sich zusammen. Gustav Klimt suchte Franz Matschens Nähe. Weil dieser selbstbewußt und schlagfertig war. Etwas, das ihm selbst völlig abging. Außerdem wies Franz Matsch ein großes organisatorisches Talent auf – vor allem in Bezug auf den Arbeitsprozeß und die Arbeits(ein)teilung. Für die Arbeits-Einteilung, wenn er allein arbeitete – und für die Arbeits-Teilung, insofern sie beide zusammenarbeiteten. Er war aufgeräumt. Und geradlinig. Ja. Fast schon pedantisch. Könnte man sagen. Sehr bestimmt. Sehr fleißig. Sehr ehrgeizig. Weshalb er sehr schnell und zielgerichtet arbeitete. Sehr effizient. Auch dies alles ging Gustav Klimt völlig ab. Franz Matsch hingegen suchte Gustav Klimts Nähe. Gerade weil dieser so furchtbar chaotisch war. Impulsiv. Unüberlegt. Aus dem Bauch heraus schaffend. Aus einem Gefühl heraus. Einer plötzlichen Eingebung. Einer Grille. Ja. Franz Matsch suchte Gustav Klimts Nähe. Weil dieser so ausgesprochen spontan und originell war. Anders. Völlig anders. Als alle anderen. Zusammen. Und genau diese Spontaneität, dieses Impulsive, dieser Schaffenstrieb, dieser Schaffens-Ur-Trieb, der ja völlig unreflektiert ist, sondern aus den Tiefen der Seele strömt, all dies ging wiederum ihm selbst ab. Ein großes Talent, das war er selbst zwar auch, aber wesentlich kontrollierter. Nicht so frei. Nicht so wild. Und nicht so ungestüm. Wie dieser Klimt. Bei dem es teilweise schon kaum mehr zu ertragen war! Der sprudelte förmlich nur so vor Einfällen. Daraus ließe sich etwas machen. Dachte Matsch.

Nachdem Gustav Klimts Bruder Ernst, nur ein Jahr später, ebenfalls an der Schule aufgenommen worden war, änderte sich die ganze Situation noch einmal. Zum einen in familiärer Hinsicht. Denn die beiden Brüder mußten kein Schulgeld zahlen. Sie hatten tatsächlich ein Stipendium erhalten. Von zwanzig Gulden! Das war ein halbes Vermögen. Zumindest in den Augen der beiden Brüder. Aber auch in den Augen ihrer Eltern. Denn von nun an ging es der Familie etwas besser. Zum anderen änderte sich die Konstellation. Gustav und Franz hatten bis dahin das Zentrum gebildet. Ein Duo. Ein Tandem. Bonny und Clyde. Ernie und Bert. Cindy und Bert. Simon und Garfunkel. Siegfried und Roy. Tom und Jerry. (Nein. Letzteres wohl eher nicht.) Doch jetzt waren sie plötzlich zu dritt. Anfangs. Da war der leibliche Bruder noch das fünfte Rad am Wagen gewesen. Beziehungsweise das dritte. Er war noch jung. Er war noch unerfahren. Und vor allem war er langsam. Zwar gut. Und auch ein wenig pedantisch. Wie Matsch. Aber langsam. Er war eher ein Arbeiter. Ein Techniker. Ein Handwerker. Die großen Einfälle hingegen, die spontanen Geistesblitze, dafür war sein Bruder Gustav zuständig. Gustav dachte. Franz machte. Dieser Spruch ging bald schon in der ganzen Schule um.

Seitdem nun auch noch Ernst hinzugekommen war, zu diesem Duo Infernale, das mit einem Schlag, praktisch über Nacht, zu einem Trio ausgewachsen war, da dachte Gustav. Und die anderen beiden machten. Natürlich machte er selbst auch – und zwar sehr gut – aber er war zweifelsohne der Quell der Kreativität. Der Spontaneität. Der Inspiration. Matsch mußte ihn ab und an einbremsen. Er war ja der Denker. Der Rationale. Der Planer. Der ständig das Für und das Wider gegeneinander aufwog. Und das Trio somit zu einer ungeahnten Effizienz führte. Und Ernst, der war detailversessen. Der liebte es, Ornamentbänder oder Pflanzengirlanden en détail auszuführen, in stundenlanger Kleinstarbeit. Mit ruhiger Hand. Mit einer Engelsgeduld. Stundenlang. Tagelang. Mit immer derselben Präzision. Wie eine Maschine. Etwas, das die anderen beiden haßten. Vor allem Gustav Klimt verabscheute dies zutiefst. Jeder von ihnen besaß also ein völlig anderes, völlig eigenes Talent. Und alle drei vertrugen sie sich. Deshalb paßten sie alle drei auch so gut zusammen. Perfekt sogar.

Diese unterschiedlichen Anlagen müßte man doch irgendwie nützen können. Dachte Franz Matsch. Da sie sich oft und zunehmend zusammentaten, erlernten sie die Zusammenarbeit. Die Kooperation. Und somit auch die Organisation. Sowie die Teilung. Die Ein.Teilung. Die Auf.Teilung. Die Ver.Teilung. Von Arbeit. Wie im Ameisenstaat eben. Der eine machte dies. Der andere machte das. Je nachdem. Worin man eben schneller war. Und besser. Obwohl natürlich alle drei sehr wohl in der Lage waren. Alles zu machen. Aber darum ging es ja hier nicht. Denn Zeit. Ist Geld. Bekanntlich. Und genau so dachte Franz Matsch. Der bald schon zum Kopf der Bande aufsteigen sollte. Zum großen Zampano. Zum Paten. Denn seine Planungen, seine Arbeitsein-, und auf-, und -verteilungen, die waren immer höchst effizient. Das erkannten bald auch schon die beiden anderen. Die Gebrüder Klimt, von Natur aus zum Duo prädestiniert, ordneten sich unter. Sie fügten sich. Ohne Widerworte. Ohne Machtkämpfe. Ohne blinde Eitelkeiten. Denn da gab es ganz offensichtlich jemanden, der wirklich Ahnung hatte. Von dem. Was er sagte. Und von dem. Was er tat. Organisationstalent ist nämlich auch ein großes und großartiges Talent. Und weiß Gott nicht jedem Künstler zu eigen. Geschäftstalent hingegen, das wird unter Künstlern so selten vergeben wie der Regen in der Wüste. Nein. Der Matsch hatte völlig Recht. Zeit. Ist Geld. Und je weniger sie alle an ihren Aufgaben arbeiten müßten, desto mehr Freizeit hätten sie. (Und könnten während ihrer Freizeit noch zusätzlich arbeiten, um etwas Geld zu verdienen!) Bald schon würden ihnen all diese Gedanken noch sehr zugute kommen.

Ihr Lehrer Michael Rieser erkannte dieses Potential sofort. Deshalb vermittelte er ihnen bald schon kleine Aufträge. Er selbst war ja an den Entwürfen für die Glasfenster der Votivkirche beteiligt, einem neugotischen Monumentalbau seitlich der Ringstraße, welcher in diesen Tagen kurz vor seiner Vollendung stand. Anlaß zur Errichtung desselben, war ein Attentat auf seine Apostolische Majestät, den damals noch jungen Kaiser Franz Joseph, gewesen. Nach dem vereitelten Anschlag auf den Kaiser, hatte man den Bau der Votivkirche als Denkmal der Dankbarkeit für die Errettung des Monarchen initiiert. Schönste französische Hochgotik. Französische Hochgotik der Île de France. So vollkommen, daß selbst die Originale aus dem Mittelalter davor verblassen sollten, die ja im Prinzip allesamt Flickenwerke waren. In Jahrhunderte währender Kleinstarbeit geschaffen. Und so gut wie nie wirklich vollendet. Die Votivkirche stellte also ein Idealbild der Gotik dar. Wie alles hier. Auf der Ringstraße. Denn die sie säumenden Pracht- und Monumentalbauten, waren allesamt die Idealbilder der jeweiligen Epochen, die sie verkörperten.

„Meine Herren!“, Herr Professor Rieser wandte sich den beiden Klimt-Brüdern sowie Franz Matsch zu, „Sie erhalten nun heute die Aufgabe, diese Entwürfe für die gothischen Fenster der Votiv-Kirche in ein Groß-Format zu übertragen! Sie werden sehen, es ist nicht ganz einfach, diese kleinformatigen Entwürfe umzuzeichnen … Zu diesem Zwecke fertigen Sie ein Raster an, wie Sie es ja bereits im Unterricht erlernt haben, und übertragen dann die einzelnen Felder, die Sie bitte von Links nach Rechts numerieren, und von Oben nach Unten mit Buchstaben versehen, auf diese riesigen Papierbögen dort vorn, die Sie natürlich mit eben dem selben Raster versehen, nur dementsprechend größer, natürlich. Das Procedere kennen Sie ja bereits … Aber zum allerersten Male, werden Sie eine Arbeit in dieser schieren Größe absolvieren! Die genauen Maße der Fenster sind hier, links, verzeichnet – Sie sehen also, welcher Berg an Arbeit da vor Ihnen liegt! Und bedenken Sie: Ein jeder Übertragungsfehler Ihrerseits, könnte das gesamte Project gefährden – wenn nicht gar ruinieren! Denn Ihre Übertragungs-Zeichnungen, im Maß-Stabe Eins zu Eins, gehen ja geradewegs in die Glaserei, wo dann schließlich, genau nach Ihren Vorgaben, die Fenster produciert werden – und zwar à l’ancienne, in einem mittelalterlichen Verfahren … Natürlich werde ich Ihre Arbeit anschließend controllieren – aber ich baue darauf, daß Sie allmählich eigenständig zu arbeiten vermögen, ohne die Anleitung eines Docenten … Zudem müssen Sie sich diesen Berg an Arbeit guth untereinander ein- und auf-theilen! Es geht schließlich nicht an, daß ein jeder von Ihnen alles macht – denn das ergäbe lediglich ein heilloses Durcheinander! Sie müssen nun lernen, als Gruppe zusammenzuarbeiten, als Gesellschaft, als Societät. Haben Sie mich verstanden?“

„Jawohl, werther Herr Professor!“, antwortete Matsch. Und die anderen beiden nickten.

„Und noch etwas!“, Professor Rieser, der fast schon zur Türe hinaus war, kehrte noch einmal zurück, „Wenn Sie Ihre Arbeit guth machen, dann werden Sie natürlich von mir dafür entlohnt werden. Guth sogar! Bedenken Sie: Je beßer Ihre Arbeit, je beßer auch die Entlohnung!“

Das ließen sich die drei natürlich nicht zweimal sagen! Nichts hätte sie mehr motivieren können als diese letzten Worte. Alle waren sie darüber sehr glücklich, denn von da an ging es ihnen in materieller Hinsicht schon viel besser. Aber besonders für die Klimts, arm wie Kirchenmäuse, war es ein wahrer Segen. Und gerade durch Aufgaben wie diese, die überdies noch bezahlt wurden, erlernten die drei Kommilitonen, die längst zu Freunden geworden waren, die perfekte Zusammenarbeit, eine stichfeste Organisation sowie eben die optimale Arbeitsteilung. Wie die Bienen summten und surrten sie geschäftig durchs Atelier. Die großen Pergamente und Papierbögen raschelten, es wurde gemurmelt, gesprochen, rezitiert – und schließlich sogar gesungen. Mitunter so laut, daß der eine oder andere Mitschüler seinen Kopf durch die Tür steckte. Bald schon waren sie an der Schule bekannt. Wie bunte Hunde.

Obwohl alle anderen Studenten es mit eigenen Augen mitansehen konnten, wie effizient so eine Arbeitsteilung war, taten sie sich dennoch nicht zusammen. Natürlich wurden sie von ihren Professoren immer wieder zur Zwangs-Gemeinschafts-Arbeit verdonnert – aber es kam nicht von ihnen selbst, also aus ihnen selbst heraus, dieses Bedürfnis, gemeinsam zu arbeiten, sich die Arbeit zu teilen; denn somit müßte man sich ja schließlich auch die Lorbeeren teilen. Aber manchmal ist es eben besser, auf das ganze Maß der Lorbeeren zu verzichten und sich vielmehr mit der Hälfte davon, oder gar einem Drittel, zufrieden zu geben. Vor allem, wenn man dann viel schneller mit der Arbeit fertig ist und zudem wesentlich genauer arbeitet als allein (denn drei Augenpaare sehen die Fehler schneller und besser als eines allein!). Und die Bezahlung, die gibt es ja ohnehin immer pro Person – und nicht etwa pro Gruppe. Es sprach also überhaupt nichts dagegen, sich zur Arbeit zusammenzutun. Und zwar dauerhaft. Und doch waren sie die einzigen an dieser Schule, die es taten.

Gustav Klimt. Zeit und Leben des Wiener Künstlers Gustav Klimt

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