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7. Kapitel

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Roxy stapfte vor mir durch den Wald, schob Zweige beiseite und hieb Brennnesseln mit einem Stock nieder. Nach etwa dreißig Metern verloren wir ihre »Garage« aus dem Blick.

»Du kennst den Weg, oder?«, fragte ich und versuchte, ganz unbekümmert zu klingen, als wäre es mir auch egal, wenn sie Nein sagte. Doch sie hörte mich wohl gar nicht.

Im Wald war es schattig, aber nicht still. Bisher war der Frühling ungewöhnlich warm und trocken gewesen, die Blätter und Zweige raschelten und knackten laut unter unseren Füßen. Als wir stehen blieben, hörte ich eine Biene und Roxys Atem. Wenn ich genau horchte, vernahm ich auch das tröstliche Brausen des Verkehrs auf der A19. Mir kam es zwar vor, als wären wir mitten in der Pampa, aber das waren wir zum Glück nicht.

Dann hielt Roxy an und hockte sich hin. »Da. Siehst du es?«

»Was?«

»Da, Mann! Bist du blind?«

Vor uns ging es steil bergab und dort unten zwischen silbergrauen Bäumen, etwa so weit entfernt, wie ich einen Stein werfen könnte, sah ich es: ein mit Moos bedecktes Schieferdach.

Ich schaute zu Roxy. Wollte sie mich auf den Arm nehmen? Ein Dach? Na und?

Roxy reagierte sofort. »Von Nahem sieht man’s noch besser. Komm!« Und damit tauchte sie zwischen den Bäumen ab. Nun schlug sie die Brennnesseln nicht mehr mit dem Stock aus dem Weg, sondern schlich sich an. Ab und zu sah sie sich um, ob ich ihr auch folgte. Dann blieb sie stehen.

Jetzt hatten wir einen besseren Blick auf das Dach. Es schien auf gleicher Höhe mit uns zu sein, was natürlich seltsam war, doch das lag bloß daran, dass wir uns auf einem Hang befanden, an dessen Fuß ein Steinhaus lag. Es war von dicken, dornigen Büschen umwachsen, die so dicht standen, als hätte sie jemand gepflanzt, um Eindringlinge abzuhalten.

»Vorsicht«, flüsterte Roxy und deutete auf eine Rolle rostigen Stacheldrahts, die in einem Busch hing und vollkommen zugewuchert war. Weiter unten wuchsen die Büsche weniger dicht, und es gab ein Schild, wie man es im Baumarkt oder so kaufen kann:

VORSICHT, BISSIGER HUND!

»Ähm … Roxy?«

Mit ihrer winzigen Hand machte sie eine abwehrende Geste. »Da ist kein Hund. Keine Sorge. Komm weiter!«

Ich folgte ihr wie ein gehorsamer Welpe.

Wir gelangten zu einer Lücke in der Stacheldrahtbuschabwehr. Wenn ich so klein wäre wie Roxy, wäre ich auch leicht durchgekommen. So blieb mir nichts anderes übrig, als flach auf dem Bauch ihren Flip-Flops folgend vorwärtszurobben.

Ihre Füße und Waden waren vollkommen zerkratzt und von Brennnesseln zerstochen, aber Roxy schien das gar nichts auszumachen.

Dann hörten die Ginsterbüsche auf, und wir waren von hohem Gras umgeben, das uns im Liegen noch verbarg. Da erst sah ich das Haus so richtig.

Der Hang fiel noch ein paar Meter weiter ab bis zu einer mannshohen Mauer. Es gab einen gepflasterten Hof mit einer runden gemauerten Feuerstelle. Von einem glimmenden Holzscheit stieg eine zarte Rauchfahne in die windstille Luft; Hühner pickten auf dem Boden herum. Neben der Feuerstelle stand ein rußgeschwärzter Kessel.

Das Haus selbst bestand aus Ziegelsteinen, die schon ganz verwittert waren. Die bemoosten Dachschindeln hatte ich ja schon von Weitem gesehen. Wir blickten auf die Rückseite des Hauses; die Hintertür war zweigeteilt, der obere Teil stand offen, aber hineinsehen konnte man nicht. Von der Tür und den Fenstern blätterte schon die Farbe ab, eigentlich wirkte alles an diesem Haus alt und abgenutzt.

»Du, Roxy …«

»Schhh!«

Ich senkte die Stimme. »Du, Roxy. Da wohnt jemand.«

»Ja!«, flüsterte sie aufgeregt.

»Und das ist was Besonderes?«

»Hhmm … ja!«

»Und warum genau? Menschen haben Häuser, weißt du. Darin wohnen sie.«

»Du hast ja keine Ahnung, wer hier wohnt.«

Roxy zögerte einen Moment und holte tief Luft, um mich auf die Folter zu spannen. Dann aber starrten wir beide zur Tür, hinter der sich etwas bewegte.

Eine Frau erschien und ließ den Blick über die Büsche und das Gras schweifen, in dem wir versteckt lagen. Instinktiv wichen wir zurück.

Ich hatte die Frau nur ganz kurz gesehen, bevor sie wieder im Haus verschwand. Wie alt mochte sie sein? Keine Ahnung. Langer Rock, Kopftuch und Sonnenbrille.

»Das war sie«, sagte Roxy.

»Das war wer?« Schon klar, das klingt jetzt, als wollte ich Roxy ärgern, indem ich so uninteressiert tat, aber ich verstand einfach nicht, was es mit dieser Frau auf sich hatte.

»Das war die Hexe.«

Und in dem Moment ließ ich alle Vorsicht außer Acht und sagte lauter, als ich sollte: »Oh, Roxy!«

Ich ärgerte mich wirklich. Und enttäuscht war ich auch.

Ich ärgerte mich über Roxy, weil ich ihretwegen im Gras lag, Angst hatte, von Brennnesseln zerstochen und vom Waldboden verdreckt war und wahrscheinlich mehr als ein Gesetz gebrochen hatte. Und wofür? Für nichts und wieder nichts. Und enttäuscht, na ja …

Ich hatte geglaubt, Roxy wäre anders. Eine, mit der es Spaß macht abzuhängen. Besonders jetzt, wo Spatch und Mo in Italien waren.

Und dann kommt sie mir ausgerechnet mit Hexen. Wenn ich Lust auf Hexen, Einhörner oder Tiere in Anziehsachen habe, brauche ich nur fünf Minuten mit meiner kleinen Schwester zu verbringen.

»Schhh! Sie ist wirklich eine Hexe, glaub mir. Sie ist bestimmt zweihundert Jahre alt und sie wohnt in dieser Hütte im Wald. Sie hat sogar eine schwarze Katze. Schau mal!«

Wie auf Knopfdruck erschien eine Katze, die zwar nicht ganz schwarz war, aber immerhin, und die direkt vor uns über die Mauer spazierte. Die Katze fixierte uns kurz mit ihren leuchtend gelben Augen, sprang dann elegant hinunter und maunzte laut, woraufhin ihr ein Huhn aus dem Weg flatterte.

»Hast du es schon mal probiert? Das Haus?«, fragte ich.

»Wie meinst du das?«

»Ist es aus Pfefferkuchen?«

Mit dem Blick, den Roxy mir zuwarf, hätte man ein Eis am Stiel schmelzen können, aber mir war das egal. Alles bloß alberne Fantasie.

»Ich gehe zurück«, sagte ich und erhob mich langsam.

»Runter mit dir!«, zischte Roxy. »Sonst sieht sie dich noch.«

»Und dann? Verwandelt sie mich in eine Kröte? Das Risiko gehe ich ein.«

Was nun geschah, war vielleicht meine Schuld. Schon möglich.

Der 1000-jährige Junge

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