Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 63
18.
ОглавлениеZuhause in seiner kleinen Hütte hatte ein Abgesandter des Oberstlandrichters auf Andrej gewartet. Er sah gelangweilt auf, als Andrej die Tür aufstieß.
„Das ist vielleicht eine Scheißbude, die Sie hier haben“, sagte er und grinste. „Passt zu Ihnen.“
„Was haben Sie hier verloren?“
„Hoffentlich nichts, aber wenn Sie’s finden, geben Sie’s mir gewaschen zurück, ja?“
Andrej seufzte und setzte sich auf den anderen Stuhl. Er musterte den jungen Mann und vermochte nicht, durch die Mauer aus eingetrichterter Abneigung und natürlicher Arroganz hindurchzublicken. Er hatte ihn nie zuvor gesehen. „Sie sollten den Zwerg als Hofnarren ablösen bei Ihrer Schlagfertigkeit.“
„Seine Ehren will Sie sehen, Geschichtenerzähler. Gute Reise gehabt?“
„Ich habe mich ordnungsgemäß abgemeldet und die Erlaubnis von Seiner Majestät …“
„Ja, ja. Die Erlaubnis von Seiner Majestät zu irgendwas ist so viel wert wie ein Fliegenschiss, weil er beim Nachtisch schon nicht mehr weiß, was er zum Hauptgang gegessen hat. Sollten Sie doch am besten wissen, so oft wie Sie bei ihm sind.“
Am Hof jedes Herrschers ist Neid die einzige Form der Anerkennung, dachte Andrej müde. Aber er war dennoch besorgt.
„Hat Seine Majestät nach mir verlangt?“
„Hoffentlich.“
„Ich werde sofort zu Oberstlandrichter Lobkowicz gehen.“
„Umso besser.“ Der Abgesandte stand auf und wischte sich demonstrativ die Hände an der Hose ab. „Deshalb bin ich nämlich hier. Ich habe den halben Tag auf Sie gewartet. Sie sind heute zwischen der Terz und der Sext in die Stadt zurückgekehrt. Jetzt ist es nach der Non. Wo waren Sie die ganze Zeit? Den Reisestaub weggerammelt?“
„Was geht Sie das an?“, erwiderte Andrej im Hinausgehen.
„Nur nicht so verlegen, Geschichtenerzähler. Erzählen Sie mir doch auch mal eine Geschichte. Man hört ja so allerhand über Sie in der letzten Zeit. War ja wohl ’ne parfümierte Fut, in die Sie ihn gesteckt haben, Sie Tröster abgebrannter Adelsfräulein. Keine falsche Scham.“
Andrej ballte die Fäuste und versuchte, seinen Weggefährten mit langen Schritten abzuhängen. Der Mann begann zu keuchen; er war schlank und breitschultrig, aber die korrekte spanische Mode machte jede schnelle Bewegung zu einem Gewaltakt.
„Erzählen Sie Seiner Majestät doch mal davon!“, zischte er. „Vielleicht bekommt er dann Appetit auf seine Verlobte und heiratet sie endlich, damit das Reich nicht noch mehr vor die Hunde geht. Wie wär’s damit, Geschichtenerzähler?“
Schließlich blieb der Bursche hinter ihm zurück. Andrej stürmte allein zum Oberstlandrichter, voller Wut und Angst gleichermaßen. Natürlich hatte der Abgesandte Recht. Kaiser Rudolf hatte ihm den Urlaub gewährt, doch was, wenn es dem Kaiser schon am nächsten Tag wieder anders eingefallen war und er seinen fabulator bei sich haben wollte? Sollte man sagen: 'Majestät haben wohl vergessen, dass Majestät dem Mann freigegeben haben?' Es gab Dinge, die sagte man nicht zu Majestäten, und abgesehen davon hätte sich für Andrej niemand am Hof ins Zeug gelegt.
Er stürmte durch die Antichambre des Oberstlandrichters wie ein Landsknecht, riss die Tür zu seiner Studierstube auf und empfand eine perverse Genugtuung dabei, den alten Mann mit einem Finger tief in seiner Nase zu ertappen.
„Euer Ehren wollten mich sehen?“
Lobkowicz, der zusammenzuckte und den Finger aus der Nase riss, wobei er sich das Narrenbein an der Kante des Schreibpults anstieß und einen Schwung Blätter auf den Boden verteilte, funkelte ihn böse an. Er rieb sich die schmerzende Stelle am Ellbogen, und Andrej versuchte, den Schatz, den Lobkowicz aus seiner Nase zutage gefördert hatte und der nun von ihm unbemerkt an der Spitze seines Zeigefingers hing, nicht anzusehen.
„Sie waren nicht da“, sagte Lobkowicz. „Wissen Sie, was Seine Majestät getan hat, als Sie nicht da waren?“
Furcht stieg in Andrejs Kehle. Lobkowicz sah ihn schweigend an. Die Blätter auf dem Boden wirkten wie eine Anklage; selbst der Nasenpopel war auf eine nicht näher bestimmbare Weise feindselig.
„Gar nichts“, sagte Lobkowicz schließlich. „Er hat Ihnen Urlaub gegeben, und er hat sich die ganze Zeit daran erinnert. Er hat gesagt, wenn Sie sich nach Ihrer Rückkehr genügend ausgeschlafen hätten, sollten Sie sich zurückmelden.“ Langsam sickerte in Andrejs Hirn, dass Lobkowicz ihn nur schikaniert hatte.
„Herzlich willkommen“, sagte Lobkowicz. „Ich wollte, dass Sie sich keine Sorgen wegen Seiner Majestät machen. Hähähä.“
So war Andrej heimgekehrt, aus dem Land der lebenden Toten in das Land der toten Herzen. Und als er sich von der niedrigen Rache des Oberstlandrichters erholt hatte und allein in seiner Hütte saß, wurde ihm bewusst, dass ihm das Schlimmste an dieser Heimkehr noch bevorstand.
Jarkas griesgrämiger Hauskaplan hatte wie üblich versucht, sie lesend am Ende des langen Tisches auszusitzen, aber junge Liebende haben bei aller Ungeduld und Leidenschaft eine erstaunliche Ausdauer, wenn es darum geht abzuwarten, bis ein störender Dritter sie endlich allein lässt. Andrej fragte sich, ob der Mann zu borniert war, um zu merken, was sie taten, wenn er endlich gegangen war, oder zu klug, um sein Versagen als Wachhund seines Schützlings anzuerkennen. Der magere Bursche warf ihm einen seiner durchdringenden Blicke zu, vergewisserte sich, dass Andrej nur noch seinen Becher leeren und dann sofort gehen würde, und stolzierte hinaus.
Als er weg war, wurde Andrej bewusst, dass heute eine Stille über dem Raum hing, die es vor ihrer Reise nach Podlaschitz nicht gegeben hatte. Kein Wunder, dachte er unglücklich, nach allem, was ich erfahren habe; zugleich drehten seine Gedanken sich beklommen um die Frage, weshalb auch Jarka so schweigsam war. Vielleicht war es ja wegen des Wagens ihrer Großtante, den sie notgedrungen in Chrudim zurückgelassen hatten. Der angeheuerte Wagenlenker hatte, nachdem Andrej ihm einen Teil seines Lohnes vorenthalten hatte, zugesagt, ihn nach der Reparatur allein nach Prag zurückzufahren. Es blieb zu hoffen, dass Jarkas Großtante nicht plötzlich Lust auf eine Landpartie bekam. Cyprian Khlesl hatte sie in seinem Wagen mit zurückgenommen.
„Ich mag diesen Burschen“, sagte Jarka plötzlich, als hätte sie Andrejs Gedanken gelesen.
„Ja, es war sehr höflich, uns mitzunehmen.“
„Das meine ich nicht.“
Andrej schwieg einen Augenblick. „Ja, ich mag ihn auch“, sagte er dann. „Er hat so eine Art …“
„Man ahnt, dass er gewöhnt ist, sich um seine Angelegenheiten allein zu kümmern, aber wenn man sich ihm anschließen will, stößt er einen nicht zurück.“
„Ja“, sagte Andrej.
„Und doch hatte ich das Gefühl, dass er tief innen … wie soll ich sagen … traurig ist.“
„Keine Ahnung.“ Andrej schaffte es nicht, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Sprich es an, dachte er sich. Jede weitere Minute verlängert die Qual. Gleichzeitig war er für jede Verzögerung dankbar. Wie bringt man der Frau, die man liebt, bei, dass man sie für eine Lügnerin hält?
„Ich dachte, er hätte vielleicht irgendetwas zu dir gesagt, als ihr in der Klosterruine wart.“
„Ich kann mich erinnern, dass er sagte, ich solle mir nicht den Kopf anstoßen. Er sagte es zu spät“, murmelte Andrej. Der Scherz starb lautlos und ohne Aufsehen zu erregen.
„Vielleicht ist er unglücklich verliebt?“
Andrej blickte auf. Jarka lächelte ihn an, ein Lächeln, das sagte: so verliebt wie ich es bin, nur bin ich glücklich. Er schluckte.
„Jarka, er ist ein Abenteurer, so wie mein Vater einer war.“
„Ich meine ja nur. Du und ich, wir sind so allein hier. Ich dachte, vielleicht wäre es gut, einen Freund zu haben.“
„Leute wie er sind heute hier, morgen dort. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater Freunde gehabt hätte. Sicher, er sprach immer von ‚seinen Freunden’. Das waren die Menschen, die ihm für einen Becher Wein oder ein paar Münzen irgendetwas verrieten, dem er dann nachjagen konnte.“
Wo führt das hin?, dachte er. Ich will nicht über Cyprian Khlesl reden. Ich will nicht über meinen Vater reden. Ich will über dich und mich reden und darüber, ob Liebe sich aus einem Fundament aus Betrug aufbauen lässt.
„Ich bin überzeugt, er hat irgendwo ein Mädchen. Vielleicht sind ihre Eltern nicht mit ihm einverstanden, weil er arm ist? Vielleicht sucht er deshalb das Glück, so wie dein Vater?“
„Sein Onkel ist der Bischof, hast du das vergessen? Er braucht ihn nur anzupumpen. Wer würde nicht gern in die Familie eines Bischofs einheiraten?“
„Ja“, sagte sie. „Eine interessante Frage.“
Sie legte eine Hand auf die seine und drückte sie. Ihre Augen blinzelten nicht, als sie ihn ansah. Er sah die roten Ränder und erkannte, dass sie entweder todmüde war oder geweint haben musste. Er fragte sich, ob ihre Worte eine tiefere Bedeutung hatten. Versuchte sie ihm mitzuteilen, dass ihre Familie für sie Pläne hatte, in denen eine gemeinsame Zukunft mit Andrej von Langenfels nicht vorkam? Der Nachmittag, den er auf dem Hradschin verbracht hatte, war lange genug gewesen, dass in dieser Zeit eine Botschaft hätte ankommen können. Hatte sie deshalb geweint? Andrej erkannte, dass es vermutlich keinen unglücklicheren Zeitpunkt als diesen gab, um sie mit der Wahrheit zu konfrontieren, und zugleich keinen geeigneteren. Wenn dies ein unverhoffter Scheidepunkt auf ihrem gemeinsamen Weg war, dann war es besser, sich Klarheit zu verschaffen.
„Deine Mutter …“, begann er.
„Mach dir keine Gedanken. Ich habe nicht wirklich geglaubt, dass du irgendwelche Spuren finden würdest.“
„Deine Mutter … war ihr Name Isabeau oder Margot oder so ähnlich?“
Jarka starrte ihn verwirrt an. „Markéta, aber das weißt du doch.“
„Und sie war katholisch?“
Sie schwieg. In ihren Augen schimmerte plötzlich Unruhe. Andrej Herz krampfte sich zusammen. Er hatte in diesen Augen nichts anderes sehen wollen als Liebe, und dies sein ganzes restliches Leben lang, und plötzlich lag Misstrauen darin und ein Spur von Härte, die ihm völlig unbekannt war.
„Also deine Mutter war auf keinen Fall eine französische Hugenottin“, sagte Andrej. Er hatte sich zwingen müssen, es auszusprechen. Von hier gab es kein Zurück mehr.
Sie nahm ihre Hand weg. „Worauf willst du hinaus?“
„Ich habe keine Spur von Markéta Anděl gefunden; nichts zum Anfassen und auch keine Geschichte. Ebenso wenig wie ich eine Geschichte von einer Gruppe böhmischer Adelsfrauen gehört habe, die mit einer Mission der Barmherzigkeit in der Gegend herumgezogen wäre.“
„Mit wem hättest du dort in Podlaschitz auch darüber reden sollen“, sagte sie. Klang ihre Stimme verächtlich?
„Ich habe mit jemandem gesprochen, Jarka. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die ihr ganzes Leben in der Gegend verbracht hat, und sie hat mir versichert, dass dort niemals eine Gruppe von Frauen hingekommen ist wie die, als deren Anführerin du deine Mutter beschrieben hast.“
„Vielleicht war meine Mutter ja woanders ...“
„Was es allerdings gibt, ist die Geschichte von einer Gruppe von Flüchtlingen, Frauen und Kinder aus Frankreich. Hugenotten, die vor den Massakern in der Folge der Pariser Bluthochzeit geflohen und bis hierher an unser Ende der Welt gelangt sind.“
Jarka sagte nichts. Dafür sprachen ihre Hände. Sie umklammerten einander mit weißen Knöcheln.
„Ich habe diese Frauen und Kinder gesehen“, sagte Andrej. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme schwankte. „Ich habe gesehen, wie sie unter den Axthieben des Wahnsinnigen gefallen sind. Meine Mutter war unter ihnen. Die Geschichte, die du mir erzählt hast, ist wahr, Jarka. Sie hat nur einen Schönheitsfehler.“
„Ach“, sagte sie, aber er konnte hören, dass sie sich ebenso dazu zwingen musste wie er.
„Du hast mir meine eigene Geschichte erzählt, Jarka. Du hast mir alles erzählt, was ich selbst wusste, und kein bisschen mehr. Ich wusste nichts von französischen Flüchtlingen, also wusstest du es auch nicht. Ich habe nur Frauen und Kinder gesehen. Du hast mir die Geschichte erzählt, die ich Seiner Majestät erzählt habe, und sie ein bisschen ausgeschmückt.“
Jarka ballte die Fäuste. Sie sah ihn unentwegt an. Ihre Augen waren jetzt feucht, aber sie liefen nicht über. Er wusste mittlerweile, wie nahe sie am Wasser gebaut hatte. Dass sie die Tränen jetzt unterdrückte, machte ihn gleichzeitig traurig und erfüllte ihn mit Schrecken.
„Ich könnte jetzt fragen: von wem hast du die Geschichte gehört, die ich eigentlich nur dem Kaiser erzählt habe? Aber ich habe sie ihm so oft erzählt, dass ich annehme, genügend Leute haben ein Ohr an die Tür gedrückt und gelauscht. Ich könnte dich auch fragen, in wessen Auftrag du handelst, aber ich will gar nicht wissen, ob der fiese Oberstlandrichter oder der fette Rozmberka dahinter stecken oder irgendein anderer von den zahlreichen Neidern, die mich hassen. Aber was ich doch fragen muss …“
„Tu es nicht“, sagte sie. „Frag nicht.“
„… warum hast du es getan, und …?“
„Bitte.“
„… ist unsere Liebe eine genauso große Lüge wie die Geschichte mit deiner Mutter?“
„Herr vergib mir“, flüsterte sie und begann nun doch zu weinen. Andrejs Kehle schmerzte, als würde jemand sie zudrücken.
„Ich möchte dir vergeben, Jarka. Aber ich möchte verstehen.“
„Geh, Andrej. Geh. Er wird dich nicht weiter verfolgen. Du hast deine Schuldigkeit getan.“
„Was?“
„Geh. Du kannst mir nicht helfen. Du kannst nur dir selbst helfen.“
„Erzähl es mir, Jarka!“
„Geh.“
„Ich denke nicht dran.“
Plötzlich sprang sie auf. Andrej erschrak und schob seinen Stuhl unwillkürlich nach hinten. Jarka stützte sich auf den Tisch und beugte sich zu ihm herüber. Ihre Wangen glühten, und aus ihren Augen liefen die Tränen wie das Blut aus zwei Wunden.
„Geh!“, zischte sie. „Du willst verstehen? Gut! Ich helfe dir zu verstehen. Alles war eine Lüge. Die Geschichte mit meiner Mutter, die Geschichte mit meiner Großtante, selbst mein Name ist eine Lüge! Und unsere Liebe ist die allergrößte Lüge von allen. Ich liebe dich nicht. Ich habe dich nie geliebt; und was du liebst, ist eine erfundene Person, die es nie gegeben hat. Sie ist aus den Nebelschatten entstanden, in denen deine Mutter und die Frauen damals untergegangen sind. Sie sollte dich dazu bringen, dass du dich erinnerst und zu dem Platz zurückkehrst, an dem das Massaker geschehen ist; zu dem Platz, den dein Vater gesucht hat, weil er herausbekommen hat, dass dort ein Buch verborgen liegt, das die Kirche entweder untergehen oder triumphieren lässt. Sie durfte alles tun, um dich dazu zu bringen, ihr zu vertrauen und sie dorthin zu führen. Du hast wie erhofft gearbeitet, Andrej, und dass das Buch nicht mehr dort war, ist nicht deine Schuld, und alles, was geschehen wird, ist, dass die Suche weitergeht, nur du spielst keine Rolle mehr darin. Du hast vielleicht eine Rolle für Jarmila gespielt, aber Jarmila hat es nie gegeben.“
„Das ist alles?“, brachte Andrej hervor. Er war sicher, gestorben zu sein. Er fühlte seine Hände und Füße nicht mehr.
„Ja!“, sagte sie, noch immer über den Tisch gebeugt. „Das ist alles! Geh!“
„Warum weinst du, wenn das alles ist, was du mir sagen willst?“
„Ich weine nicht!“, schrie sie fast. „Und wenn doch, dann nicht um dich.“
„Nein“, sagte er. „Nicht um mich. Aber um dich.“
Sie machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. Ihre Augen funkelten.
„Geh!“, flüsterte sie. „Geh, bevor … bevor ich dich aus dem Haus werfen lasse.“
Andrej stellte fest, dass er aufstehen konnte. Er spürte den Boden nicht, auf dem er stand, aber er trug ihn. Jarka ließ sich zurücksinken und sah zu ihm auf. „Viel Glück“, sagte sie.
„Du lügst schon wieder“, sagte er. „Das ist nicht alles.“
„Das ist alles, was ich für dich habe.“
Er nickte. Er nickte ein zweites Mal. „Gut“, sagte er tonlos. „Gut. Das ist alles. Gut.“
Andrej wankte zur Tür. Als er sich umdrehte, begegnete er ihrem Blick. Sie sah ihm unverwandt nach. Als er zögerte, machte sie eine aufmunternde Kopfbewegung, wie um ihm zu bedeuten: Da ist die Tür! Er ging hinaus auf Beinen, die ihm nicht gehörten, in ein Treppenhaus, das er noch nie gesehen zu haben schien. Die Luft brauste in seinen Ohren, und doch war es ihm, als herrsche um ihn herum Totenstille. Sein Herz musste schlagen, sonst wäre er tot zu Boden gesunken, aber er spürte es nicht. Er sah einer Hand zu, die einem Arm entwuchs, der zu seinem Körper zu gehören schien; die Hand legte sich auf das Geländer der Treppe und strich daran entlang, während er Schritt um Schritt nach unten stieg. Die Hand hatte kein Gefühl, und doch schnitt jede Unebenheit, jede Kerbe im hölzernen Handlauf in seine Haut. Am Treppenabsatz blieb er stehen und drehte sich um. Die Treppenstufen, die er gerade heruntergekommen war, dehnten sich vor seinen Augen, bis es schien, als würde er einen endlosen dunklen Turm hinaufblicken, den zu erklimmen ihm für immer verwehrt war. Er hörte das Ächzen, das in der Stille widerhallte und das direkt aus seiner Seele kam. Er wollte zu Boden sinken und konnte es nicht; er wollte sich übergeben und konnte es nicht; er wollte sterben … und konnte es nicht. Er konnte nur weinen; die endlose Treppe in die Dunkelheit verschwamm vor seinen Augen, und er presste die Fäuste an die Schläfen und weinte, wie er damals um seine Eltern geweint hatte.