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Tentakelfrau & Seitenschneider

Wir erreichen die Stätte von Zitas Verzweiflung. Hier möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen! Beäuge den Rückspiegel, bevor ich aussteige. Man weiß nie! Vielleicht verfolgen sie uns. Ich habe `ne bewaffnete Schwerkriminelle im Mazda.

Cat ist gefangen. Sie wedelt mit den dünnen Armen. Das hebt die Laune. Sie schnaubt vor Wut, als ich sie aus dem Weißen befreie, schubst mich beiseite und eilt zur Eingangstüre. Sie schellt und schellt, die Haare tanzen. Endlich wird die Türe aufgerissen.

Ich kann nicht mehr, was ist denn das? Hager, groß, sehr groß, größer als ich, vermeintlich weiblich – Zita!? Das Halbdunkel lässt mich Konturen erkennen. Meine Augen gewöhnen sich. Im roten glatten Haar steckt etwas Pinkfarbenes, rundlich, irgendwie wie ein Geschwür.

Bei Cats Anblick beginnt das Riesenweib lautstark zu heulen, schmeißt sich theatralisch in ihre Arme. Cat brummelt Versöhnliches - nehme ich an. Das Winseln und Wimmern nimmt kein Ende. Sieht aus, als wolle sie Cat verschlingen, erdrücken mit den blassen Tentakelarmen.

Ich folge den beiden durch den Flur in die Wohnküche. Cat löst sich aus der Umarmung und schiebt Zita ein Stück von sich. Da steht sie vor uns, die Tentakelfrau Zita! Die Arme hängen. Wahnsinn, die reichen bis zu den Kniekehlen. Dann ist da unüberschaubar der Tumor am hängenden, erbsengroßen Kopf.

»Was machst du denn nur?« Cat streckt sich, um an das Geschwür zu gelangen. »Ich wollte ...«, geräuschvoll zieht Zita die Nase hoch, fährt mit erstickter Stimme fort, »`ne leichte Welle, jetzt kriege ich die Bürste nicht mehr raus. Hab ich schon tausend Mal versucht, nur nie mit der Minibürste. Bei Svenja habe ich geklingelt, die ist unterwegs und ich bin doch mit Micha verabredet. Ich wusste mir keinen anderen Rat, als dich zu Hilfe zu holen, was soll ich nur tun?«

Ich stöhne. »Rausschneiden, ist total verfilzt, Mann!« Mein ungebetener Kommentar, während ich Zita seelenruhig umrunde. Mit gespitzten Fingern zupfe ich am Stiel, nach oben, nach unten. »Hilft nix - rausschneiden und du bist das Furunkel los!«

Schon setzt das Geheul erneut ein.

»Der Friseur ist im Urlaub«, schluchzt Zita. »Der hätte das hin bekommen.«

Cat wirft mir vernichtende Blicke zu. Ich ignoriere sie, scanne den Raum. »Krieg ich was zu trinken?« Das Schluchzen wird kurzzeitig unterbrochen. »Im Kühlschrank, da hinten in der Nische.« Die Tentakelarme weisen mir die Richtung.

Cat drückt Zita auf einen Stuhl, analysiert das Problem genau. »Du bist verletzt!«, bemerkt Cat entsetzt. »Ich habe mich mit dem Stielkamm geratscht.« Eine dicke Schramme prangt auf der Stirn, neben der schicken pinkfarbenen Rundbürste mit aufgerolltem roten Haar.

»Ich kriege das Ding garantiert raus, wo ist der Kamm?«, beruhigt sie, streichelt ihr über die Schulter. Die blassen Tentakeln zeigen in den Flur. »Im Bad auf dem Becken.« Cat verlässt uns.

Zita hebt den Kopf, schaut aus verheulten Augen. Riesige Kulleraugen glotzen. An dem Mädchen ist fast alles gigantisch, bis auf den Kopf und ihr Minigesicht. Ich lächle, scheine meine Wirkung zu verfehlen. Muss ich mich sorgen?

Ihr Kopf knickt ab, baumelt. Die Hände bewegen sich unruhig im Schoß, als spiele sie mit einem Rosenkranz. Da hilft nicht mal mehr beten, aber mir glaubt ja keiner.

Cat bearbeitet die aufgerollten Haare nach allen Regeln der Kunst, aber der Stielkamm will nicht so recht. Löst sie Strähnen auf einer Seite, zurren sie sich an der anderen fest. Verfilzt zusehends, wenn ich ehrlich bin. Die Milch tut gut. Sitze jetzt mindestens `ne viertel Stunde rum, langsam packt mich die Ungeduld.

Kein Wort, nur der Klang von dem Gezuppel und Gezirpe.

»Wann biste verabredet?« Mein Unterton ist leicht genervt. »Vor `ner halben Stunde, Micha wartet im Pferdestall«, flüstert das Riesen-Mädchen, atmet schwer, aber gelassener als zuvor. »Das kann ja Tage dauern, der arme Kerl. Wo finde ich `ne Schere?« Ich bin zu allem entschlossen, will dem ein Ende bereiten. »Nein, nicht meine Haare!« Die Gelassenheit verfliegt aus Zitas Stimme. »Nein! Nicht deine Haare!« Ich reiß mich zusammen. Aufhören mit dem Nachäffen!

»Wir schneiden die Noppen von der Bürste, dann kriegt man die Haare besser raus«, entgegne ich zügig. »Sehr gute Idee!« Cat stimmt mir zu. Bewaffnet mit der Schere, die sie in der Schublade findet, schneidet sie Stück für Stück die weißen Noppen von den Drahtborsten. Ihre Zunge, die derweil über die Lippen schleckt, soll den Vorgang beschleunigen. Gummiperlen hüpfen vergnügt durch die Küche, hinterlassen leise Töne bei jeder Berührung des Bodens. Ich lausche der Melodie. Hätte ich Ahnung von Noten ... würde ich sie aufschrieben.

Darüber vergesse ich fast die Zeit. Cat seufzt. Ich ahne Böses. Funktioniert nicht?

»Sieht schon besser aus«, versucht sie die Situation zu entschärfen. Eine halbe Ewigkeit ist an mir vorübergezogen. Das Wort »Seitenschneider«, schießt aus meinem Mund, erschüttert die raumfüllende Stille. Die Mädels starren entsetzt. Fragezeichen tanzen über ihre Stirne. Ich zögere keinen Moment, verlasse die Küche. Zurück, schlage ich lässig den Seitenschneider in meine hohle Hand. Miss Betty Page greift nach ihm. »Ich werd´ der Langen schon nicht die Ohren abschneiden!« Nix da!

»So, ich schneide jetzt die Borsten mit dem Seitenschneider ab, dann befreien wir deine Haare.« Ich triumphiere, würde mich gerne feiern lassen, ernte Unverständnis, Sorgenfalten und kullernde Tränen. »Das muss sein! Willst du am Ende doch die Matte abschneiden?« Ich erhebe meine Stimme, drohe, plustere mich auf, schiebe Cat weg und setze den Schneider an. Jetzt springen die Drahtborsten durch die Küche. Geht, zugegeben nicht, ohne doch ein paar Haare zu erwischen.

10 Minuten - die Sache ist geritzt. Ich löse das, was übrig ist, von der pinkfarbenen Rundbürste aus Zitas Haar. Haar? Strubbelig steht die imposante Filzwelle vom Erbsen-Kopf.

»Nie wieder benutze ich eine so kleine Bürste!«, haucht Zita erleichtert. »Naja, die ist ja jetzt auch tot«, antworte ich mit Sicht auf das pinkfarbene Ding. »Danke, das habt ihr super hingekriegt!« Sie umarmt erst kurz mich und dann lange Cat. »Rufe jetzt Micha an, dass ich nicht mehr komme. Bin erschöpft, muss erst mal `ne Packung machen.«

Micha ist ein Schaf, wenn er wartet! Würde ich nie, solange auf `ne Schnecke warten. Ich lege den Seitenschneider auf den Tisch und setze mich. Was für ein Akt!

Ich schaue auf die Kuckucksuhr an der Wand. Das Schwarzwaldmädel schaukelt unermüdlich hin und her. Der wird nie schlecht. Die Prozedur hat fast zwei Stunden gedauert. Vorteilhaft, dass ich praktisch veranlagt bin.

Auf dem Boden - die Noppen, die Drahtspieße und die langen fusseligen roten Haare ergeben bizarre Muster. Ich müsste die fotografieren. Mist keine Kamera dabei!

Zita und Cat kehren in die Küche zurück. »Zita, kannst du das Stillleben am Boden bis morgen lassen? Dann komm ich vorbei und schieße Fotos.« Ich schenke ihr mein betörendes Lächeln. Zita trägt einen Handtuchturban. Ein überdimensionaler Bienenkorb thront auf dem kulleräugigen Schädel.

»Klar, kein Problem! Aber was willst du denn damit?« Sie schüttelt das Köpfchen mit Unverständnis. Ich sorge mich um den Bienenkorb, der bedenklich schwingt und wackelt. »Na, das ist Kunst! Vielleicht kann ich die Fotos bei Vincent, einem Kumpel, in der Galerie ausstellen. Du darfst aber nix verändern, klar!« Zita nickt völlig fertig. Na ja, es ging schließlich um Leben und Tod! Ich grinse. So was hab ich bisher nicht erlebt, blieb mir erspart, da ich ohne Schwestern, ohne Geschwister aufgewachsen bin.

Ich stehe auf von dem Stuhl, der das Sammelsurium der Küchenstühle komplettiert. Strecke mich. »Werde jetzt mal fahren. Gibst du mir deine Nummer? Ich melde mich morgen, wegen der Fotos.« Zita schreibt die Ziffern auf einen Minizettel und reicht sie mir.

»Kann ich mitkommen? Ich suche ein Versteck und `ne Schlafgelegenheit«, bittet Cat mit bezauberndem Mandelaugen-Aufschlag. »Ich werde gesucht, du erinnerst dich?«

Zita ignoriert uns müde. In Trance, ausgepowert, vergisst sie, Cat einen Schlafplatz anzubieten. Sie dreht sich um und verschwindet in einem Zimmer.

Einsitzschwimmer

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