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2. Pflicht zum Erscheinen
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Neben der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung (§ 230 StPO) besteht für den Beschuldigten auch die Verpflichtung, im Ermittlungsverfahren zu Vernehmungen vor dem Ermittlungsrichter (§ 133 I StPO) und der StA (§ 163a III 1 StPO) zu erscheinen. Er kann gem. §§ 134, 135 StPO (ggf iVm § 163a III 2 StPO) zwangsweise vorgeführt werden. Dies ist auch dann zulässig, wenn der Beschuldigte bereits ausdrücklich erklärt hat, nicht zur Sache aussagen zu wollen (str.[91]). Dem Richter bzw Staatsanwalt darf nämlich nicht die Möglichkeit genommen werden, sich bereits im Ermittlungsverfahren einen persönlichen Eindruck vom Beschuldigten zu verschaffen. Zudem kann der Vernehmungstermin auch noch einem vom Aussageverhalten des Beschuldigten unabhängigen Zweck, wie etwa einer Gegenüberstellung, dienen[92]. Eine Pflicht, vor der Polizei zu erscheinen, besteht für den Beschuldigten nach wie vor nicht[93] (anders seit dem Jahr 2017 für den Zeugen: § 163 III 1 StPO, u. Rn 293). Vor dem erkennenden Gericht – einschließlich der Verkündung des Urteils und von Beschlüssen – dürfen beteiligte Personen (auch der Angeklagte) ihr Gesicht weder ganz noch teilweise verhüllen (§ 176 II 1 GVG). Untersagt ist deshalb zB auch das Tragen eines Niqab seitens muslimischer Frauen. Auch Maßnahmen nach § 81a I 2 StPO müssen geduldet werden. Der Vorsitzende kann jedoch insoweit Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist (§ 176 II 2 GVG)[94].
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Lösung Fall 16 (Rn 169): Die unterbliebene Belehrung gem. §§ 136, 163a IV 2 StPO hat nach inzwischen nahezu übereinstimmender Ansicht in Rspr und Lehre auch dann ein Verwertungsverbot zur Folge, wenn es sich um eine polizeiliche Vernehmung handelt (s. nur BGHSt 38, 214, 218). Dieses Verwertungsverbot ergibt sich aus dem Zweck des § 136 I 2 StPO, wonach der Beschuldigte frei darüber entscheiden können soll, ob er sich selbst belasten möchte. Das Verwertungsverbot könnte entfallen, wenn A sein Schweigerecht kannte. Dafür bestehen hier aber keine Anhaltspunkte. Einzelheiten s.o. Rn 179.
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Lösung Fall 17 (Rn 170):
a) Bei sog. Spontanäußerungen ist eine Beschuldigtenbelehrung (insbes. über das Schweigerecht) schon faktisch unmöglich. Es liegt keine Vernehmung iSv §§ 136, 163a IV 2 StPO vor. Es besteht Einigkeit, dass die Spontanäußerung auf dem Wege der Vernehmung des K als Zeuge in das Verfahren eingeführt und uneingeschränkt verwertet werden kann (vgl BGH NStZ 1990, 43).
b) Hier sind zwar alle befragten Mitarbeiter in bestimmtem Umfang tatverdächtig, die Ermittlungen haben sich jedoch noch nicht auf einen oder mehrere Verdächtige konzentriert, vielmehr soll durch die Befragung sämtlicher Mitarbeiter erst erforscht werden, gegen wen ggf als Beschuldigten zu ermitteln ist. Da bisher ein Willensakt der Polizei fehlt, die Befragten zu Beschuldigten zu erklären, und das Unterlassen dieser Erklärung nicht willkürlich ist, handelt es sich noch nicht um Beschuldigtenvernehmungen, sondern um informatorische Befragungen von Verdächtigen, bei denen keine Belehrungspflicht gem. § 163a IV 2 iVm § 136 I 2 StPO besteht. Ob in diesem Fall die Aussage trotz fehlender Belehrung später verwertet werden kann, ist derzeit sehr umstritten. Die herrschende Rspr und Lehre sprechen sich für eine Verwertbarkeit aus. Nach richtiger Ansicht gebietet die Interessenlage jedoch die Unverwertbarkeit. Anderenfalls könnte die Belehrungspflicht zu leicht umgangen werden. Die frühere Aussage darf also nicht durch Zeugenvernehmung des K in das Strafverfahren eingeführt und für die Urteilsfindung verwertet werden.
c) Hier erfolgte die Vernehmung des P auf Grund einer gegen ihn erstatteten Strafanzeige. Leitet die Strafverfolgungsbehörde auf Grund einer solchen Anzeige Ermittlungen ein, so bringt sie damit konkludent zum Ausdruck, dass sie das Verfahren gegen den Betroffenen als Beschuldigten betreibt. Derjenige, gegen den sich die Anzeige richtet, ist also stets Beschuldigter und zwingend als solcher zu vernehmen (M-G/Schmitt, Einl. Rn 77; aA Kohlhaas, NJW 1965, 1254, 1255; vgl dazu auch noch u. Rn 479). P hätte also über seine Rechte belehrt werden müssen, §§ 136, 163a IV 2 StPO. Wenn er sein Schweigerecht nicht kannte, so ist die ohne Belehrung zu Stande gekommene Aussage unverwertbar.
d) In dieser Fallvariante ist es fraglich, ob P bereits Beschuldigter ist, mit der Folge, dass es sich bei dem Gespräch mit K nicht nur um eine informatorische Befragung, sondern um eine Vernehmung iSv § 136 StPO mit entsprechenden Belehrungspflichten handeln würde. P könnte durch die Durchsuchungsanordnung konkludent zum Beschuldigten erklärt worden sein. Gem. § 102 StPO kann eine Durchsuchung zwar bereits gegen einen Verdächtigen, der noch nicht Beschuldigter sein muss (M-G/Schmitt, § 102 Rn 3), und gem. § 103 StPO auch gegen Unverdächtige angeordnet werden. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, eine Durchsuchungsanordnung besage generell nichts über die Begründung der Beschuldigtenstellung (so aber Rogall, S. 25). Aus den Umständen des Einzelfalles kann sich durchaus ergeben, dass die Strafverfolgungsbehörde das Verfahren gegen den Betroffenen als Beschuldigten betreibt (BGHSt 38, 214, 228). Das ist hier der Fall, denn es lagen auf Grund des anonymen Hinweises konkrete Anhaltspunkte für die Täterschaft des P vor und diese waren auch ursächlich für die Zwangsmaßnahme. K hätte den P also belehren müssen. Bei fehlender Belehrung und entsprechender Unkenntnis seitens des P kann die Aussage nicht verwertet werden (wie o. c).
Weitere Einzelheiten zur Fallproblematik s.o. Rn 171–174, 179 ff.