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Botanischer Garten

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Paul war zu früh dran. Während er vor dem Museum nach einer Sitzgelegenheit suchte, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Es war Bernd, ein Freund und Geschäftspartner von Bones, mit dem er die beiden Pornokinos und das Henkersmahl, ein Lokal der Stadt, betrieb. Bernd schien trotz der spätsommerlichen Temperaturen zu frieren, als er hagere zwei Meter hoch, nach vorn gebeugt und mit untergeschlagenen Armen auf Paul zugesteuert kam. In seinem Restaurant war er seine eigene Requisite. Einem Vollstrecker gleich begrüßte Bernd die Gäste, kümmerte sich um deren Wohl, oder was er darunter verstand, und wurde wie sein Lokal nur der Henker genannt.

»Gibt’s Ärger im Henker?«, begrüßte ihn Paul.

»Nein, aber Bones sucht dich. Wohl nichts Wichtiges, er bat mich nur, dir Bescheid zu geben, falls wir uns zufällig treffen. Auftrag erfüllt. Und was gibt’s Neues?«

»Nicht viel. Aber warum ruft er mich nicht einfach an?«

»Keine Ahnung. Vielleicht gibt’s neue Wichsfilmchen, und er lädt persönlich zur Premiere«, grinste Bernd.

»Wie witzig.« Paul war sauer. Er hatte, anders als Bernd, kein Vermögen von seinen Eltern geerbt und war auf den Job angewiesen.

»Nix für ungut. Bones kümmert sich um den Personalplan und braucht dich eventuell an der Bar. Lass dich halt mal blicken, er hat heute Dienst.«

Gerade als Paul antworten wollte, bemerkte er Nina aus dem Museum auf sie zukommen. Bernd musste sie auch gesehen haben und hatte richtig kombiniert.

»Also, ich halte mal zwei Plätze frei, kannst es dir ja überlegen.«

Danke, wird nicht nötig sein, wollte Paul noch erwidern, da klingelte das Mobiltelefon von Bernd. Dieser nahm an, wandte sich ab und ging grußlos in die Richtung zurück, aus der er wenigen Minuten zuvor gekommen war.

»Wer war das denn?«, fragte Nina, nachdem sie sich begrüßt hatten.

»Der Henker, also Bernd, der Inhaber vom Henkersmahl«, korrigierte sich Paul, als er Ninas fragenden Blick bemerkte. Sie kannte das Lokal offensichtlich nicht, weshalb Paul überlegte, vielleicht doch gemeinsam am Abend hinzugehen, bevor er Nina anbot, deren Tasche zu tragen.

»Sind Bücher drin«, erklärte diese ungefragt.

»Henkersmahl also? Eine Kneipe hier in der Stadt?«

»Ja, schon drei Jahre und nein, keine Kneipe, sondern ein echtes Speiselokal, allerdings der etwas anderen Art. Wenn du magst, könnten wir heute Abend dort mal vorbeischauen. Bones, der Geschäftspartner von Bernd, will mich sehen.«

»Bones?« Die Augenbrauen von Nina hoben sich. »Der Henker und Bones. Scheint ja ein bezauberndes Lokal zu sein. Was es da wohl gibt? Auf der Autobahn überfahrene Tiere nach dem Motto Kill and Grill

»Lass dich überraschen. Bernd, der Typ von eben, hält uns zwei Plätze frei, falls wir später noch Appetit auf ein paar blutige Feldhasen mit Reifenspuren haben.«

»In welchem Kino arbeitest du eigentlich?«, fragte ihn Nina, als sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren.

Paul blieb glücklicherweise die Antwort erspart, da Nina einem kreuzenden Radfahrer ausweichen musste, dem sie wütend hinterher schimpfte. Schnell wechselte er das Thema und erzählte von seiner Seminararbeit, dem Grund des heutigen Ausfluges, bei dem Paul hoffte, im Botanischen Garten Motive für ein paar geeignete Bilder zu finden.

»Was fällt dir zuerst zum Botanischen Garten ein?«, fragte er Nina unvermittelt und gab sich, noch bevor sie reagieren konnte, selbst die Antwort. »Natürlich Pflanzen, Gewächshäuser, Schmetterlinge, Blumen und ganz viel Grün. Dann noch Mütter mit Kinderwägen, Pärchen und Rentner. Doch kein Mensch denkt an Zigarettenkippen, Schokoriegelverpackung, Eisstiele, Coladosen und den ganzen Kram, der keinen Mülleimer zwischen all dem Grünzeug findet.«

»Du willst Müll im Paradies fotografieren?«

»Warum nicht? Ist doch auch ein Detail im großen Ganzen des Parks, wenn auch nicht gerade das, was meine Dozenten vermutlich erwarten. Aber das sind die ja von mir gewohnt.«

Mittlerweile kamen sie am Botanischen Garten an. Paul zahlte Nina den Eintritt, und gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach achtlos weggeworfenen Zeugnissen menschlicher Hinterlassenschaften. Nach einer beachtlichen Anzahl von Motiven zwischen Heilpflanzen, Sommerblumen, in Steingärten, neben Kakteen und sogar auf Seerosenblättern ruhten sie sich in einem kleinen Biergarten neben einer Liegewiese mit Blick auf einen Abenteuerspielplatz aus.

»Ist das nicht unfair, dass es Erwachsenen verboten ist, auf so etwas rumzuturnen?«, zeigte Nina auf die Kletterburg des Spielplatzes.

»Naja, wo kein Kläger, da kein Richter. Lass uns klettern gehen.«

Nina kicherte, zog es aber vor, bei ihrem Kaffee sitzen zu bleiben.

»Vielleicht später, aber schaukeln würde ich schon gern mal wieder.«

Verträumt rührte sie in ihrer Tasse, ohne je Milch oder Zucker hineingetan zu haben. Amüsiert klickten sie sich durch die diversen Müllfotos auf Pauls Kamera und waren mit ihrer Ausbeute ganz zufrieden. Einzig die Auswahl würde schwer fallen und die Kombination der Details zu den Panoramafotos der Gartenanlage. Doch darüber wollte sich Paul an diesem Abend keine Gedanken mehr machen.

»Jetzt haben wir ständig nur über unser Studium oder die Arbeit gesprochen. Wo wohnst du eigentlich?«, wechselte Paul plötzlich das Thema, und Nina sah ihn überrascht an.

»In einer WG«, entgegnete sie wortkarg und suchte nach der Geschirrrückgabestelle des Biergartens.

»Lass mal, ich mach das schon«, kam ihr Paul zuvor und trug Tablett und Tassen zur Schankausgabe. Zurück am Tisch fand er Nina am Telefon und das in ziemlich schlechter Stimmung.

»Ich habe dir tausendmal gesagt, du sollst ihn nicht in unsere Wohnung lassen, ich habe dann wieder die ganze Arbeit. Ich komme später, bis dahin ist der Köter raus und Henry am besten gleich mit.«

Wütend legte sie auf und sah Paul an. Ein Lächeln versuchend erklärte sie ihm, dass er mit seiner Frage nach der Wohnung sie daran erinnert hatte, ihrer Mitbewohnerin etwas auszurichten. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, dass deren Freund mal wieder in der WG herumlungerte und mit ihm dessen Hund, den Nina auf den Tod nicht ausstehen konnte.

»Den Freund oder den Hund?«

»Beide«, seufzte Nina.

»Henry, der Freund meiner Mitbewohnerin, hängt den ganzen Tag nur rum, studiert im 18. Semester irgendwas, hasst regelmäßige Arbeit und liegt seiner Freundin, besser unserer WG ständig auf der Tasche. Dazu kommt, dass er einen ebenso räudigen Hund dabei hat, der glaubt, unsere Wohnung sei sein Spielplatz und auch vor den Privaträumen nicht Halt macht. Ziehe nie in eine WG, man hat nur Ärger.«

»Ich wohne in einer, aber bei uns hat keiner einen Hund oder feste Freundin, die bei uns rumlungern könnten«, zwinkerte Paul ihr versöhnlich zu. Nina schien ehrlich wütend, und das gefährdete seine Abendplanung.

»Jetzt lass uns mal an was anderes denken, und wenn du mich später zu dir auf nen Kaffee einlädst, können wir ja gemeinsam bei euch aufräumen.«

»Soweit kommt’s noch«, ließ ihn Nina im Unklaren, ob sie damit nur sein Putzangebot meinte. Stattdessen blätterte sie in der Speisekarte des Biergartens.

»Hunger?« Nina nickte. »Wie war das noch mal mit deinem Henkersmahl? Ist das weit von hier?«

Auch sie hatte die angespannte Stimmung gespürt und wusste, dass Paul für ihren Ärger nichts konnte. Sie suchte seit einiger Zeit eine alternative Bleibe, doch die meisten Apartmentwohnungen waren zu teuer und von Wohngemeinschaften hatte sie genug. Ihre Eltern waren zudem der Meinung, sie könne wie ihre Schwester zuhause wohnen, weshalb Nina keinen Mietzuschuss erhielt, ein Dauerstreitthema. Aber sie wollte Paul auch noch nicht am ersten Abend mit zu sich nehmen.

»Nein, ein paar Stationen mit der Straßenbahn oder 30 Minuten gemütlich zu Fuß.«

»Lass uns laufen«, entschied sie und erhob sich.

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