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I. Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis

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Ist der Vertrag nach z.B. §§ 134, 138 BGB nichtig oder nach den §§ 119 ff. BGB anfechtbar, so ist er nach der Systematik des BGB ex tunc, d.h. von Anfang an nichtig, so dass er rechtlich nie existent war (vgl. § 142 I BGB). Für das in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnis gilt nach der sog. Lehre vom fehlerhaften[130] Arbeitsverhältnis aber etwas anderes. Nach ihr führen Nichtigkeit/Anfechtbarkeit des Arbeitsvertrages unter bestimmten Voraussetzungen nur zu einer Unwirksamkeit ex nunc.[131] Auf diese Weise sollen die Schwierigkeiten vermieden werden, die mit einer Rückabwicklung der bereits erbrachten Leistungen verbunden wären: Mangels Rechtsgrund hätten beide Vertragspartner Ansprüche aus § 812 I 1[132] Alt. 1 BGB, der Arbeitnehmer müsste also den gesamten empfangenen Lohn zurückzahlen (ohne dass insoweit Lohnschutzvorschriften eingriffen) und hätte im Gegenzug einen u.U. schwer zu quantifizierenden Anspruch auf Ersatz des Wertes seiner Arbeitsleistung (§ 818 II BGB).

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Das zeigt in extremer Form Fall 6, müsste hier doch ein siebenjähriges (!) Arbeitsverhältnis rückabgewickelt werden. (Fortsetzung Rn. 189)

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Diese Konsequenzen vermeidet die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis unter den folgenden Voraussetzungen:

Es muss eine tatsächliche Willenseinigung vorliegen, d.h. zwei korrespondierende, auf den Arbeitsvertragsschluss gerichtete Willenserklärungen, die jedoch nichtig sind oder wirksam angefochten wurden.[133] Fehlt es hingegen schon am Versuch einer wirksamen Einigung, so entsteht kein fehlerhaftes Arbeitsverhältnis.
Der Arbeitsvertrag muss tatsächlich in Vollzug gesetzt worden sein, wofür der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung tatsächlich erbracht haben muss.
Der Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis dürfen keine übergeordneten Interessen widersprechen. So ist sie nicht anwendbar, wenn beide Vertragsparteien bewusst gegen Straf-[134] oder Verbotsgesetze[135] verstoßen oder der Vertragsinhalt krass sittenwidrig ist (z.B. Auftragsmörder)[136] oder wenn der Vertrag durch widerrechtliche Drohung erzwungen und deswegen angefochten wurde. Bei arglistiger Täuschung greifen die Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis dagegen grundsätzlich ein, etwas anderes gilt nur, wenn die Arbeitsleistung infolge der Täuschung für den Arbeitgeber keinerlei Wert hatte.[137] Ist ein Geschäftsunfähiger/beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt, so sind diese Grundsätze einseitig zu seinen Gunsten anwendbar: Ist es der Arbeitnehmer, der minderjährig ist und dem die erforderliche Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters fehlt, so hat er zwar alle Rechte (und daher einen Lohnanspruch auf vertraglicher Grundlage und nicht nur § 812 I 1 Alt. 1 BGB), ihn treffen aber nicht die arbeitsvertraglichen Pflichten; ist umgekehrt der Arbeitgeber minderjährig, so schuldet er nicht aus § 611 BGB, sondern allein aus § 812 BGB „Lohnzahlung“, hat im Gegenzug aber Ansprüche auf Erbringung der Arbeitsleistung aus Arbeitsvertrag.

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In Fall 6 hat P den A zwar (durch Unterlassen, vgl. Rn. 177) arglistig getäuscht, so dass P wirksam anfechten konnte (vgl. Rn. 177, 181). Eine tatsächliche Willenseinigung lag aber vor und das Arbeitsverhältnis wurde auch in Vollzug gesetzt. Überdies ist nicht ersichtlich, dass die Arbeitsleistung infolge der Täuschung für A wertlos war. Die Voraussetzungen der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis liegen vor. (Fortsetzung Rn. 192)

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Liegen diese Voraussetzungen vor, so wird das Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit als wirksam behandelt, es bestehen also die gleichen Rechte und Pflichten wie in einem wirksam begründeten Arbeitsverhältnis, so dass letztlich die eigentlich bestehende ex-tunc-Nichtigkeit teleologisch reduziert wird.[138] Der Arbeitgeber hat Anspruch auf Arbeitsleistung, im Gegenzug steht dem Arbeitnehmer Lohn zu, dessen Höhe nach § 612 II BGB zu bestimmen ist. Eine spätere Rückabwicklung der wechselseitig erbrachten Leistungen scheidet aus. Etwas anderes gilt allein für Phasen, in denen das Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt wieder außer Vollzug gesetzt worden war: Wurde der Arbeitnehmer – z.B. infolge einer ausgesprochenen Kündigung – von der Arbeit freigestellt, so wirkt die Nichtigkeit/Anfechtbarkeit zwar nicht ex tunc auf den ursprünglichen Vertragsschluss, aber auf den Zeitpunkt der Freistellung zurück.[139]

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Allerdings begründet die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis keinen Bestandsschutz für die Zukunft. Daher kann sich sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber jederzeit durch entsprechende Lösungserklärung vom Arbeitsverhältnis lösen, ohne dass die Vorschriften über den Kündigungsschutz, über Kündigungsfristen oder über Formerfordernisse zu beachten wären.[140] Das birgt gerade für den Arbeitnehmer erhebliche Härten, ist aber sachgerecht, erfolgt eine Reduktion der Nichtigkeits-/Anfechtungsfolgen doch nur zu dem Zweck, Rückabwicklungsschwierigkeiten zu vermeiden – solche drohen hinsichtlich künftiger, noch nicht erbrachter Arbeitsleistungen aber gerade nicht.

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In Fall 6 scheidet eine Rückabwicklung der gegenseitig über sieben Jahre hinweg wechselseitig erbrachten Leistungen also aus, P kann sich aber jederzeit vom Vertrag lösen.

Hinweis:

Ähnliche Probleme ergeben sich, wenn eine Gesellschaft (oHG, KG…) unwirksam gegründet wurde. Hier behilft man sich über vergleichbare Grundsätze, nämlich die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft[141].

§ 4 Anbahnung und Begründung des Arbeitsverhältnisses › C. Folgen von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit des Arbeitsvertrags › II. Folgen der Teilnichtigkeit

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