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Frau Potter, die Merkel & das Mädchen

Ein plötzlicher Knall, Stimmengewirr und Gekreische.

»Das kann nicht! Das kann einfach nicht!« Mein Körper spannt. Ich werde grün und blau und rot und verrückt vor Wut. Trete mitten ins gleißende Licht, schüttle verwirrt das Haupthaar, kneife die Augen zusammen. Meine Kiefer knacken, knirschen. Die Zähne reiben aufeinander. Das hört trotz des Lärms und des Tohuwabohus sogar der Alte um die Ecke.

»Was machen die bloß da, Shit?!« Polizist und Polizistin ringen mit einem Mädchen. Das gibt’s nicht. Die ist höchstens 17, hübsch dazu alle mal. Die Widerspenstige versucht, mit Kratzen, Beißen und Treten Bulle und Bulette zu entkommen.

Ich bemerke kaum, wie mein Körper automatisch mitmacht. Ein Tritt nach links, Knie hoch in die Eier, Faust geballt, treffsicher aufs Bullenohr. Dann spüre ich den nickeligen Blick der pickeligen Sensationshungrigen, die den Ereignissen auf der anderen Straße entgegen eilt. Sie schüttelt den akneübersäten Kopf, stimmt lautstark in das Geschrei.

Die wirren dunklen Haare der zierlichen Ringerin fliegen Ninja-Kämpfern gleich durch die Luft. Pinkfarbene T-Shirt-Fetzen verhüllen die schlanke Figur.

Es riecht streng. Riecht definitiv nach ... Die hat `ne Bombe gezündet, zu krass.

»Die Bank - das war mein Job, Scheiße! Wieso tauchen die Bullen so fix auf?«, lausche ich meiner erbosten Frage. Rundum wimmelt es von allerlei Witzfiguren. Der Greis popelt vor versammelter Gesellschaft. Was für ein Kaff. Ich schleiche an das Spektakel heran, unauffällig, darin bin ich erprobt!

Eine Tusse im zu figurbetonten Kostümchen schwatzt aufgeregt vom zerstörten Display des Geldautomaten.

»Oh Mann, wirklich nur das Display gesplattert. Nicht mal Kohle ist dabei rum gekommen«, flüstere ich vorsichtig. »Mädchen, Mädchen! Dafür gehst du in den Knast.«

Ich nutze das Gewimmel aus.

»Das ist unsere Chance – kommt Jungs, gehen wir rein!«, zische ich den unentschlossenen bunten Körpergemälden zu. Zaghaft betrete ich den Vorraum der Bank. Keiner da, der mich aufhalten will. Falte blitzartig die Papiertüte auf, die in meiner Hose verstaut war. Alle verfallen dem Chaos vor der Türe. Mein flüchtiger Blick streift Kontoauszugsdrucker, Serviceterminal und Geldautomat. Aus dem Augenwinkel erkenne ich - tatsächlich nur das Display und diese schwefeligen Schwaden. Sie wollen mich ersticken, Mund-und Nasenschleimhäute verätzen. Der Brechreiz kriecht in meinen leeren Magen. Da muss ich durch! Bloß nicht husten. Zögerlich gewöhnen sich meine dem gleißenden Licht ausgesetzten Augen an die Dunkelheit und mein angespanntes Hirn an die Stille im Schalterraum. »Niemand zu Hause?« Selbstbedienung, ganz nach meinem Geschmack!

Das Knistern der Papiertüte schwillt zu ohrenbetäubendem Lärm. Ich schrecke zusammen, entschlossen, den Krach in den Griff zu bekommen. Erneut bleibt mir die Luft weg. Auf unerklärliche Weise tragen mich meine Beine bis vor das Pult. Los - jetzt Tüten-Tarneinsatz!

Tattoo Lady Betty Page hebt die knisternde Tüte, dann erstarrt sie. Schleichend wechselt meine Farbe - bin transparent. Kalter Angstschweiß bricht aus all meinen Poren. Einem ›Hau den Lucas‹ gleich schießt diese Dame mit Nickelbrille hinter dem Pult hervor.

Die Zwillingsschwester von Harry Potter – hallt es durch meinen Kopf. Transparenz schwindet. Das Blut pocht in meinen Ohren und meinen Knien. Ich winsele mit letzter Kraft: »Überweisungsträger.« Irgendetwas drückt mir die Gurgel zu. »Überweisungsträger, ich benötige Überweisungsträger.« Die Augen meines unverhofften Gegenübers blitzen angriffslustig. Die Mundwinkel hängen teilnahmslos - wie bei der Merkel – Chuckys Braut. »Bitte!«, presse ich heiser mit ungelogen allerletzter Kraft aus mir heraus.

Das gereizte Funkeln ist besänftigt. Genauso blitzartig, wie sie erschien, knallt sie mir einen Stapel Formulare vor die Nase.

»Schönen Tag noch«, lispelt sie. Ihr Wispern kriecht in meine Eingeweide, die sich träge ordnen. Schwups, ist sie hinter dem klobigen Möbel verschwunden. Ich greife nach den Vordrucken, stopfe sie in die Papiertüte. Blutleer drehe ich mich um meine eigene Achse, schwebe aus der Bank. Erleichtert, unterkühlt durch den Schweiß und von Panik geschüttelt finde ich mich vor dem Geldhaus wieder. Meine Papiertüte in der Hand baumelt am schlaffen Arm. Die Meute - aufgelöst. Weder Bullen noch Mädchen, auch der Alte ist verduftet. Sogar die Sonne will versinken bei meinem erbärmlichen Anblick. Unfassbar, das war meine große Chance, und ich vermassele den Scheiß. Eine todsichere Chance. Schlimmer, als `nen Elfmeter zu vergeben. Ich trete ins Nichts. Den hätte ich machen müssen! Ich spüre dumpfe Leere – fuck.

Schwitzen, schmoren im eigenen Sud. Gedemütigt kratze ich mich hinter dem Ohr, berühre das ekelhaft klebende Haar, nutze das Zeitfenster für Überlegungen. Wie ist Plan B?

Einsitzschwimmer

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