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Erinnerung

Manchmal leben wir auf eine Art und Weise, die allzu kleinkariert ist, und an Orten, die nur einen Teil dessen, was wir sind, ansprechen und entwickeln. Wenn wir das tun, mag es sein, dass unser Leben in eine Form gepresst wird, die nicht die unsere ist. Wir mögen nicht einmal bemerken, dass dem so ist. Aber dessen ungeachtet wird etwas tief in unserem Inneren unsere Integrität unversehrt bewahren, und es wird Mittel und Wege finden, uns an die Breite und Tiefe des Lebens zu erinnern, um dessen Ganzheit einzufordern.

Als ich 1962 eine von wenigen Frauen in meinem medizinischen Ausbildungsprogramm war, war das Weibliche noch etwas, das im großen und ganzen negiert wurde, nicht nur von meinen männlichen Kollegen, sondern auch von meinen Kolleginnen. Ich war die einzige in meinem gesamten Umfeld, die das Frausein als eine Stärke betrachtete, und ich tat alles mir nur Mögliche, um meine spezifisch weiblichen Züge auch sichtbar werden zu lassen.

Im ersten Jahr meiner praktischen Ausbildung wurde ich nach einem Zufallsauswahlverfahren dem Ärzteteam eines Krankenhauses zugeteilt, dem etliche prominente Ärzte angehörten, alles Männer. Ich bewunderte die Fähigkeiten und die Kompetenz meiner Kollegen sehr und war hocherfreut, ein Teil dieses Teams sein zu können. Nach einer langen Nacht auf der Notfallstation des innerstädtischen Krankenhauses, in der wir es mit epileptischen Anfällen, zusammengeschlagenen Menschen und einem Autounfall mit drei verletzten Kindern und einem Herzstillstand zu tun hatten, ging ich zusammen mit dem Oberarzt des Teams gerade übernächtigt zum Aufzug, der uns zu den Wohnräumen der Ärzte bringen sollte, als er sich mir zuwendete. Beschämt gestand er mir, dass er mich zuerst nicht in seinem Team haben wollte, dass er jetzt aber froh sei, dass ich ihm zugeteilt worden war. „Sie sind genauso gut wie jeder andere im Team“, sagte er. „Mit Ihnen zu arbeiten ist genauso, wie mit einem der anderen Burschen zu arbeiten.“

Ich gab mir Mühe, äußerlich unberührt von seinen Worten zu erscheinen, aber innerlich war ich überwältigt. Das war für mich damals einer der kostbarsten Momente meines bisherigen Berufslebens. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich diesen Satz nicht mehr als ein Kompliment aufgefasst habe. Für die nächsten zehn Jahre oder mehr gab es wenig in meiner Berufserfahrung, das meine Ganzheit angesprochen hätte oder ihr irgendwie gerecht geworden wäre. Und da mir nicht bewusst war, dass ich sie verloren hatte, tat ich auch nichts, um sie zu verteidigen.

Als ich einunddreißig Jahre alt war, wurde ich in meiner Weise zu leben noch kräftig bestärkt: Ich wurde zur stellvertretenden Direktorin der pädiatrischen Kliniken an der Stanford Universität ernannt, meine erste wirklich verantwortliche Position im medizinischen System. Ich hatte nun ein eigenes Büro mit meinem Namen auf der Tür und einem kleinen Budget zum Kauf von Einrichtungsgegenständen. In Hochstimmung ging ich eine Lampe und einen Sessel kaufen.

Im Lampengeschäft fand ich eine kleine Porzellanstatue einer schlanken asiatischen Frau, die aus einem Gefäß Wasser auf den Boden goss. Ich wusste auf den ersten Blick, dass ich sie für mein Büro haben musste – sie passte perfekt zu meinem neuen Teppich. Aber mein Budget ließ keinen Raum für solche Dinge, und ich verließ den Laden, ohne sie gekauft zu haben. In der folgenden Nacht träumte ich von der Statue. In meinem Traum flehte mich die Porzellanfrau an, sie doch nicht zurückzulassen. Aus irgendeinem Grund hatte das eine tiefe Wirkung auf mich; als ich erwachte, fühlte ich mich schlecht und nervös. Auch wenn es bedeutete, für den Rest des Jahres nicht mehr ins Kino oder in ein Restaurant essen gehen zu können, ging ich zurück in den Laden und kaufte die Statue von meinen eigenen spärlichen Rücklagen.

Auf den Regalen in meinem Büro gab es keinen freien Platz, also stellte ich die Statue neben das Telefon auf meinen Schreibtisch. Sie stand viele Jahre dort. Ich nahm sie oft in die Hand wenn ich eine schwierige Entscheidung in Hinsicht auf die Klinik oder ihre große Belegschaft zu treffen hatte oder wenn ich Anrufe meiner Patienten erwiderte. Als ich die Universität verließ, war die Statue eines der wenigen Dinge, die ich mitnahm. Sie gehörte mir. Der Rest der Einrichtung meines Büros gehörte der Stanford Universität.

Kurz bevor ich Stanford verließ, hatte ich herausgefunden, dass die Statue eine Darstellung der Kuanyin war, der Göttin des Erbarmens, die manchmal auch als der feminine Aspekt Buddhas bezeichnet wird. Trotz meines lebenslangen Bemühens, mich in eine andere Form zu gießen, hatte etwas in mir sie augenblicklich erkannt und hatte sie als mein Eigen in Anspruch genommen. Ich hatte mich an ihr festgehalten, schon lange bevor mein bewusster Geist realisierte, wer sie war und dass sie, auf eine sehr bedeutsame Weise, meine Heilung repräsentierte.

Symbolik ist die Sprache des unbewussten Geistes, die tiefe Weisheit, die ein Teil unserer Grundausstattung ist. Manchmal spricht das Unbewusste zu sich selbst, und gelegentlich teilt es uns seine Weisheit in der Form von Symbolen mit. Viele Dinge, die wir tun, ohne zu wissen warum, sind ein Mittel des Unbewussten, uns an unsere größere Natur zu erinnern. Es kann viele Jahre dauern, bevor wir selbst in der Lage sind, das Schwert aus dem Stein herauszuziehen und zu erkennen, wer wir sind. Bevor es soweit ist, kann unsere Integrität, ohne dass wir es bemerken, jedoch schon Teile von uns ansprechen, die wir verleugnet und denen wir uns entfremdet haben, um sie zu nähren und zu stärken, bis wir eines Tages auf sie zurückgreifen können.

Aus Liebe zum Leben

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