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Rebecca

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Sie erreichten Levi zwei Straßenzüge vor der Wohnung von Rebecca. Er war außer Atem.

»Diese verfluchte Spinnerin!«, war das Erste, was er Paul und Marc entgegenschleuderte, als sie hörbar neben ihm zum Stehen kamen.

»Hi Levi, ich…«, begrüßte ihn Paul und wollte gerade erklären, wieso er nicht erreichbar war, als dieser ihm das Wort abschnitt.

»Fahr los, wir haben keine Zeit, reden können wir später.«

Das Getriebe bäumte sich kreischend auf, bevor der Wagen mit einem Ächzen davon schoss, Marc hatte vergessen zu schalten. Sekunden später hielten sie quietschend vor Rebeccas Wohnung.

»Klar, ich musste ihr den Schlüssel ja auch unbedingt zurückgeben«, stöhnte Levi beim Versuch, die verschlossene Haustür zu öffnen. So verlegte er sich darauf, wie ein Verrückter die Haustürklingel zu Rebeccas Wohnung zu drücken. Vergeblich.

»Niemals hat die sich was angetan«, versuchte sich Marc in erster Linie selbst zu beruhigen. Doch Levi war mittlerweile dazu übergegangen, das vergebliche Klingeln bei Rebecca durch wahlloses Drücken sämtlicher Klingelknöpfe der Hausbewohner zu ersetzen, was zu erbosten Sprüchen aus der Gegensprechanlage führte, bis endlich einer auf die Idee kam, den Türöffner zu drücken. Daraufhin stürmten sie zwei Uhr nachts das Treppenhaus empor, manch nachtschlafenden Blick aus geöffneten Türspalten fragend zurücklassend, bis sie schwer atmend vor Rebeccas Wohnungstür im Dachgeschoss ankamen. Levi probierte erst gar nicht die Klingel, sondern schlug dröhnend gegen die Holztür und rief Rebeccas Namen und irgendwas von, sie solle keinen Scheiß machen.

Paul überlegte gerade, wie man der Polizei den Lärm im Hausflur erklären könnte, als ihn splitterndes Glas aus den Gedanken riss und er überrascht aufsah. Levi hatte kurz entschlossen eine der Glaseinfassungen der Holztür eingeschlagen, griff durch das Loch nach der inneren Klinke und öffnete die Tür.

»Sonst geht’s dir gut?«

Paul erntete aber nur einen abschätzenden Blick und wurde von Marc durch die nunmehr offene Tür geschoben. Die Wohnung war verwaist, doch offensichtlich fehlten weder Kleidung noch irgendetwas aus ihrem Badschrank, was auf eine Reise hätte schließen lassen. Levi sank ausgelaugt auf den Badewannenrand.

»Und was machen wir nun?«

»Ja, beste Freundin, Familie, Polizei?«, schlug Paul vor, doch Levi winkte ab.

»Ich will die Pferde nicht scheu machen. Aber beste Freundin gibt’s keine, die einzige Bekannte, deren Nummer ich habe, hat Rebecca Ewigkeiten nicht gesehen. Und das Verhältnis zu ihren Eltern ist auch nicht gerade so toll, um diese mitten in der Nacht aus dem Bett zu reißen. Vor allem, um ihnen was zu sagen? Dass wir nichts Genaues wissen? Nee, bringt nix. Damit scheidet auch die Polizei aus.«

»Naja, Gewissheit könnte auch ins Auge gehen?«, gab Marc zu bedenken, worauf sich Levis Miene verfinsterte.

»Schlag was vor, Professor. Alle Brücken der Stadt abfahren? Oder die Straßenbahnschienen ablaufen? Das ist doch unlogisch.«

»Naja, Sarkasmus bringt sie auch nicht zurück«, gab Paul Marc Recht. »Wir müssen denken wie sie, wie eine Frau, die gerade erfahren hat, dass sich ihre Familienplanung in Rauch auflöste. Mit Logik kommst du da nicht weit.«

»Prima Idee, könnte von deinen Eltern sein. Ok, Lieblingsplätze? Stadtpark. Nein, nicht um zwei Uhr nachts. Kino allein, Quatsch. Kneipen sind zu, Stadtbad geschlossen. Stadtbad? Oh mein Gott. Kommt!«

Paul und Marc sahen Levi verwirrt nach, stürmten dann aber hinter ihm her aus der Wohnung. Die totale Dachschadenfamilie, dachte Paul, als er hinter Marc die Holztreppe des baufälligen Etagenhauses wieder hinunter tobte, abermals von missbilligenden Blicken aus den Türspalten verfolgt.

Aber es war Rebecca in diesem Zustand alles zuzutrauen. Sie hatte schon früher zu überraschen gewusst, nicht immer zur Freude der drei. Wie damals, als sie eine Bekannte von Marc aus der WG schmeißen wollte, weil Levi ihre Frage, ob er diese Frau hübsch fände, fahrlässigerweise bejahte.

Typisch Rebecca, dachte Paul damals. Er konnte nicht verstehen, wie es Levi seit drei Jahre mit diesem Störfall aushielt. Sie hatte sich im Laufe der Jahre einfach zu oft mit den WG Bewohnern und deren Gästen angelegt und versucht, ihre Lebensart zum Dogma zu erklären. Sanfte Diktatur nannte er das gern.

Levi lernte Rebecca anlässlich einer Vernissage im Anwesen seiner Eltern kennen, wo sie über einen Hostessenservice als Bedienung engagiert war und Canapés zusammen mit Getränken reichte.

Leviathan Ephraim Goldstein entstammte einer gutbürgerlichen Unternehmersfamilie, die seit drei Generationen mit elektronischen Bauteilen expandierte. Angefangen hatte alles mit Werkteilen für Industriemaschinen, später erste elektronische Elemente für Radio und Telefon, bis Levis Großvater die erstarkende Automobilindustrie als Zugpferd einer technischen Zukunft ausmachte. Das hatte sich bewährt, und es war Tradition, den Firmensitz in der männlichen Linie weiterzugeben. Deshalb auch Levis Informatikstudium, denn sein älter Bruder Niklas hatte nach einer Banklehre Betriebswirtschaft studiert und ging seinem Vater in der Firma zur Hand. Die Mutter widmete sich überwiegend gesellschaftlichen Verpflichtungen, organisierte Charity-Veranstaltungen oder förderte Kunst, unter anderem durch Ausrichtung von Vernissagen. Auf eben einer solchen kreuzten sich die Wege von Levi und Rebecca, vielmehr sie prallten aufeinander, was sie den Job und ihn den Anzug kostete. Doch da hatte die Familie die Rechnung ohne Rebecca gemacht. Statt sich peinlich berührt aus dem Haus zu stehlen, nachdem sie die über den Boden verstreuten Häppchen beseitigt hatte, baute sie sich vor dem Hausherrn auf und erklärte ihn zum persönlichen Problem der Gesellschaft, in der es noch immer dienende und herrschende Unterschiede gäbe und er Grund und Ursache dafür sei. Er solle sich schämen, und der Fauxpas mit dem Tablett stelle so etwas wie den ersten Schritt einer notwendigen Umgestaltung der Gesellschaft dar. Sie gehe mit erhobenem Haupt, und die Rechnung für die Reinigung könne man gern dem Hostessenservice schicken. Das tat man auch, doch dort hatte Rebecca bereits gekündigt.

Levi verfolgte mit offenem Mund den Auftritt Rebeccas vor dem Firmenpatriarchen. Er bewunderte sie. Er, der seinen Vater fürchtete, dem keiner zu widersprechen wagte, nicht einmal seine Mutter. Manchmal versuchte sein älterer Bruder sich gegen Vater durchzusetzen, doch meist vergebens, denn dessen Credo lautete: Solange der Stab nicht weitergegeben ist, rührt ihn auch keiner an. Und da stand dieses zierliche Mädchen. Eine Hand in die Seite gestemmt, fuchtelte sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger der anderen vor der Nase seines Vaters herum. Er war ihr auf der Stelle verfallen.

Doch es hatte fast ein Jahr gedauert, bevor er die Liaison öffentlich machte. Seine Mutter ahnte es längst, ebenso sein Bruder, doch zum Schluss hatte sich Rebecca einmal mehr durchgesetzt und einen Schlussstrich unter die Heimlichkeiten gezogen, indem sie bei Levis Vater in der Firma auftauchte und ihm erklärte, sie liebe seinen Sohn, und er möge sich schon mal mit dem Gedanken anfreunden.

Das tat dieser nie, und Levi hatte es nicht leichter, den Ansprüchen seines Vaters gerecht zu werden. Dem war Zweitklassigkeit ein Dorn im Auge. Er duldete es nicht, wenn seine Söhne zu Schulzeiten die zweitbeste Arbeit schrieben. Die beste wurde mit einem Nicken zur Kenntnis genommen, der Rest bestand aus Strafarbeiten, Nachsitzen, Nachhilfelehrer oder enttäuschtem, eisigen Schweigen, das Levi am meisten schmerzte. So war seine Kindheit von stetem Leistungsgedanken geprägt, Konkurrenz war nur dazu da, sie zu besiegen, besser als die Erwartungen seines Vaters zu sein. Umso mehr imponierte ihm der respektlose Umgang Rebeccas gegenüber seinem Vater. Wäre nicht seine Mutter gewesen, die vermutlich aus ähnlichen Gründen Rebecca mochte, hätte diese ihren Fuß kein zweites Mal auf das Anwesen der Goldsteins gesetzt.

Mittlerweile ging Rebecca nicht gerade bei Levis Familie ein und aus, aber man hatte gelernt, sie zu tolerieren. Selbst Levis Vater hielt sich mit offener Ablehnung zurück, nicht ohne Levi bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren zu lassen, was er von dieser Beziehung hielt. Das war vermutlich auch der Grund, weshalb Levi Rebecca überhaupt drei Jahre ertrug, denn seinem Vater einzugestehen, dass er mit seiner Einschätzung dieser Frau richtig lag, ließ ihn die immer anstrengender werdende Beziehung stumm ertragen. Es sollte sein Sieg sein und wurde nun zu seinem Waterloo. Rebecca führte die Beziehung, wie sie ihr ganzes Leben lebte, ohne Kompromisse. Sie hatte früh erreicht, dass Levi seine Wünsche, Träume und Erwartungen an den ihrigen ausrichtete, seine Ideale opferte, um Rebeccas anzunehmen, seinen Freundeskreis mied, um ihr nahe zu sein, ihr, die kaum Bekannte hatte. Sie dankte es ihm mit Monologen über seine Schwäche seinem Vater gegenüber, über die seiner ganzen Familie im Umgang mit diesem Kapitalistenschwein. Sie schleppte ihn von Veranstaltung zu Veranstaltung, auf der ihm begreiflich gemacht werden sollte, wie wenig sich Kapital und Humanismus, Demokratie und Polizeistaat, Soziales und Elitebildung vertrugen. Sie warf ihm seine privilegierte Internatsausbildung ebenso vor, wie sie Männer vom Schlage seines Vaters für sämtliche sozialen Unterschiede verantwortlich machte. Sein Argument, dass Männer wie sein Vater erst die Grundlagen für Beschäftigung und damit Bildung legten, ließ sie nicht gelten.

Sie war in einem Künstlerverbund aufgewachsen, in der sie sich weitgehend selbst überlassen blieb, während ihre Eltern dem Traum der klassenlosen Gesellschaft nachhingen und regelmäßige Arbeit als Verrat am geknechteten Proletariat ansahen. Diese Indoktrination hatte Spuren hinterlassen und führte bei Levi, der Rebecca anfänglich als ersehntes Fanal gegen seinen Vater sah, zur Rückbesinnung auf die ihm vermittelten Werte seiner Familie. Diese gaben auch den schleichenden Anstoß, sich dieser Last zu entledigen und zurück ins normale Leben zu finden.

Ein erster Schritt der Rebellion war seine Entscheidung, zu Paul und Marc in die WG zu ziehen, torpedierte er doch damit Rebeccas Pläne auf eine gemeinsame Wohnung. Hier war sie überraschend konservativ. Eine Ansammlung kommunenartig zusammenlebender Menschen, wie sie es als Kind erleben musste, lehnte sie ab. Vielmehr wollte sie sich eine eigene Kleinfamilie schaffen. Eine weiterführende Schule hatte sie nie besucht, ihr überdurchschnittlich gutes Aussehen verhalf ihr regelmäßig zu kleinen Werberollen, Fotoaufträgen oder Hostessenjobs, mit denen sie sich über Wasser hielt. Levis Ratschlag, einen Beruf zu erlernen, löste bei Rebecca eine emotionale Eruption aus. Sie warf ihm vor, er würde immer mehr seinem Vater ähneln, und es sei ihm doch nur peinlich, dass er vor seinen elitären Freunden und Familie nicht mit ihr angeben könne. Levi ließ all das geduldig geschehen, beglich ihre Rechnungen und war durch ihr Äußeres zu gefangen, um sich dieser Verlockung durch zu viel Widerspruch zu entziehen.

Dieser Rauschzustand hielt zwei Jahre an. Dann wachte Levi auf, und mit dem Erwachen erstarb die Liebe, kühlte die Lust ab. Doch Rebecca war keine Frau, die man einfach so verließ. Sie war dramatisch, emotional und berechnend. Sie wusste, eine bessere Partie bekäme sie so bald nicht mehr und registrierte Levis Wesensänderung mit Sorge. Sensibel genug, ihre Vorteile im Auge zu behalten, spürte sie, dass er sich ihr entzog, plötzlich andere Frauen wahrnahm und immer häufiger Widerspruch Themen gegenüber leistete, wo sie sein Ego längst gebrochen glaubte. Sie machte anfänglich in gewohnter Weise seinen Vater, später seine WG und zum Schluss eine andere Frau dafür verantwortlich.

Diese gesteigerte Eifersucht ließ ihre sorgsam gepflegte Maske fallen und brachte ihre neurotischste Seite zum Vorschein. Tage- und nächtelang verfolgte sie ihn, rief ununterbrochen aus diversen Telefonzellen an und lauerte ihm an den unmöglichsten Orten auf. Kein noch so flüchtiger Kontakt zum anderen Geschlecht blieb ihr verborgen und gab ihr Grund genug, sich für ihre immer häufigeren Eifersuchtsszenen Levi gegenüber gerechtfertigt zu fühlen.

Das war letztlich der bemühte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und Levi zu dem Entschluss, sich zu trennen. Auf einer daraufhin von Paul und Marc spontan veranstalteten WG Party wäre es auch fast zur vorzeitigen Trennung gekommen, denn Rebecca bekam Wind davon und lud sich kurzerhand selbst ein. Eisiges Schweigen schlug ihr bei ihrem unerwarteten Erscheinen auf dem Fest entgegen und ließ sie ahnen, was hier gefeiert wurde. Da setzten ihre Sicherungen aus, sie schrie Levi vor dessen versammelten Freunden in Grund und Boden, beschimpfte sämtliche Anwesenden und stürmte mit versteinertem Gesicht aus der Wohnung, nicht ohne Levi dessen Hausschlüssel vor die Füße und die Tür krachend ins Schloss geworfen zu haben. Dieser hob den Schlüssel wortlos auf, steckte ihn ein und bat, die zwischenzeitlich verstummte Musik wieder anzuschalten.

Diesem Auftritt folgten in viertelstündigem Abstand diverse Anrufversuche Rebeccas und ein weiteres Zusammentreffen am kommenden Tag, wo sie ihn wenige Meter von seinem Haus entfernt abfing. Sichtlich bemüht, ihre Emotion im Griff zu halten, versuchte sie ihren gestrigen Auftritt zu erklären, Schuld abzuwälzen und ihn an seine Verpflichtung ihr gegenüber zu erinnern. Doch Levi fühlte sich zu nichts verpflichtet, gab seinerseits Rebecca ihren Zweitschlüssel zurück und verabschiedete sich kühl.

Das war das letzte Treffen dieser Art und ein Befreiungsschlag, wie ihn Levi selten zuvor erlebt hatte. Vielleicht nur, als sein Vater anlässlich seiner bestandenen Zwischenprüfung erklärte, sich nach Levis Abschluss allmählich aus der Firma zurückziehen zu wollen. Er war frei und vermochte kaum zu beschreiben, welche Last ihm genommen ward, welche Energie ihn die letzten, nunmehr drei Jahre gekostet hatten und welche Enttäuschung all das für ihn gewesen war. Sein Vater überraschte ihn, als er auf die Mitteilung der Trennung keineswegs selbstgefällig grinste, sondern seinen Sohn fragte, wie es ihm ginge und wusste, dass der Schmerz nachlassen werde. Levi verspürte keinen Schmerz, aber zum ersten Mal seit Jahren ein Gefühl für seinen Vater, dessen Verständnis ihn mehr überraschte, als ein plötzlicher Frieden im Nahen Osten.

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