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Nina

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Während dieser Zeit lernte Paul Nina kennen. Sie trafen sich das erste Mal in einer Kunstausstellung. Sie arbeitete dort, und er suchte nach Inspirationen. Nein, er floh vor der Leere seiner Studentenbude, den Ateliers, dem Gefühl, seine Ideen begraben zu müssen. In Gedanken versunken stand er vor vier blauen, tanzenden, nackten Mädchen, die gesichtslos Anmut verströmten. Der Maler hieß Macke und hätte Gaugin heißen müssen. Doch Paul ahnte noch nicht, was diese Erkenntnis für ihn bedeuten würde. Es war sein Fenster, das sich für die verschlossene Tür seiner bislang unerfüllten Liebe öffnete.

Dahinter stand sie, Nina. Sie jobbte als Aufsicht im städtischen Kunstmuseum. Eine von vielen, die sich in den zugigen Räumen die Beine in den Bauch standen und denen es untersagt war, sich zu setzen. Dass einer die Bilder oder Plastiken entwenden würde, war unwahrscheinlich. Eher, dass Kleinkinder oder ergraute Kunstverständige fahrig mit den Händen die Struktur des Bildes zu begreifen versuchten.

Nina studierte Psychologie. Ihre praktischen Erfahrungen sammelte sie zwischen 13 und 18 Uhr in den Sälen zwischen Renaissance und Naturalismus. Ihre Favoriten waren die Herren mit langen Schals, weiten Mänteln, ergrautem hohen Haaransatz und zu engem Schuhwerk. Oder die Schulklassen der Jahrgangsstufen sechs bis acht, die zwecks Erfüllung ihres kulturellen Lehrplans gelangweilt und unwissend an den Kulturschätzen des Alten Europas vorbeischlurften. Sehr zum Leidwesen der beschalten Herren. Junge Damen erfuhren erste Realitäten bei dem vergeblichen Versuch, alte Meister abzuzeichnen. Junge Herren hingegen verliefen sich nur selten in diese heiligen Hallen der Kunst. Einer der wenigen war Paul. Einer von den stillen Kunststudenten, die meist mit einem dicken Lehrbuch vergleichend von Bild zu Bild wanderten und von einer Karriere als Baselitz oder Gursky träumten.

Nina hasste Baselitz und liebte Paul, doch das wusste sie damals noch nicht. Damals waren die Tage noch lang und die Stunden langweilig. Und so kam sie auf eine Idee, die später ihre Semesterarbeit krönen sollte. Das suggestive Erlebnis fiktiven Kunsterlebens, so das sperrige Thema, der Inhalt war trivialer. Nina hatte beobachtet, dass die meisten Besucher erst nach dem Lesen des Künstlernamens ehrfurchtsvoll zurücktraten oder müde weitergingen. Dieses Phänomen brachte sie auf die Idee, hier das wahre Bildungsbürgertum von denen zu trennen, die lediglich zum Aufwärmen kamen. So vertauschte sie die Bildtitel und schuf Allianzen italienischer Maler mit holländischen Landschaften, barocker Frauen von kubistischen Künstlern und deutschen Biedermeier von Popartisten. Und die Leute waren ergriffen. Sie bestaunten einen Rubens aus dem Jahr 1815, verehrten einen Klee zu einem Bild von Vermeer und gingen an einem Caravaggio nichts ahnend vorüber.

Es war nur ein Spaß, den sich Nina mit den Besuchern machte, inniglich hoffend, dass keiner der anderen Museumswächter an den Tagen, an denen sie nicht arbeitete, dieses bemerken würde. Doch zu ihrer großen Überraschung fiel es keinem auf. Außer Paul. Paul war es gewohnt, seiner Kurzsichtigkeit wegen nahe an die Bilder heran zu treten, ohne jedoch auf Titel und Künstlername zu achten. Doch trotz mancher Ablenkung konnte selbst Paul es nicht verhindern, das eine oder andere seiner Vorlesungen zu behalten und wunderte sich, dass ein Peter Breughel eher einem Magritte als einem Hieronymus Bosch ähnelte. Nina wirkte irritiert, als er sie darauf ansprach und bat ihn um Verständnis, wenn bei einer Umdekoration mal ein Titelschild versehentlich hängen blieb. Sie versprach, sich umgehend darum zu kümmern. Paul wies sie in den kommenden Wochen noch auf gut ein Dutzend Verwechslungen hin, bis es ihr zu bunt wurde und sie ihn auf einen Kaffee einlud. Ihre Pause hatte gerade begonnen.

So trafen sich Nina und Paul, der sich verlegen fragte, wieso ausgerechnet ein Mädchen wie Nina mit ihm einen Kaffee trinken ginge. Sie redete wie ein Wasserfall, während er verträumt an ihren Lippen hing. Nina bemerkte sein Schweigen kaum. Erst als er auf eine ihrer Fragen nicht antwortete, schaute sie ihn irritiert an.

»Träumst du?«

»Wer ich?«, rief sich Paul zurück in die Gegenwart und sah sie überrascht an.

»Ich fragte mich gerade,«, erklärte er sein Schweigen,

»wen es interessiert, was man in einer Kunstausstellung sieht, als mir die Frage selbst dumm vorkam.«

»Nein, genau das ist die Frage. Die meisten Leute gehen schlicht an all den Bildern vorbei. Kultur wird abgehakt.«

»Aber warum, meinst du, gehen die Leute in eine Ausstellung, wenn nicht der Kunst wegen?«

»Weil es regnet, Besuch unterhalten sein mag, Singles auf der Suche nach Anschluss sind, oder es schlicht schick ist, am Montag seinen Kollegen zu erzählen, dass man am Wochenende im Museum war.«

»Nicht dein Ernst?« Paul sah sie schmunzelnd an. Sie lachte zurück. Er begann ihr zu gefallen.

»Nein, aber ein wenig mögen auch das Gründe sein. Und vielleicht reizt es manchen auch, dem Original gegenüberzustehen, das sonst als Druck über der Couch Staub ansetzt.«

»Naja, die Wenigsten sammeln Originale. Aber keinem fiel auf, dass seine Kopie zuhause hier unter einem anderem Namen hängt?«

»Nein, weil die meisten wohl weder Titel noch Maler des Bildes kennen und sich schon gar nicht für Maltechnik und Material interessieren. Andererseits sahen die, die sich die Mühe machten, die Bildunterschriften zu lesen, einen Miro hängen, wo sie an einem Jansen vorbeigegangen wären und blieben stehen. Umgekehrt gilt das Gleiche.«

»Aber war nicht genau das der Zweck deiner Studie?«

Nina bejahte. Dennoch war sie enttäuscht, dass die meisten Besucher sich nur für die Höhepunkte der jeweiligen Ausstellung interessierten und an weniger Bekanntem ungerührt vorbeigingen. Paul hingegen zeigte mehr Verständnis, dass nicht jeder Gast mit dem gleichen Interesse wie Nina die Galerie besuchte und verglich das mit einem Fußballspiel, wo auch nur die Topspiele die Stadien füllten und die meisten Gäste nur der Gaudi wegen kämen.

»Da ist kein Trainer traurig, wenn nicht jeder Zuschauer die Abseitsregel erklären kann. Ok, der Vergleich hinkt vielleicht, aber ich glaube, Fußballfans verstehen mehr vom Spiel als die Besucher hier von Kunst.«

Nina schwieg. Nicht nur, weil Paul Recht hatte, sondern weil sie ein Pärchen am Nachbartisch beobachtete, das sich stritt, weil sie keine Lust mehr hatte, bei dem schönen Wetter weiter durch die muffigen Hallen zu rennen, was ihn sichtlich enttäuschte.

»Mag sein«, entgegnete sie nach einer Weile und der Entscheidung des Pärchens, die Ausstellung vorzeitig in einen benachbarten Biergarten zu verlassen.

»Aber meine Pause ist rum. Wollen wir das vielleicht übermorgen fortsetzen? Da muss ich wieder arbeiten.«

Paul sah sie überrascht an.

»Ich müsste noch was für mein Fotoseminar fertig stellen, aber das kann auch warten«, log er sich selbst in die Tasche, denn die Fotostudie zum Thema Details im Lichte des Ganzen sollte bis Mittwoch abgegeben sein.

Nina hatte sein Zögern bemerkt und schlug daher vor, das Praktische mit dem Nützlichen zu verbinden und gemeinsam an der Fotostudie zu arbeiten. Insgeheim hoffte sie, bei einem Besuch bei Paul mehr über ihn zu erfahren. Paul hingegen machte ihr einen Strich durch die Rechnung und schlug den Botanischen Garten vor, weil ihm dort eine Idee zu seinem Thema vorschwebte. So verabredeten sie sich für 15 Uhr, er bot an, sie vor dem Museum abzuholen, und Nina war einverstanden.

Das war gestern, und die Zukunft konnte strahlender nicht sein. Doch leider sollte sich Paul hier irren.

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