Читать книгу In besten Händen - Sky du Mont - Страница 6
2.
Оглавление»Mein Gott, Junge, wie siehst du denn aus?«, entrüstete sich Viola Richter und fuhr ihrem Sohn mit den Fingern durch das immer noch volle, aber schon leicht ergraute Haar. Sie roch nach Chanel No. 5 und Plymouth Gin. Mark atmete ihren Duft ein wie eine lieb gewonnene Erinnerung. Eins Komma zwei Promille, schätzte er und warf einen Blick aus dem Fenster. Ja, es war noch nicht Mittag, da durfte das etwa hinkommen.
»Wie geht es dir, Mama?«, fragte er und betrachtete die Sorgenfalten auf der Stirn seiner immer noch schönen Mutter, die stets größte Sorgfalt auf ihre Erscheinung verwendete. Wie immer war ihr leicht getöntes Haar perfekt arrangiert, und sie trug ein Paar exquisite Ohrringe, die den vielleicht ein wenig zu harten Gesichtszügen eine etwas weichere Note gaben. Ja, seine Mutter hatte Stil, das stand fest.
»Mir geht es wie immer, mein Junge.« Die alte Dame griff nach dem Knopf über Marks Bett und drückte ihn. Einmal. Zweimal. Und zur Sicherheit noch ein drittes Mal.
»Alles in Ordnung?«, fragte Mark irritiert.
»Junge. Hier ist nichts in Ordnung! Was soll das hier für eine Verpflegung sein? Das Nachttischchen biegt sich vor alten Tassen und Kannen. Du müsstest dringend zum Friseur. Und dein Pyjama sieht aus, als hättest du darin geschlafen!«
»Ich habe darin geschlafen, Mama«, erwiderte Mark und überlegte, ob ihm die alte Dame bei aller Liebe nicht doch etwas auf die Nerven ging. »Warst du schon bei Papa?«
»Natürlich war ich bei deinem Vater! Man kann ihn kaum aus den Augen lassen. Er ist so unvernünftig!«
»Aber warum bist du dann nicht ein bisschen bei ihm geblieben?«
»Er wollte nicht gestört werden«, stellte sie pikiert fest und streifte sich einen unsichtbaren Staubkrümel von der violetten Seidenbluse.
»Gestört? Du meinst, er wollte schlafen.«
»Wo denkst du hin, mein Junge, er hing ununterbrochen am Telefon. Ein Gespräch mit Singapur, ein Gespräch mit London, eines mit Mailand …«
»Singapur? Du übertreibst, Mama«, rügte Mark. »In Singapur ist es tiefste Nacht.«
»Siehst du? Das ist es, was ich meine! Er lässt die Leute nicht einmal schlafen, wenn er auf dem Krankenbett liegt.«
Mark musste lachen, doch das verursachte ihm Kopfschmerzen, sodass er das Gesicht verzog und sich ins Kissen zurücksinken ließ.
»Was du zu wenig hast«, schloss Viola Richter, »das hat dein Vater zu viel. Er kann einfach nicht anders. Immer steht er unter Strom.«
Die Schwester trat ein. »Sie haben geklingelt, Herr Richter?«
»Ich habe geklingelt«, stellte Viola Richter fest. »Ich möchte gerne den Chefarzt sprechen. Er soll bitte zu uns kommen. Ach, und würden Sie mir dann bitte einen Gin bringen?« In das verblüffte Schweigen der Schwester hinein ergänzte sie: »Ohne Eis.«
Die Schwester lachte hell auf. »Ohne Eis können Sie haben«, sagte sie dann. »Nur Gin haben wir hier ganz sicher nicht. Sie meinen doch Gin, den Schnaps, oder?«
»Wenn ich Gin sage, meine ich für gewöhnlich Gin«, stellte Viola Richter klar. »Ehe Sie mir irgendeinen …« Sie zögerte einen winzigen Augenblick und betonte das Wort, als würde sie von einem Eimer voll Waschwasser sprechen. »… einen Schnaps bringen, lassen Sie es lieber ganz bleiben.« Sie verdrehte die Augen und neigte sich ein wenig zu Mark hin, sprach aber laut genug, dass auch die Schwester verstehen konnte, wie sie sagte: »Dein Vater spricht nicht umsonst immer von der Servicewüste Deutschland.«
Eins Komma acht Promille, entschied Mark.
Zur Schwester aber sagte Viola Richter: »Dann schicken Sie uns nur den Chefarzt.«
»Das wird leider nicht gehen, Madame«, entgegnete die Schwester und betonte das Wort »Madame« wie Marks Mutter das Wort »Schnaps« betont hatte. »Einen Chefarzt haben wir zurzeit nicht. Herr Doktor Englisch, unser Oberarzt, leitet die Klinik kommissarisch.«
»Kommissarisch. So.«
»Ich war eben erst bei ihm«, warf Mark ein, als seine Mutter ihn prüfend ansah.
»Nun, dann brauchen wir ihn auch nicht kommen zu lassen, nicht wahr?« Sie wedelte mit der Hand zur Schwester hin. »Sie können gehen. Danke.«
Die Schwester drehte sich auf dem Absatz um und rauschte zur Tür hinaus.
Mark wandte sich seiner Mutter zu. »Mama«, sagte er in leicht tadelndem Tonfall, »das ist hier ein Krankenhaus und keine Bar.« Mühsam richtete er sich wieder auf. »Der Arzt sagt, ich kann in zwei, drei Tagen wieder raus.«
Viola Richter lächelte ihren Sohn verbindlich an und griff in ihre voluminöse Krokoledertasche.
»Bei Papa ist es etwas heikler«, tastete sich Mark weiter vor, während er beobachtete, wie seine Mutter einen silbernen Flachmann hervorzog und aufschraubte. »Der Oberarzt meint zwar, dass er früher oder später wieder auf den Beinen sein wird …«
»Früher oder später?«
»Er wollte sich nicht festlegen.«
»Oh«, kommentierte Viola Richter. Sie füllte den Deckel der Flasche mit einer klaren Flüssigkeit und hielt ihn ihrem Sohn hin. »Gin?«
Mark schüttelte den Kopf und sank sogleich wieder in das Kissen. Er stöhnte auf und fluchte innerlich. Er musste endlich dran denken, den Schädel ruhig zu halten. »Er sagt«, fuhr er nach einer Weile fort, während seine Mutter den Deckel noch ein zweites Mal gefüllt und wieder geleert hatte, »Papa sei in einem verhältnismäßig guten Zustand. Aber er dürfe nicht, wenn er raus ist, so tun, als wäre nichts gewesen.«
»Keine Sorge«, sagte Viola Richter und steckte die Flasche wieder weg. »Das wird er nicht tun, wenn er wieder raus ist.« Sie seufzte. »Das tut er jetzt schon.«
Nun war es Mark, der zur Klingel griff. Viola Richter zog die Augenbrauen hoch und musterte ihn überrascht. Doch sie sagte nichts. Die Schwester kam erneut. Diesmal streckte sie nur noch den Kopf zur Tür herein.
»Hätten Sie etwas Eis für mich?«, fragte Mark. Er sah, wie die Schwester den Mund öffnete und wieder schloss. Sie blickte von Mark zu seiner Mutter und zurück. Dann machte sie Anstalten, die Tür ohne ein weiteres Wort wieder zu schließen. »Schwester!«, rief Mark und erklärte, als sie doch noch einmal hereinschaute: »Es ist für meinen Kopf. Ich habe Schmerzen.«