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Teil 1 Allgemeine Grundfragen › IV. Der Tatbegriff im Steuerstrafrecht

IV. Der Tatbegriff im Steuerstrafrecht

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Der Begriff der Tat spielt im Bereich des Steuerstrafrechts eine gewichtige Rolle.[1] Der Tatbegriff wird in nahezu allen zentralen steuerstrafrechtlichen Bestimmungen direkt oder indirekt als Tatbestandsmerkmal zugrunde gelegt. Dies betrifft prozessuale Vorschriften wie die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (§ 397 Abs. 1 AO), die hieraus folgende, besonders im Betriebsprüfungsverfahren relevante günstigere Rechtsstellung des Beschuldigten (§ 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO), den Bereich des Steuergeheimnisses (§ 30 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 4 AO), daran anknüpfend den Umfang des Verwertungsverbots (§ 393 Abs. 2 AO), die Zuständigkeitsregelung für Steuerstrafsachen (§ 386 Abs. 1 und 2 AO) sowie die Fragen der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft und schließlich auch die Aussetzung des Verfahrens (§ 396 AO).

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Daneben sind aber auch materiell-rechtliche Fragen wie Umfang der Selbstanzeige bzw. deren Sperrwirkung (§ 371 Abs. 1 und 2 AO), die Reichweite der Verjährung und verjährungsunterbrechender Maßnahmen (§ 376 AO, § 78c StGB) sowie die Konkurrenzvorschriften der §§ 52, 53 StGB von der Auslegung des Tatbegriffs betroffen. Vor allem der Umstand, dass Hinterziehungen verschiedener Steuerarten über eine natürliche Handlungseinheit das Vorliegen nur einer einzigen Tat im materiellen Sinn (§ 52 StGB) begründen können, macht eine Auseinandersetzung mit dem aus dem Allgemeinen Teil des StGB stammenden Problemkreis der Bestimmung des Tatbegriffs auch für den im Steuerstrafrecht tätigen Berater unausweichlich.

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Für die Auslegung des Tatbegriffs wird im Einzelfall entweder auf den materiell-rechtlichen Tatbegriff[2] oder auf den prozessualen Tatbegriff i.S.d. §§ 155, 264 StPO[3] zurückgegriffen. Die einfachste und sicherlich praktikabelste Lösung, nämlich die durchgehende Verwendung eines einheitlichen Tatbegriffs für alle Anwendungsfälle im Steuerstrafrecht, hat sich nicht durchgesetzt. Die wohl überwiegende Meinung berücksichtigt bei der Auslegung des Tatbegriffs die völlig unterschiedlichen Regelungszwecke und Auslegungsgrundsätze der einzelnen Vorschriften und wendet bei prozessualen Vorschriften den prozessualen Tatbegriff der §§ 155, 264 StPO, bei materiellen Vorschriften dagegen den materiell-rechtlichen Tatbegriff an.[4] Daneben wird ein speziell auf das Steuerstrafrecht zugeschnittener steuerstrafrechtlicher Tatbegriff diskutiert.[5] Die Rechtsprechung geht vielfach bei einer Steuerstraftat von identischer prozessualer und materiell-rechtlicher Tat aus. Begründet wird diese pragmatische Auffassung mit einer „Verklammerungsgedanken“, wonach Umfang und Reichweite der prozessualen Tat neben der Blankettvorschrift des § 370 AO maßgeblich auch aus den Vorschriften des materiellen Steuerrechts bestimmt werde.[6]

Die Auseinandersetzung in der Literatur sowie die fehlende oder uneinheitliche Rechtsprechung belegen jedoch, dass die Gesamtproblematik auch heute dogmatisch wie systematisch noch nicht abschließend geklärt ist.[7]

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Für den Berater genügt es hierbei zunächst, die Problematik des Tatbegriffs in größerem Zusammenhang zu erkennen. Deshalb ist an dieser Stelle lediglich auf die unterschiedlichen Auslegungs- und Interpretationsmöglichkeiten bei den nachfolgend behandelten Anwendungsbereichen des Tatbegriffs hinzuweisen. Unter Zugrundelegung der allgemeinen Grundsätze bleibt es dem Verteidiger im konkreten Einzelfall überlassen, die bestmögliche Argumentation für den Mandanten zu finden, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Besonderheiten.

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Hinweis

Der Verteidiger muss in jedem Fall der Tendenz aufseiten der Ermittlungsbehörden entgegenwirken, aus fiskalischen und/oder prozesstaktischen Gründen den jeweils günstigsten Tatbegriff auszusuchen.[8]

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Er muss einerseits bei der Frage nach der Wirksamkeit der Selbstanzeige betreffend die hinreichende Materiallieferung nach § 371 Abs. 1 AO z.B. zumindest mit dem engstmöglichen Tatbegriff argumentieren. Dabei sollte er dem Abstellen der Ermittlungsseite auf einen zu weiten über den Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO hinausgehenden („… zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart“ …berichtigt…, wird…nicht…bestraft) Tatbegriff entgegentreten, auch wenn vor dem Hintergrund des Verbots der Teilselbstanzeige (…in vollem Umfangberichtigt) lediglich geringer Spielraum, etwa für andere Steuerarten, bleibt. Bei steuerstrafrechtlichen Ermittlungen ist im laufenden Besteuerungsverfahren bereits darauf hinzuwirken, dass der Umfang des bestehenden Anfangsverdachts möglichst vollständig festgehalten wird, um so dem Steuerpflichtigen seine Beschuldigtenrechte zu sichern und eine spätere Selbstanzeigemöglichkeit noch offen zu halten. Bei der Selbstanzeige sollte der Verteidiger dann auch bei den Sperrgründen versuchen, mit entsprechenden Argumenten zugunsten des Mandanten den engsten Tatbegriff bei den Strafverfolgungsbehörden ins Spiel zu bringen.[9] Trotz des Wortlautes der Neufassung des § 371 Abs. 2 AO (Straffreiheit tritt nicht ein, wenn…bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten…) bestehen Spielräume. Die Diskussion ist hier – im Gegensatz zur zwischenzeitlich doch eher einschränkenden Gesetzesfassung des neuen § 371 Abs. 1 AO – noch in vollem Gange.[10]

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Hinweis

Engagement in diesem eher filigranen Bereich lohnt sich, da zumindest weitere Verhandlungsspielräume entstehen, die dann zugunsten des Mandanten zu nutzen sind.

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