Читать книгу Der 1000-jährige Junge - Ross Welford - Страница 17

11. Kapitel

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Am Morgen, als es geschah, sagte Mam zu mir: »Weißt du, was heute für ein Tag ist, Alve?« Nach wie vor nannte sie mich bei meinem Geburtsnamen, wenn wir allein waren. Also quasi immer.

Natürlich wusste ich es, aber ich tat, als wüsste ich es nicht, um ihr nicht die Freude zu nehmen, mich zu erinnern.

»Dreißig Jahre im Eichenhaus. Dreißig Jahre, seit wir hierher zurückgekehrt sind.« Lächelnd zeigte sie ihre Zahnlücken und drückte mich mit ihren kräftigen Armen. »Ich will nicht wieder umziehen. Nicht nach dem letzten Mal«, sagte sie bestimmt zum hundertsten Mal.

Ich rang mir ein Lächeln ab und nickte, verkniff mir zu sagen, dass die Welt sich immer rasanter veränderte.

Mam machte sich Sorgen. Wir beide taten es. Umzuziehen, unerkannt zu bleiben, das Leben überhaupt, wurde zunehmend schwieriger.

Einfach ist es nie gewesen. Mam und ich sind viel umhergezogen, aber es fand sich eigentlich immer jemand, der uns ein kleines Häuschen oder auch bloß ein Zimmer vermietete. Unseren Besitz beschränkten wir auf ein Minimum oder lagerten ihn ein, vor allem unsere Bücher.

Aber heutzutage? Heutzutage wollen alle alles über einen wissen. Mietverträge, Kontoauszüge, Genehmigung hierfür, Erlaubnis dafür, Formulare, die man ausfüllen muss, Ausweispapiere …

Mam hörte selten die Nachrichten im Hörfunk. »Zu verwirrend«, sagte sie, aber sie meinte eher »zu beängstigend«. Wir hatten so lange zurückgezogen gelebt, dass Mam die Welt mit ihren Autos, Düsenjets, Computern und Handys nicht mehr verstand.

Aber wenn Mam oben im Bett lag, hörte ich mitunter Nachrichten. Ich versuchte, alles zu begreifen, und sehnte mich danach, in dieser Welt zu leben, in der richtigen Welt mit all ihren Wundern.

Mam schnalzte abschätzig mit der Zunge. »Sie ist schon wieder da, Alve.« Sie trocknete sich die Hände ab und spähte aus der Klöntür. »Das ist schon das zweite Mal diese Woche. Und sie hat noch jemanden mitgebracht. Dahinten links. Siehst du?«

Das »kleine neugierige Mädchen« nannte Mam sie. Inzwischen weiß ich, dass sie Roxy Minto heißt. Gesehen hatte Mam sie schon vor einem Jahr, als sie uns ausspionierte. Anfangs rechnete Mam mit dem Schlimmsten, dass es wieder so kommen würde wie beim letzten Mal, als wir hier wohnten und diese Jungs uns das Leben schwer machten. Da hatten all die Fragen angefangen und wir mussten wegziehen.

Doch so war es diesmal nicht. Dieses kleine Mädchen wollte uns bloß beobachten. Wir hörten, wie sie sich bemühte, keinen Laut im Gebüsch zu machen.

Bislang war sie immer allein gekommen. Sie schlich sich an, lag vor dem Ginsterbusch im hohen Gras und schaute uns bei der Verrichtung alltäglicher Dinge zu. Dann wurde es Herbst, die Blätter fielen, und das Mädchen kam nicht mehr, wohl weil sie sich nicht länger verbergen konnte.

Es war lästig, ausspioniert zu werden, aber immer noch besser, als sich vor einem Angriff zu fürchten oder vor Anschuldigungen.

Welchen Anschuldigungen?

Hexerei?

Ich weiß, dass man im 21. Jahrhundert nicht mehr der Hexerei beschuldigt werden kann, aber in dieser Gefahr schwebten wir nun schon so lange, dass wir es uns zur Gewohnheit gemacht hatten, ganz zurückgezogen zu leben und jede Gesellschaft zu meiden.

Und so ließen wir sie gewähren. Dann kam der Frühling wieder und mit ihm das kleine Mädchen in den Büschen.

Mam ging zur Klöntür, die zum Hof lag, und blinzelte hinaus. Noch einmal sagte sie: »Ich ziehe nicht wieder um, Alve. Nicht nach dem letzten Mal.«

Das letzte Mal. Wie könnte ich das vergessen? Denn es hatte mit Jack zu tun, und Jack war der letzte Freund, den ich hatte.

Der 1000-jährige Junge

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