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e) Zwingendes öffentliches Interesse, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO

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Die Regelung, die bei der Auslegung in der Praxis die größten Schwierigkeiten bereitet, enthält Ziffer 5: Eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist zulässig, wenn dafür ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Die AO enthält keine Erläuterung dieses unbestimmten Begriffs. Das zwingende öffentliche Interesse wird an Beispielen (Verbrechen[36] und vorsätzlich schwere Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat, schwere Wirtschaftsstraftaten, Offenbarungsinteresse der Verwaltung) erläutert.[37] Diese drei Fallgruppen stellen die Richtschnur für die Beurteilung der Sachverhalte dar, die nicht ausdrücklich gesetzlich benannt werden. Sie müssen also ähnlich bedeutend sein. Die Finanzbehörde hat die Entscheidungsfindung transparent durchzuführen und für einen sachverständigen Dritten nachvollziehbar darzulegen. Selbst wenn das öffentliche Interesse bejaht wird, muss eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses unterbleiben, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird. Dies ist erforderlich, um zu verhindern, dass die Durchbrechung willkürlich[38] zu einer nicht kalkulierbaren Kasuistik wird. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung kann auch bei vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen bejaht werden.[39] So hat der BGH hat die Durchbrechung des Steuergeheimnisses für einen Fall gebilligt, in dem ein ehemaliger städtischer Bediensteter Bestechungsgelder angenommen hatte.[40] Betrugstaten, deren Begehung besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erfordern, können zu einer Durchbrechung des Steuergeheimnisses führen, wenn sie wegen der Begehungsweise und der Höhe des Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören.[41] In Anbetracht der überragenden Bedeutung der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter für ein ordnungsgemäß funktionierendes Gemeinwesen wird dem Steuerpflichtigen – entgegen dem Selbstbelastungsverbot – demnach die Erklärung auch solcher Einkünfte zugemutet, durch deren Offenbarung er in den Verdacht einer Straftat geraten und durch die er sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen kann.[42] Problematisch ist die Vorschrift wegen ihres sehr weit auslegbaren Wortlauts vor allem deshalb, weil § 393 Abs. 2 S. 2 AO solche weitergegebenen Kenntnisse ausdrücklich vom Verwertungsverbot ausnimmt und diese nicht einmal dann mit einem Verwertungsverbot belegt, wenn solche Erkenntnisse „in Erfüllung steuerlicher Pflichten“, ja sogar unter Anwendung von Zwangsmitteln, offenbart wurden.[43] Trotz aller Mängel wird die Vorschrift bei äußerst restriktiver Auslegung als verfassungskonform angesehen.[44]Der Gesetzgeber hat das Strafverfolgungsinteresse in diesen Fällen über das Selbstbelastungsverbot gestellt. Der Verteidiger wird im Einzelfall zu prüfen haben, ob die an die Strafverfolgungsbehörden weitergegebenen Sachverhalte in ihrer Wertigkeit tatsächlich mit den im Gesetz genannten Beispiele zu vergleichen sind und ggf. ein Verwertungsverbot geltend machen. Der Anwendungserlass zu § 30 AO führt über die o.g. allgemein gehaltenen Ausführungen hinaus eine ganze Reihe von Straftaten auf, bei denen ein zwingendes öffentliches Interesse bejaht wird:

bestimmte Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen
Bekämpfung terroristischer Aktivitäten
Individualrechtsgüter von Amtsträgern (z.B. Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung)
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Siegelbruch, Vollstreckungsvereitelung
Insolvenzstraftaten (Bankrott, §§ 283, 283a StGB; Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB; Gläubigerbegünstigung § 283c StGB)
Kindesmisshandlung
Embargoverstöße

Diese Straftaten werden häufig während der Durchsuchung oder bei den nachfolgenden Ermittlungen entdeckt. Der Verteidiger wird seinen Mandanten eingehend befragen müssen, welche „Leichen“ er noch im Keller hat und im Einzelfall entscheiden, ob man im Wege eines Geständnisses in die Offensive gehen muss.

Einzelne Straftaten werden erst während der Durchsuchung begangen (z.B. Widerstand, Beleidigung). Ein mäßigendes Einwirken auf den Mandanten kann dies verhindern.

Verteidigung in Steuerstrafsachen

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