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Henkersmahl
ОглавлениеGegen 19 Uhr kamen sie im Henkersmahl an. Das Lokal war im Stil einer Haftanstalt mit am Boden befestigten Stahlrohrstühlen und an die Wand klappbaren Resopaltischen spartanisch eingerichtet. Zusätzlich gab es eine gefängnisgerechte Essensausgabe mit entsprechenden Blechschüsseln oder Tabletts, auf denen Vertiefungen für die einzelnen Speisen vorgesehen waren.
»Fast wie in der Mensa«, schmunzelte Nina beim Anblick dieses für ein Restaurant ungewöhnlichen Geschirrs und der hinter der Ausgabe aufgereihten Töpfe und Kasserollen. Nackte Glühbirnen baumelten von der Decke über den Tischen und gaben müdes Licht. Neonröhren oberhalb der Essensausgabe unterstrichen die Tristesse. Vereinzelt saßen leise tuschelnd Gäste an den Tischen, zwischen denen zwei Kellner in Wärterkleidung patrouillierten und gelegentlich lauter sprechende Gäste anherrschten, sie sollen leiser reden, man wäre hier nicht zum Vergnügen. Nina hob irritiert die Augenbrauen und schaute unsicher zu Paul herüber, der sie grinsend durch das Lokal schob.
»Das besondere Glanzstück hier«, versuchte er Nina vom ersten Eindruck abzulenken, »ist die Green Mile Bar, zu der man am Ende auf dem Weg zum Klo kommt. Falls dir mal nach etwas wie Endstation, Kopfschuss oder Gnadenerlass ist, wärst du hier goldrichtig. Manchmal arbeite ich auch dort.«
Nina folgte ihm langsam. Die Bar selbst ähnelte dem Besucherraum eines Gefängnisses, wo die Gäste einander durch perforierte Glasscheiben getrennt gegenüber saßen, die Getränkekarte an den Platz gekettet war und man die Bestellung per Telefon aufgab. Der andere Teil der Bar bestand aus Stehplätzen ohne Glasscheibe, wo man dem Keeper seine Bestellung ins Ohr schreien musste, denn immer wenn eine Flasche leer war, ging eine Sirene an, und die Gäste konsumierten eine Menge.
An den Preisen der Bar lag das nicht, denn die waren alles andere als spartanisch, doch je übler Bernd und Bones ihre Gästen behandelten, desto mehr stieg die Stimmung und der Konsum. Die kellnernden Wärter trugen zur Uniform Schlagstöcke, Lederhandschuhe und Springerstiefel. Der Gast erhielt, was der Kellner für ihn bestimmte. Widerspruch wurde nicht geduldet, ebenso wenig Tischreservierungen. Diskussionen führten zum sofortigen Lokalverbot, zumindest für den jeweiligen Abend. Am Eingang sortierte ein finsterer Blockwart bereits ungebetene Gäste aus und wies diesen wortkarg die Tür, ausnahmslos und ohne Ansehen der Person.
Das mehrte den Ruf, und das Henkersmahl avancierte rasch zu einem Geheimtipp der Stadt. Die wochentägliche Auswahl an Speisen wechselte, doch mehr als fünf waren es selten, in aller Regel Bodenständiges, wie Bockwurst mit Kartoffelsalat, Gulaschsuppe, Schnitzel mit Pommes oder zu weich gekochte Nudeln. Soße war Glückssache. Doch hier passte der Preis zum Niveau, denn anders als die Cocktails an der Bar war das Essen billig.
Nicht so am Wochenende. Da gab es Essen a la Card, das den letzten Gerichten zum Tode verurteilter Strafgefangener oder Vorgaben aus berühmten Kriminalgeschichten nachempfunden war. Ein Abend der Woche gehörte der städtischen Tafel, und zumeist Knast erfahrenes Publikum füllte die Zellen, Kerkernischen oder die Green Mile. Lauthals wurden da Geschichten aus diversen Haftanstalten und deren Küchen zum Besten gegeben. Wertvolle Informationen, die Bones sammelte und gelegentlich in die Mittagskarte einfließen ließ.
In unregelmäßigen Abständen veranstaltete das Lokal so genannte Freigängerabende, an denen ausschließlich, zumeist lokale Prominente und solche, die sich dafür hielten, hoffen durften, vom Einlass erkannt und inhaftiert zu werden. Vor dem Lokal war ein bis zur Straße reichender Käfiggang aufgestellt, an dem die VIPs vorfahren konnten, um dort von zwei Hilfsschergen aus dem Auto gezerrt und zum diensthabenden Einlasswärter eskortiert zu werden. Dieser entschied mit einem stummen Wink seines abgespreizten Daumens über die Schulter ins Lokal oder im Falle des Nichterkennens zu einer schmalen Seitentür des Käfigs. Durch diese wurde der gedemütigte Möchtegernprominente in die johlende und gaffende Menge von Autogrammjägern, Neugierigen und Medienvertretern geschoben. Kostenlose Publicity. Als besonderen Gag bot das Lokal jedem Gast, der in Sträflingskleidung erschien, ein Freigetränk an. Das war an den Promiabenden eine echte Ersparnis.
Paul und Nina kamen an einem ganz gewöhnlichen Dienstagabend im Henker an, fanden ihren gegen die Gewohnheit des Lokals reservierten Platz und harrten der Dinge, die da kommen mochten.
»Was isst man hier am besten?«, frage Nina unsicher.
»Das suchen die schon für dich aus, aber allzu wählerisch darfst du dabei nicht sein.«
Dass er dabei übers ganze Gesicht lachte, half jedoch wenig gegen Ninas mulmiges Gefühl. Bones hatte Paul zuerst gesehen und wies zwei der Kellner an, ihm die Spezialbehandlung angedeihen zu lassen. Diese bestand darin, sich einen überraschten Gast, gleich einem rebellierenden Insassen, zu schnappen, ihm Häftlingskleidung überzustülpen und in Hand- sowie Fußschellen auf einen elektrischen Stuhl inmitten des Raumes zu schleifen und zu verkünden, dass die letzte Mahlzeit des Delinquenten aufs Haus ginge. Danach durfte sich der Gast, von Hand- und Fußschellen befreit, wieder zurück an seinen Platz begeben und sich von diesem Übergriff erholen. Seine Gäste aßen und tranken an diesem Abend ebenfalls umsonst.
Dieses Mal erwischte es Paul zum Entsetzen von Nina, die eingangs nicht wusste, dass es sich lediglich um einen groben Scherz handelte. Erst als Bones an den Tisch der Beiden trat, sich vorstellte und mit ihnen anstieß, konnte auch Nina über diesen Gag lachen. Mittlerweile hatten die Wärter zwei gefüllte Blechnäpfe auf den Tisch knallen lassen. Es gab Schupfnudeln, Erbsensuppe und Bier aus schartigen Gläsern. Auf die Frage von Paul, wieso Bones ihn sehen wolle, winkte dieser ab und vertröstete ihn auf die Bar, an der er die Paul und Nina später erwartete.
»Wieso heißt er eigentlich Bones?«, flüsterte Nina, als dieser gegangen war.
»Frag ihn selbst oder besser noch, lass dir seine Tätowierung zeigen. Machst du doch Karl Herrmann, oder?«, rief Paul lachend zu Bones rüber, der ihm nur seinen ausgestreckten Mittelfinger zeigte.
»Und woher kennt ihr euch?«, erkundigte sich Nina weiter, während sie überlegte, ob sie sich bei den grimmigen Kellnern in Wärterkleidung trauen könne, nach einem Kaffee zu fragen.
»Aus Griechenland«, nuschelte Paul mit vollem Mund.
»Sicher.«
»Tatsächlich, wir liefen uns in Athen über die Füße, naja, eher er mir als umgekehrt. Eine längere Geschichte.«
»Lass dir Zeit, fliehen können wir ja nicht«, zwinkerte Nina Paul mit einem Seitenblick auf die vergitterten Fenster und die patrouillierenden Wärter zu. Er war einverstanden und drehte sich nach der Bedienung um.
»Aber vorher noch zwei Kaffee.«
Nina nickte begeistert, bat ihn jedoch zu bestellen. Ohne nachzudenken rief Paul einem der Kellner die Bestellung zu. Ein Fehler. Der angesprochene Kellner schoss herum, sah Paul wie seinen Todfeind an, holte tief Luft und schrie durchs halbe Lokal, dass einigen Gästen fast die Gabel aus der Hand fiel, was sich Insasse Nr. 13 einbilde und ob dieser vermeine, hier im Hotel zu sein. Mit wütender Geste schlug der Kellner schwungvoll mit dem Schlagstock zwischen Paul und Nina auf den Tisch, dass die Biergläser klirrten, baute sich vor Paul auf und stierte ihm bebend und mit rot geschwollenem Kopf in die verunsicherten Augen. Paul stammelte etwas von lediglich zwei Kaffee und versuchte dem Blick auszuweichen. Da griff der Kellner den Kopf von Paul und drehte ihn sich genau vor den schäumenden Mund und befahl, Paul möge das wiederholen. Paul schwieg irritiert, worauf der Kellner ihn nochmals anschrie, dass er nichts höre. Da wiederholte Paul flüsternd seine Bestellung.
»Lauter!!!« Paul hob die Stimme.
»Noch lauter, wir sind hier nicht im Mädchenpensionat.«
Paul schrie nun ebenfalls seine Bestellung heraus. Daraufhin ließ der Kellner den Kopf von Paul los, richtete sich auf und lächelte freundlich.
»Geht doch, zweimal Kaffee, kommt sofort.«
Das Publikum johlte, klatschte, und Paul war zum zweiten Mal Mittelpunkt des Abends, etwas was ihm sichtlich unangenehm war. Nina lachte und wartete auf seine Erzählung über Bones.
Paul beendete die Geschichte an der Bar. Dass ihm Bones auch den Nebenjob als Filmvorführer in dessen Pornokino verschafft hatte, verschwieg er Nina vorerst. Es schien ihm nicht das geeignete Thema am ersten gemeinsamen Abend zu sein, einem Abend, an dem wenige Gäste im Henker waren und Bones genügend Zeit blieb, sich den beiden zu widmen. Allerdings hatte er bislang mit keinem Wort erwähnt, weshalb er Paul unbedingt sprechen wollte. Als Nina sich kurz frisch machen ging, fragte Paul ihn abermals. Erneut winkte Bones ab.
»Das ist eine längere Geschichte, mit der wir uns heute nicht den Abend verderben sollten. Ahnte doch nicht, dass der ewige Single hier mit einer echten Frau aufschlägt.«
Paul war gekränkt. Immerhin hatte er seine bislang einzige Freundin zwei Jahre lang davon abgehalten, ihn wieder zu verlassen. Den Liebeskummer danach hoffte Paul, nun endlich überwunden zu haben.
»Wir sehen uns am Donnerstag im Kino, dann haben wir Zeit zum Reden«, unterbrach Bones Pauls Grübeleien, während Nina vom Klo zurückkam.
»Na, was trinken wir jetzt?«, fragte sie aufgekratzt, hatte Bones die Beiden doch bereits auf einige Cocktails eingeladen.
»Die Grüne Witwe wird gern genommen«, antwortete Paul mit einem Augenzwinkern zu Bones, der bereits zur Absinthflasche griff.
»Allerdings nur für gestandene Männer.«
»Ach was, ich vertrag das schon«, fuhr ihm Nina über den Mund, unsicher, ob sie tatsächlich noch etwas trinken sollte, als Bones die Gläser mit der giftgrünen Flüssigkeit vor sie hinstellte.
»Ich kann dich nicht heim tragen«, warnte Paul bei Ninas zweifelndem Blick auf die Gläser.
»Keine Sorge, den einen überlebe ich noch, und dann gehen wir sowieso, ich muss morgen früh raus«, beruhigte sie ihn.
Bones verabschiedete seine Gäste zwei Gläser später mit einem kräftigen Schlag auf Pauls Schulter und einem dicken Schmatz auf Ninas Wange und ließ sie von Bernd zur Tür begleiten.
»Wenn ihr das nächste Mal kommt, zieht euch was Gescheites an«, gab dieser barsch den Beiden mit auf den Weg, bevor er sie grußlos in der Nacht stehen ließ. Nina sah ihm verwirrt nach, Paul aber lachte.
»Es ist sein Job, unfreundlich zu den Gästen zu sein. Der meint das nicht so. Vermutlich sahst du nur viel zu gut aus für den Laden.«