Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 58
13.
ОглавлениеDer Mann brannte. Judas Ischariot musste so gebrannt haben, als er mit seinem Säckchen voller Silbermünzen zu den Sadduzäern im Tempel rannte, voller verzweifelter Hoffnung, rückgängig machen zu können, was er getan hatte. Judas Ischariot war gescheitert. Melchior Khlesl fragte sich, ob er sich wünschen sollte, dass der Mann vor ihm ebenfalls scheitern würde.
Er sprach spanisch gefärbtes Latein, das sich vor allem durch harte Konsonanten auszeichnete. Seine Brillengläser waren so verschmiert, dass seine verzerrt vergrößerten Augen dahinter wie voller Katarakte aussahen. Der Bischof ahnte, dass der Mann dennoch hindurchblicken konnte, ohne die Schmiere überhaupt wahrzunehmen; ein Blick wie seiner drang durch Wände.
„Pater Hernando de Guevara“, sagte Bischof Melchior vorsichtig in seinem eigenen geschliffenen Latein und legte die Hände flach auf den Tisch. „Ich muss gestehen, ich habe kein Wort verstanden von dem, was du gesagt hast.“ Die Lüge war seinem Gesicht nicht anzusehen. Er hatte sehr wohl verstanden. Er hatte vor allem eines verstanden: der junge Mann auf dem Besucherstuhl hatte zwei Päpste auf dem Gewissen.
Die vergrößerten Augen hinter den Brillengläsern zuckten schmerzvoll.
„Ich kann meine Schuld nicht wieder gutmachen“, stöhnte Pater Hernando. „Aber ich kann verhindern, dass sie noch größer wird. Ich brauche deine Hilfe, Ehrwürden.“
„Warum ausgerechnet meine?“
„Du bist der Mann, den ich gesehen habe, als der Heilige Vater ins Kollegium einzog. Ihr habt euch zugenickt.“
„Papst Innozenz? Kardinal Facchinetti?“
„Und du hast ihm beigestanden, als er … als er …“
„Gestorben ist“, sagte Bischof Melchior, ohne dass jemand seiner Stimme angemerkt hätte, dass er dabei mit den Zähnen knirschte.
„Ich habe Erkundigungen eingezogen und deinen Namen dabei herausbekommen, Ehrwürden.“
„Und jetzt bist du hier. Von Rom nach Wien in ein paar Tagen. Eine mörderische Strapaze, Pater.“ Vor Beginn des Frühlings, über Straßen, die sich lediglich dadurch von den umgebenden Äckern unterschieden, dass man auf ihnen nur bis zu den Knöcheln im Schlamm versank. Aber die Dominikaner hatten ein weit verzweigtes Netz an Klöstern und Klausen, und die Angehörigen des Ordens, die sich in der Welt bewegen durften, waren zumeist von der Machart, dass sie die unmenschlichsten Strapazen ohne mit der Wimper zu zucken noch vor der Morgenmahlzeit ertrugen und danach, mit einem einzigen Becher heißen Wassers als Stärkung, erst wirklich zur Hochform aufliefen.
„Ich muss nur noch so lange am Leben bleiben, bis ich meine Mission erfüllt habe.“
„Jetzt kommen wir zu dem Teil, den ich nicht verstanden habe“, sagte der Bischof.
„Ehrwürden, bitte …“ Der unglückliche Mönch hob beide Hände. „Ich bin sicher, der Heilige Vater hat dir sein Herz ausgeschüttet.“
Bischof Melchior schwieg.
„Ich werde sie verbrennen!“, stieß Pater Hernando hervor. „Wenn es sein muss, springe ich mit ihr zusammen ins Feuer. Wenn es sein muss, brenne ich ein ganzes Land ab, nur um sicher zu gehen, dass sie danach nicht mehr existiert.“
„Hmmm“, machte Bischof Melchior. In seinen Magen begann sich ein Stein zu senken.
„Sie ist das Werk des Teufels, und kein Mensch kann dagegen bestehen“, sagte Pater Hernando. „Es ist nicht in Gottes Plan, den Teufel zu besiegen. Wir können ihm nur entsagen; das ist alles. Kardinal de Gaete und Kardinal Madruzzo… Ich weiß nicht mehr, ob sie das Buch wirklich zerstören wollen.“ Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, dass seine Brille verrutschte und auf seinen Wangen rote Striemen zurückblieben. Er starrte Bischof Melchior an. Mit seiner schiefen Brille, den Schmutzstreifen im Gesicht, der gesträubten Tonsur und dem Geruch nach Schweiß, Dreck und verschimmelnden Kleidern, den er ausströmte, wirkte er wie ein wahnsinnig gewordener Häftling aus den Kerkern des Vatikans. „O Gott, vergib mir, ich habe mich schon mit dem Teufel eingelassen“, stöhnte er.
Hinter Bischof Melchiors unbewegter Fassade jagten sich die Gedanken. Hatte ihm das Schicksal einen Verbündeten gesandt? Aber ein Verbündeter wie dieser war schlimmer als tausend Feinde. Er konnte sich weiterhin dumm stellen und den Mönch seiner Wege schicken, doch was würde der Dominikaner dann tun? Der Mann war kein Idiot, immerhin hatte er den Weg zu ihm, Bischof Melchior, gefunden. Wenn er ihn ignorierte, würde der Mönch einfach weitermachen und sich zu einer unberechenbaren Figur in diesem verfluchten Spiel entwickeln. Besser, er versuchte ihn zu lenken, auch wenn er ahnte, dass es dem Versuch gleichkam, einen vor Wut und Panik irre gewordenen Elefanten mit verbundenen Augen durch die kaiserliche Porzellansammlung zu steuern. Er musste ihm etwas zu tun geben, etwas, das ihn an den Rand des Geschehens manövrierte.
„Also gut“, sagte er. „Ich habe mir Dinge zusammengereimt. Dinge, an die ich persönlich nicht glaube.“
Der Dominikanermönch schwieg. Seine blinden Brillengläser funkelten trüb. Er versuchte den Bischof nicht zu einer gegenteiligen Meinung zu bekehren, und Melchior Khlesl erkannte daran, dass es dem Mann zumindest in einem ernst war: er wollte nicht, dass die Teufelsbibel unter die Menschen kam. Ein Bild stieg vor seinem geistigen Auge auf, eine Tür hinter einem Altar und eine Treppe, die ins Nichts führte.
„Dein Bruder in dominico ist in Prag? Ich fürchte, er sucht am falschen Ort“, sagte Bischof Melchior bedächtig.
„Wo ist der richtige Ort, Ehrwürden?“
„Es gibt eine Geschichte. In einer Kirche, nicht weit von hier, gab es einst einen unterirdischen See. Ein dunkles Wasser voller Geräusche und unheimlicher Lichter und seltsamer Kreaturen. Es heißt, mitten in diesem See liegt eine Insel.“ Bischof Melchior tastete sich vorsichtig durch seine persönliche Edition der alten Legende und erfand sie, während er sprach. „Auf dieser Insel wiederum ist eine Truhe vergraben, und wer sie findet …“
Der Blick des Dominikaners tat fast weh. Irrsinn und Hoffnung flackerten darin wie das Feuer, in dem er nötigenfalls ein Land untergehen lassen wollte, nur um die Teufelsbibel zu vernichten. Mit einer Kälte, die nicht nur sein Herz ergriff, verstand Bischof Melchior, dass der einzig zuverlässige Weg, diesen halb Wahnsinnigen aus der ganzen Angelegenheit herauszuhalten, gewesen wäre, ihn zu ermorden. Die Kälte wurde größer, als Bischof Melchior erkannte, wie weit seine Gedanken bereits ohne sein Zutun auf diesem Pfad vorangekommen waren: er stellte bereits Verbindungen her – wen kannte er, der jemanden kannte, dessen Gewissen darüber, dass er jemand anderem in einer Gasse einen schweren Stein auf den Kopf hatte fallen lassen, mit Geld beruhigt werden konnte?
„… findet einen Goldschatz“, vollendete der Bischof. Er lehnte sich zurück und musterte den Dominikaner.
Dieser starrte ihn an. „Ich verstehe nicht“, brachte er hervor.
„In einer anderen Version der Geschichte heißt es, dass derjenige, der die Truhe öffnet, die Weisheit der Welt erlangt.“
Die riesigen Augen hinter den Brillengläsern blinzelten.
„Wo ist diese Kirche?“
„Warte, Pater, warte. Ich muss dich warnen. Ich kenne diese Kirche, und ich weiß, dass es tatsächlich ein ausgedehntes System von alten Höhlen darunter gibt. Aber …“
„Ich lasse mich nicht aufhalten, und wenn der Höllenhund persönlich darüber wacht“, sagte Pater Hernando.
„Es gibt keinen Höllenhund, Pater. Aber es gibt Tonnen und Abertonnen von hart gebackenem Schlamm, der seit einer der letzten Überschwemmungen die ganzen Katakomben erfüllt. Du müsstest dich hindurchgraben, Pater. Sollte dieses verfluchte Buch wirklich dort ruhen, dann kannst du es getrost auch in Ruhe lassen. Niemand wird darankommen.“
Der Bischof betrachtete Pater Hernando unter gesenkten Lidern und wartete darauf, dass er den Köder annahm. Er hoffte es von ganzem Herzen. Er wollte nicht für seinen Tod verantwortlich sein, weil dies geheißen hätte, dass er die Welt vor der Teufelsbibel mit genau den Methoden zu schützen versuchte, für die das verfluchte Werk stand.
„Dieses Risiko kann ich nicht eingehen, Ehrwürden“, flüsterte der Dominikaner. „Wenn ich danach graben muss, dann grabe ich. Ich kann erst ruhen, wenn ich selbst sehe, wie es in Flammen aufgeht. Ich werde graben, und wenn es hundert Jahre dauert!“
„Ich werde für dich beten.“
„Wo ist diese Kirche?“
Bischof Melchior legte die Fingerspitzen aneinander und gestattete sich ein Lächeln. Es wirkte Anteil nehmend, die tatsächliche Emotion dahinter war jedoch tiefe Erleichterung. Er begann, dem Dominikaner den Weg zur Heiligenstädter Kirche so gut wie möglich zu beschreiben.