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a) Aussetzung des Strafverfahrens

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Nach § 396 AO kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, wenn die Beurteilung der Tat[49] zunächst von der Vorfrage abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind.[50] Die Vorschrift ermöglicht die Aussetzung des Strafverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß des Besteuerungsverfahrens, wenn das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung fraglich ist. Die Möglichkeit der Verfahrensaussetzung soll widersprüchliche im Besteuerungs- und Strafverfahren (über § 410 Abs. 1 Nr. 5 AO auch Bußgeldverfahren) vermeiden helfen.[51]

Beispiel:

Die Angeklagte hatte sich gegen Versprechen einer Provision bereit erklärt, einem Immobilienkäufer beim Erwerb eines Grundstücks in Berlin behilflich zu sein. Nach dem Kaufabschluss erhielt sie für ihre Mitwirkung 2,5 Mio. €, obwohl sie nach außen hin kaum tätig geworden war. Unter Mitwirkung des mit angeklagten Steuerberaters gab sie diese Einkünfte nicht bei der Einkommensteuererklärung an. Die Berufungsinstanz hatte beide Angeklagte zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das FG war in AdV-Verfahren wie erstinstanzlichem Klageverfahren von steuerpflichtigen „sonstigen Leistungen“ i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG ausgegangen. Die Revision hiergegen wurde vom BFH zugelassen, war aber zum Entscheidungszeitpunkt des Strafurteils noch nicht entschieden. Die strafrechtliche Revision rügte u.a., dass das Landgericht den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 396 AO zu Unrecht abgelehnt habe. Die Sachrüge wendet sich gegen die Einkommensteuerpflicht der Provisionszahlung. Das BayObLG hat die Revision in beiden Punkten als unbegründet angesehen:

1. Auch bei steuerrechtlichen Vorfragen von grundsätzlicher Bedeutung verbleibt dem Strafrichter ein Ermessensspielraum zu der Frage, ob das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt werden soll.
2. Eine „sonstige Leistung“ i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG liegt auch ohne eine solche erkennbare Erwerbstätigkeit bei der gelegentlichen Vermittlung eines Immobiliengeschäfts jedenfalls dann vor, wenn das Entgelt für die Vermittlung nicht zwischen den Beteiligten lediglich verrechnet wird.[52]

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§ 396 AO ist eine speziellere Vorschrift und geht den §§ 154d, 262 Abs. 2 StPO vor.[53] Die Aussetzung kann solange dauern, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Während der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjährung, § 396 Abs. 3 AO.[54] Diese steuerstrafrechtliche Vorschrift hat Vorrang gegenüber der allgemeinstrafrechtlichen Bestimmung des § 78c Abs. 3 StGB, mit der Folge dass die absolute Verjährung bei Ruhen des Verfahrens im Zuge einer Aussetzung nach § 396 AO nicht eintritt, sondern die Verjährung praktisch um die Dauer des Ruhens ergänzt wird.[55] Eine zwingende Notwendigkeit zur Aussetzung des Verfahrens besteht nicht, weil der Strafrichter an die finanzgerichtliche Entscheidung nicht gebunden ist und ihm die Vorfragenkompetenz zusteht.[56] Selbst wenn er das Strafverfahren ausgesetzt hatte, um den Ausgang des Besteuerungsverfahrens abzuwarten, ist er rechtlich nicht gehindert, die im Strafverfahren bedeutsame steuerrechtliche Frage anders zu beurteilen als die Finanzbehörde oder das Finanzgericht.[57]

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Über die Aussetzung entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, nach Anklageerhebung das Gericht; sofern das Ermittlungsverfahren von der Finanzbehörde selbstständig geführt wird, befindet sie über die Aussetzung des Strafverfahrens im Ermittlungsstadium (§ 399 Abs. 1 i.V.m. § 386 Abs. 2 AO).[58] Die Ermessensentscheidung muss die Abwägung des öffentlichen Interesses an Rechtssicherheit durch Verhütung widersprüchlicher Entscheidungen in derselben Rechtssache gegen die Interessen des Beschuldigten oder Angeklagten erkennen lassen, dem die Aussetzung des Strafverfahrens wegen ihrer urteilsverzögernden Wirkung manchmal durchaus willkommen ist.

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Die Aussetzungsmöglichkeit wird in der Praxis – wenn auch öfters – immer noch verhältnismäßig selten wahrgenommen.[59] Dem Gesetzeszweck des § 396 AO, widersprüchliche Interessen im Straf- und im Besteuerungsverfahren zu vermeiden, wird durch das dem Strafrichter eingeräumte Ermessen gesetzestechnisch nur unvollständig Rechnung getragen. Demzufolge ist auch umstritten, wann eine Aussetzung konkret in Betracht kommt.

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Die Sachverhaltsermittlung bleibt uneingeschränkt Aufgabe der Strafverfolgungsorgane, Zweifel zur Höhe der hinterzogenen Steuern sind ebenso wie Fragen zur inneren Tatseite nicht vorfragenrelevant.[60] Unklar ist, ob eine Aussetzung erst dann in Betracht kommt, wenn sich die Frage nach der Strafbarkeit auf das grundsätzliche Bestehen eines Steueranspruchs zuspitzt, wobei es nur noch um die Auslegung steuerlicher Rechtsfragen geht.[61] Eine Verpflichtung des Strafgerichts, das Verfahren zur Klärung steuerrechtlicher Vorfragen auszusetzen, wenn dadurch schwere Nachteile für den Angeklagten, wie z.B. eine öffentliche Hauptverhandlung vermieden werden können, wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt. Es ist lediglich von Amts wegen zu prüfen, ob das Strafverfahren ausgesetzt werden soll.[62]

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Die Aussetzungsverfügung bzw. der -beschluss muss klar zum Ausdruck bringen, aufgrund welcher der Vorschriften das Steuerstrafverfahren jeweils ausgesetzt wird. Dies hat Bedeutung für die Verjährung, denn nur bei der Aussetzung gem. § 396 AO ruht die Verjährung, während dies bei einer Aussetzung gem. §§ 154d, 262 StPO nicht der Fall ist.[63] Nicht nur nach Aufassung der Verwaltung ist § 396 AO als Ausnahmevorschrift zu dem in Art. 6 Abs.1 EMRK garantierten (strafprozessualen) Beschleunigungsgebot im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu verstehen und darf deshalb nur restriktiv angewendet werden.[64]

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Gegen die Aussetzungsverfügung der Staatsanwaltschaft, gleich ob sie die Aussetzung anordnet oder ablehnt, ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben, sondern nur die Dienstaufsichtsbeschwerde möglich. Dies gilt auch, wenn die Finanzbehörde über die Aussetzung im selbstständig geführten Ermittlungsverfahren entscheidet; der Beschuldigte kann sich hier noch an die Staatsanwaltschaft mit der Bitte wenden, dass sie das Strafverfahren an sich ziehe, § 386 Abs. 4 S. 2 AO.

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Hat das Gericht über die Aussetzung des Strafverfahrens entschieden, so ist auch hier ein gesondertes Rechtsmittel nicht gegeben. Gegen die Ablehnung eines Aussetzungsbegehrens gibt es keine Beschwerde nach § 305 StPO, weil sie mit den nachfolgenden Sachentscheidungen in engem Zusammenhang steht; die Entscheidung kann daher nur mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil angegriffen werden.

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Die Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss ist ausnahmsweise zulässig, wenn er der Vorbereitung des Urteils nicht dienlich, deshalb ohne inneren Zusammenhang mit ihm ist und nur verfahrenshemmend und -verzögernd wirkt, oder wenn er überhaupt gesetzeswidrig ist, weil die Voraussetzungen des § 396 AO nicht vorliegen.[65]

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