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II. Der Grundsatz des gesetzlichen Richters
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Gem. Art. 101 I 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Dabei versteht man unter „gesetzlichem Richter“ den durch das Gesetz und die das Gesetz ergänzenden Geschäftsverteilungspläne der Gerichte allgemein und im Voraus bestimmten Richter. Art. 101 I 2 GG gewährt also einen grundrechtsähnlichen Anspruch[8] darauf, dass der Staat durch das Strafverfahrens- und Gerichtsorganisationsrecht im Vorhinein für jeden denkbaren Rechtsfall abstrakt regelt, welches Gericht in der Sache zu befinden hat (s.a. § 16 S. 2 GVG).
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Das deutsche Gerichtsverfassungsrecht hat hierfür höchst unterschiedliche Kriterien gewählt (zB Deliktscharakter, Straferwartung, Bedeutung des Falles), die nicht immer eine mathematisch exakte Beantwortung der Zuständigkeitsfrage erlauben. Sofern unterschiedliche Antworten denkbar erscheinen, ist es zweifelhaft, ab wann eine Fehleinschätzung seitens eines Strafverfolgungsorgans (insbes. seitens der StA als Anklagebehörde) als Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters eingestuft werden muss. Mit der ganz hA sollte man eine Verletzung des Art. 101 I 2 GG ablehnen, falls die gesetzwidrige Bestimmung des Spruchkörpers auf einem bloßen Verfahrensirrtum beruht (error in procedendo). Nur bei einer objektiv willkürlichen Maßnahme, dh einer solchen, die auf völlig sachfremden Erwägungen beruht, liegt eine Entziehung des gesetzlichen Richters vor[9].
Der gesetzliche Richter kann sich auch aus Regelungen jenseits des eigentlichen Prozessrechts ergeben.
Beispiel (nach BGHSt 61, 296): In einem Strafverfahren vor dem LG hat sich die Beweisaufnahme unvorhergesehen über Monate in die Länge gezogen. Während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung (§ 229 StPO, Rn 581) hat die beisitzende Richterin R ein Kind zur Welt gebracht. Zwei Wochen nach der Geburt wird das Urteil unter Mitwirkung der R verkündet.
Lösung: Hier hat eine Richterin mitgewirkt, für die nach den Regeln des MuSchG (iVm entsprechenden Landesgesetzen) ein Dienstleistungsverbot bis zum Ablauf von 8 Wochen nach der Geburt bestand. Das Gericht war nicht ordungsgemäß besetzt. Der Beschuldigte ist seinem gesetzlichen Richter entzogen worden. Hierauf könnte eine Revision gegen das Urteil gestützt werden (§ 338 Nr 1 StPO, Rn 854)[10].
§ 3 Gericht, Gerichtsaufbau und Zuständigkeit › III. Arten der Zuständigkeiten