Читать книгу In besten Händen - Sky du Mont - Страница 19
6.
ОглавлениеIn der Stille der Nacht registrierte Mark jedes Geräusch wie einen kleinen Nadelstich in seinem malträtierten Kopf. Die Nacht war erstaunlich warm, ja beinahe schwül. Er schlug die Bettdecke zurück und sah auf. Im Zimmer war es still, er war allein. Gerädert von den schlaflosen Stunden, die er grübelnd zugebracht hatte, richtete er sich auf und musste erst einmal an der Kante seines Krankenbetts sitzen bleiben und warten, bis der Schwindel nachließ. Sein Kopf hämmerte, wie jedes Mal, wenn er seine Lage veränderte. Er tastete mit den Füßen nach den Hausschuhen und griff sich den Morgenmantel, der über dem Fußteil des Bettes lag.
Mark stand auf und trat auf den Flur. Hier war es kühler. Der Geruch von Reinigungsmittel stach ihm in die Nase. Am Ende des Gangs sah er eine Putzfrau den Boden wischen. So spät, dachte er. Doch das war vermutlich, um der Hektik zu entgehen, die tagsüber in der Klinik herrschte. Was für ein trister Job. Schlecht bezahlt, Nachtarbeit und dann auch noch Putzen. Die Putzfrau schien fertig zu sein. Sie zog den Stecker ihrer Bodenreinigungsmaschine, rollte das Kabel auf und schob das Gerät dann über den Flur. »Guten Abend«, grüßte Mark, als sie an ihm vorbeikam.
»Guten Abend«, antwortete die Frau mit breitem Akzent und lächelte ihn freundlich an.
Sie musste irgendwo aus Osteuropa kommen. Mark sah ihr noch einen Augenblick nach, dann ging er wieder in sein Zimmer zurück. Er würde das Fenster öffnen, um ein wenig frische Luft zu bekommen.
Draußen klappte eine Autotür – ein weiterer Nadelstich irgendwo hinter dem rechten Ohr. Mark musste über sich selbst lächeln: eine kleine Gehirnerschütterung, aber Symptome wie Ludwig XVI. im Angesicht der Guillotine. Wie krank man sich nach nur anderthalb Tagen Krankenhaus fühlte!
Im Hof standen zwei Männer an einem Wagen, einer von ihnen musste ein Arzt sein. Er hatte die Hände in den Taschen seines weißen Kittels. Mark trat näher ans Fenster. Aber er konnte nicht erkennen, wer es war. Der andere Mann hielt ihm die Hand hin, wollte ihm etwas geben – nein: Er nahm etwas entgegen, was der Arzt aus seiner Tasche gezogen hatte. Wie im Film sahen sich die beiden um, zwei Ganoven, die sichergehen wollten, dass sie nicht beobachtet wurden. Wieder musste Mark lächeln. Was für eine wunderbare Szene. Würde man sie erfinden, keiner würde sie glauben.
Der andere Mann schien sich eine Mütze überzuziehen, setzte sich wieder in seinen Wagen, schlug die Tür zu. Seltsam, dachte Mark, er setzt die Mütze auf, wenn er einsteigt, nicht wenn er aussteigt. Der Motor des Wagens sprang an. Es war ein satter Klang, Mark kannte ihn vom Mercedes seines Vaters. Dann leuchteten die Scheinwerfer auf, es war tatsächlich ein Mercedes. Der Arzt trat zwar einen Schritt zurück, wartete aber, als wollte er sichergehen, dass der nächtliche Besucher tatsächlich wieder vom Hof fuhr, dann drehte er sich um und ging eilig auf das Haus zu.
Alle möglichen Ideen spukten plötzlich in Marks Kopf umher. Ein konspiratives Treffen? Ein Tipp unter Gaunern? Die Übergabe von Diebesgut? Von Lösegeld?
»Ach«, seufzte er, »zu viel Umgang mit zwielichtigen Gestalten verdirbt wirklich die Fantasie.« Vielleicht hatte der Mann ein Medikament gebraucht. Vielleicht war es etwas Privates.
Mark blieb noch eine Weile am Fenster stehen. Wenig später verließ eine Frau das Krankenhaus und ging mit schnellen Schritten über den Parkplatz. Als sie unter einer Laterne vorbeikam, leuchtete ihr Haar so hellblond auf, dass Mark sich sicher war, dass es Schwester Beate war. Er lächelte. Er mochte ihre schnippische Art. Sie war gegen sechs zu ihm ins Zimmer gekommen, und sie hatten sich tatsächlich über Schach unterhalten. Aber sehr scherzhaft und flapsig, Schwester Beate war nicht auf den Mund gefallen.
Mark blickte zur Uhr. Ihre Schicht musste vorüber sein, es war bereits halb zwölf. Wahrscheinlich würde sie nun auch noch mit der U-Bahn nach Hause fahren, während die Ärzte in ihren bequemen Wagen über die Straßen glitten, um so schnell wie möglich an ihr Ziel zu kommen. Plötzlich machte Mark sich Sorgen. Eine Frau so spät allein – und dazu eine so attraktive Frau …
Seufzend ließ er sich wieder aufs Bett sinken. »Ich sehe wirklich überall Gespenster.«