Читать книгу Der 1000-jährige Junge - Ross Welford - Страница 8

2. Kapitel

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Warum hast du es dann gemacht?«, wollt ihr jetzt sicher fragen. Nur zu, meinetwegen. Ich habe es mich selbst wieder und wieder gefragt und verstehe es immer noch nicht ganz.

Nur so viel: Ich war jung und sehr, sehr verängstigt. Ich wollte etwas tun, irgendetwas, um mich stärker zu fühlen, um Mam besser beistehen und uns beide beschützen zu können.

Und so wurde ich ein Nimmertoter wie Mam.

Es begann vor langer Zeit, und wenn ich lange sage, meine ich vor vielen hundert Jahren. Und passiert ist es so:

Meinem Vater hatten fünf kleine Glasperlen gehört, die wir livperler nannten.

Lebensperlen.

Sie waren das Wertvollste, das wir besaßen. Mam sagte, sie wären das Wertvollste überhaupt auf der Welt.

Menschen hatten getötet, um an die Perlen zu gelangen. Und mein Da war gestorben, um sie zu beschützen. Deshalb erzählten wir niemandem von unserem kostbaren Besitz.

Nun waren noch drei übrig. Eine für Mam und zwei für mich, wenn ich älter war.

Das wusste ich alles. Mam hatte es mir oft genug gesagt. »Erst wenn du groß bist, Alve. Du musst dich gedulden.«

Aber ich konnte es nicht abwarten.

Am dritten Abend in der Höhle, als Mam unterwegs auf der Suche nach frischem Wasser war, öffnete ich den kleinen Tontopf und nahm die livperler heraus. Obwohl sie schon alt waren, glänzten die Glasperlen im Halbdunkel der Höhle. Und als ich eine vors Feuer hielt, leuchtete die dicke Flüssigkeit innen bernsteinfarben.

Biffa saß gegenüber vom Feuer auf einem kleinen Felsvorsprung, ihre gelben Augen glänzten wie die Glaskugeln. Verstand sie, was ich vorhatte? Sie maunzte, gab diesen kleinen Katzenlaut von sich, bei dem wir immer glaubten, sie würde mit uns sprechen. Biffa schien eine Menge zu verstehen.

Ich hockte mich hin, nahm das Messer, das kleine aus Stahl von Da, dessen Klinge sich im Holzgriff versenken ließ, und hielt es ins Feuer. Dann blickte ich zum Höhleneingang, um mich zu vergewissern, dass ich auch allein war, und schluckte schwer.

Als ich mir mit der heißen Klinge zweimal den Oberarm ritzte, sickerte Blut hervor. Zwei kurze Schnitte wie Mams Narben. Wie auch Da sie gehabt hatte. Nimmermale. Ich weiß nicht, ob es eine Rolle spielt, dass man sich zweimal schneidet, wahrscheinlich nicht. So wurde es eben gemacht.

Weh tat es erst, als ich die Wunden mit Daumen und Zeigefinger auseinanderzog. Ich zerbiss die Glasperle. Wie das Blut aus meinen Schnitten quoll der gelbe Sirup hervor. Ich gab ihn auf die Fingerspitzen und rieb ihn in die Wunden, bis nichts mehr davon übrig war. Es brannte wie frische Brennnesseln im Frühling.

Was dann geschah, war ein Unfall. Ich habe es in Gedanken immer wieder durchgespielt, so wie Leute heute »Videoclips« abspielen. Hätte ich anders handeln können?

Ich weiß es nicht.

Biffa war vermutlich bloß neugierig. Gewusst kann sie nichts haben, aber sie war eben eine sehr kluge Katze. Auf einmal sprang sie mit einem leisen Grollen durch die Flammen auf mich zu. Ohne nachzudenken, riss ich das Messer hoch, das noch neben mir auf dem Boden lag. Ein einfacher Reflex. Es ritzte ihr leicht in die Vorderpfote, aber sie miaute nicht einmal. Als sie hinter mir landete, fuhr ich herum und fegte mit meiner Tunika eine weitere Lebensperle vom Felsregal, wo ich sie deponiert hatte. Ich verlor das Gleichgewicht und zertrat die Perle versehentlich.

Entsetzt starrte ich ein paar Augenblicke darauf.

Schlimm genug, dass ich mich Mams Anordnungen widersetzt hatte, nun hatte ich auch noch eine weitere kostbare Lebensperle verschwendet.

Die zähe bernsteinfarbene Flüssigkeit sickerte heraus. In dem Moment dachte ich nur daran, dass sie nicht vergeudet werden durfte, packte Biffa am Nackenfell und rieb ihr die Flüssigkeit in die verletzte Pfote.

(Im Lauf der Jahre habe ich Mam immer wieder versichert, dass ich das nicht mutwillig getan habe. Ich wollte die Perle nur nicht verschwenden.)

Dann wickelte ich einen Streifen sauberen Stoff um meinen Arm und einen um Biffas Bein. Ihr schien das nichts auszumachen. Sie leckte sich die Schnurrhaare, gähnte und rollte sich zusammen. Gegen den blauen Abendhimmel sah ich Mams Gestalt am Höhleneingang mit einem Kübel Wasser auftauchen und ich schämte mich ganz schrecklich.

Manchmal schäme ich mich immer noch.

Bis dahin hatte ich elf Winter erlebt.

Und ich sollte über tausend Jahre lang elf bleiben.

Der 1000-jährige Junge

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