Читать книгу Karl Sundermeier - Der Orchideenmissionar - Sieglinde Quick - Страница 11
Nach dem Krieg
ОглавлениеDann war der Krieg endlich zu Ende. Als die amerikanischen Soldaten in Bünde und Südlengern einzogen, kamen sie auch zum Sundermeierschen Haus, um es in Beschlag zu nehmen. Da stellte sich Paula mit ihren sechs Kindern, die sich wie die Orgelpfeifen hinter ihr aufgereiht hatten, vor das Haus. Als das einer der Soldaten sah, entschied er kurz entschlossen, sie könnten dort weiterhin wohnen, müssten dann aber noch andere Familien aufnehmen. Das war selbstverständlich für die Familie. So kamen viele aus den umliegenden Häusern zu ihnen.
Trotzdem wollten die Soldaten am nächsten Tag ihre riesigen Lastwagen – wie bei den anderen Häusern – auf dem Ackergelände der Sundermeiers parken. Zufällig war aber Karl gerade dabei, den Schaf- und Schweinemist auf dem Acker zum Anpflanzen der Kartoffeln zu verteilen. In den Mist wollten die Soldaten ihre Lastwagen nicht stellen, und deshalb blieben diese Äcker verschont. Mit den dadurch gewonnenen Erträgen konnten die vielen Menschen, die im Sundermeierschen Haus untergekommen waren, in der Hungerszeit satt werden. So hatte Gott auch hier seine schützende Hand über sie gehalten.
Im Sommer nach Kriegsende verbrachte Karl die meisten Stunden des Tages draußen auf dem Feld und im Wald. In dieser Zeit zähmte er sich eine junge Elster, die er Jakob nannte. Zuerst schützte er Jakob in einem Käfig, damit er nicht von der Katze gefressen wurde und nicht wegfliegen konnte, als er flügge wurde. Bald wurde Jakob so zahm und zutraulich, dass Karl ihn auf seiner Schulter spazieren führen konnte. Allerdings konnte er Jakobs Wesen nicht zähmen, sodass er wie andere Elstern auch seiner räuberischen Ader nachkam. Da die Elster keine natürliche Scheu mehr vor den Menschen hatte, war sie auch so dreist, durch die offenen Schlafzimmerfenster zu fliegen und nach glitzernden Gegenständen Ausschau zu halten. Das rief natürlich bei den Nachbarn etwas Unmut hervor, da sie sich um ihren Schmuck sorgten.
Karl hatte die Elster Jakob so weit gezähmt, dass er mit ihr auf der Schulter spazieren gehen konnte.
Manchmal klaute Jakob auch Erdbeeren. Und einmal wollte ein Mann, der ganz stolz seine amerikanische Zigarette rauchte, mit dieser die Elster ärgern. Er hielt ihr das glühende Zigarettenende entgegen, damit der Vogel sich daran seinen Schnabel verbrannte. Doch Jakob nahm blitzschnell die Zigarette am hinteren Ende in den Schnabel und flog mit ihr davon. Damit hatte der Mann natürlich nicht gerechnet, und er lief laut schimpfend hinter seiner Zigarette her, ohne sie jedoch wiederzubekommen.
Schließlich musste Karl Jakob doch noch hergeben, da er sich an den mühsam gezüchteten Taubeneiern eines Taubenzüchters vergriffen hatte. So schenkte er Jakob seinem Freund Herbert, auf dessen elterlichem Hof er bleiben durfte.
Im Juli 1945 kam zum Glück auch Vater Fritz wohlbehalten aus der Gefangenschaft wieder nach Hause. Aber er war nicht nur dafür äußerst dankbar, sondern auch, dass er in diesem ganzen schrecklichen Krieg nicht einen Schuss hatte abgeben müssen.
Da es in diesen Zeiten kaum möglich war, Tabak zu bekommen, ruhte die Zigarrenwerkstatt. Deshalb baute Fritz neben dem Haus eine Scheune mit einem Dachboden, wo er Holz lagern konnte, und arbeitete als Schreiner. Er stellte sogar einen Schreinermeister und Gesellen ein. Gemeinsam stellten sie Speile für die Schuhindustrie her. Das waren ganz speziell gefräste kleine Holzstifte, die als Nägel für Schuhe verwendet wurden und schwer zu bekommen waren. So lernte Karl auch das Schreinerhandwerk mitsamt allen Maschinen kennen, was er später noch gut gebrauchen konnte.
Zum neuen Schuljahr im Herbst ging für Karl und seine Geschwister ganz normal die Schule wieder los. Auch wenn es ihnen besser ging als vielen anderen Deutschen in der Nachkriegszeit, waren die Folgen des Krieges doch auch hier in Südlengern zu spüren. Dennoch blieb Karl weiterhin der schelmische und zugleich zielstrebige Junge, der mitunter auch heimlich zusammen mit seinen Brüdern eine Zigarre rauchte.
Mit seinem Freund Herbert begann Karl 1945 noch etwas anderes: Sie nahmen sich vor, gemeinsam die ganze Bibel durchzulesen. Jeder las für sich jeden Tag zwei Kapitel und am Sonntag lasen sie alle Kapitel noch einmal gemeinsam und sprachen miteinander darüber. Immerhin kamen sie bis zum Propheten Jesaja. Karl las später die Bibel alleine zu Ende. In dieser Zeit sollte sich sein Glaube sehr verändern.