Читать книгу In besten Händen - Sky du Mont - Страница 20
4. Kapitel 1.
Оглавление»Paps«, sagte Ricarda, während sie achtlos seine Sachen in die Reisetasche stopfte, »ich finde, es wird Zeit, dass du mir ein Gehalt als Chauffeurin zahlst. Ich bin inzwischen so gut wie hauptberuflich dein Shuttle. Knast – Wohnung – Knast – Klinik …«
»Ich habe nie gesagt, dass du mich vom Knast abholen sollst«, erinnerte Mark sie und strich sich noch einmal über das widerspenstige Haar. Er hätte doch duschen sollen. Aber lieber ein schönes Bad in den eigenen vier Wänden, ohne dass jeden Augenblick eine Krankenschwester hereinplatzt oder – noch schlimmer – die lieben Verwandten.
»Ich möchte noch schnell zu Opa«, sagte Ricarda und zog energisch den Reißverschluss zu.
»Das trifft sich. Da will ich auch noch mal hin – du kannst also gerne meine Tasche tragen.«
»Deine Tasche tragen? Sag mal, wollest du nicht ein Gentleman sein?«
Mark sah sie mit einem spöttischen Blick an. »Ein Gentleman? Immer gerne. Aber du bist meine Tochter, da muss ich doch kein Gentleman sein, oder?«
Ricarda imitierte seinen Blick und wackelte leicht mit dem Kopf. »Ein wahrer Gentleman fragt nicht, wer die Dame ist …«
»Touché, Madame«, entgegnete Mark und nahm ihr die Tasche aus der Hand. »Sie haben recht. Und außerdem will ich mich nicht fühlen wie ein Invalide, bloß weil ich auf den Kopf gefallen bin.« Er warf noch einmal einen Blick ins Zimmer. »Okay«, sagte er, »ich glaube, wir haben alles. Also dann: Auf zu meinem alten Herrn.«
Doch so munter, wie er sich gab, fühlte er sich ganz und gar nicht. Als sie vor die Tür traten, musste er sich einen Moment gegen die Wand lehnen. Ricarda nahm ihm die Tasche wieder ab und hakte ihn unter.
»Komm schon, mein alter Herr«, sagte sie gutmütig. »Ich weiß ja, dass du ein Gentleman bist. Du musst nicht auch noch ein Held sein. Diesmal trage ich die Tasche – dafür fährst du das nächste Mal mit dem Bus vom Knast nach Hause.«
Dann schob seine Tochter ihn sanft in Richtung Intensivstation.
Reinhard Richter war der Typ Mann, der für Wehleidigkeiten nicht viel übrig hatte. Sein Leben bestand aus Disziplin und Verantwortung, und manchmal hatte Mark den Eindruck, sein Vater habe geradezu Spaß an der Disziplin. Vielleicht bescherte ihm die Strenge und die Strebsamkeit einen ähnlichen Endorphinschub wie manchem Sportler die körperliche Verausgabung. Doch heute wirkte der alte Herr ungewöhnlich zerbrechlich. Seine vornehme Nase ragte weit aus dem blassen Gesicht, die Augen waren von Schatten umrandet, und eine seiner Hände zitterte. Mark überkam ein Schauder, als er an sein Bett trat. Sein Vater schien über Nacht alt geworden zu sein. Das war nicht der starke Banker, der alles unter Kontrolle hatte, der Mann, der auch im gehobenen Alter noch die Fäden zog und nach dessen Pfeife ganze Hundertschaften von Mitarbeitern und Geschäftspartnern tanzten.
»Hallo Vater«, sagte er und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Mark. Du bist wieder in Ordnung? Du kannst schon raus?«
Mark nickte. »Ja. Ich gehe schon mal vor.« Das Lächeln fiel ihm schwer. Gestern hatte er noch den Eindruck gehabt, als hätte der Schlaganfall seinem alten Herrn kaum etwas ausgemacht. Heute sah die Welt anders aus. Düsterer.
»Du könntest nicht einen oder zwei Termine für mich wahrnehmen?«
»Mein Gott, Vater, du denkst doch nicht schon wieder ans Geschäft!«
»Weshalb? Natürlich denke ich ans Geschäft. Ich habe meine Arbeit zu tun – und ich werde mich nicht von einem vorübergehenden Unwohlsein davon abhalten lassen.« Er atmete tief durch. »Jedenfalls nicht, wenn du mich unterstützt«, fügte er leise hinzu.
»Schon in Ordnung, Vater«, erwiderte Mark. »Ich springe gerne ein. Ich weiß bloß nicht, ob das deine Banker gerne sehen …«
»Es sind keine Termine für die Firma. Das regeln wir schon intern.« Er gab Mark einige Anweisungen, seinen Schriftverkehr zu erledigen, und bat ihn, den Schlüssel zum Sekretär im heimischen Arbeitszimmer aus seinem Jackett zu nehmen.
Mark nahm den Schlüssel an sich, beugte sich über seinen Vater und umarmte ihn etwas linkisch. Dann zog er sich zurück und Ricarda trat mit verheulten Augen ans Bett.
»Was ist denn mit dir los, Kind?«, fragte Reinhard Richter, und Mark schien es, als käme ein wenig Farbe in das alte Gesicht zurück. »Liebeskummer?«
»Ach, Großvater«, seufzte Ricarda und setzte sich neben ihn. »Entschuldige. Ich will dir nichts vorheulen. Aber irgendwie … ich kann nicht anders!« Sie musste schluchzen, und Reinhard Richter nahm die Hand seiner Enkeltochter und drückte sie.
»Das kommt schon wieder in Ordnung, Liebes«, sagte er. »Für einen alten Haudegen wie mich braucht es schon härtere Attacken.« Er strich ihr übers Haar. »Aber du könntest mir einen Gefallen tun.«
»Klar!«, rief Ricarda aus, offensichtlich froh, dass sie sich nützlich machen konnte. »Was soll ich tun?«
»Ich komme mir hier vor wie auf einem fremden Planeten. Ohne meine Zeitungen fühle ich mich wie ein Autist. Die haben unten am Kiosk nur Zeitungen für Schöngeister und Grenzdebile. Sei so gut und besorge mir die Financial Times, das Wall Street Journal …« – er überlegte kurz, befand offenbar, dass er genügend Zeit hatte, und fügte hinzu: »… und den Economist. Damit ich endlich wieder weiß, was auf der Welt gespielt wird.«
»Wird sofort erledigt!«
»In meiner Jacke müsste auch meine Geldbörse sein …«
»Kommt ja gar nicht infrage!«, widersprach Ricarda und warf ihr Haar energisch über die Schulter. »Die spendier ich dir.«
Ricarda huschte aus der Tür, und Mark sah seinen Vater überrascht an. »Habe ich dich nicht erst gestern den Kursteil einer Zeitung lesen sehen?«
»Doch, doch, ich habe mit der Schwester hier ein Abkommen, wonach sie mir gegen einen kleinen Obolus die wichtigsten Zeitungen mitbringt – allerdings war sie heute noch nicht da.« Er blickte Mark ernsthaft an. »Ich wollte unsere Ricarda nur kurz loswerden, um mit dir noch etwas zu besprechen.«
»Ich bin ganz Ohr«, sagte Mark und setzte sich an das Bett seines Vaters.
»Die Sache ist die«, fing Reinhard Richter an. »Es gibt in meinem Sekretär ein paar Unterlagen, die deine Mutter nicht unbedingt zu Gesicht bekommen muss.«
Mark lauschte gespannt. Sein Vater hatte Geheimnisse vor seiner Frau? Eigentlich überraschte Mark das nicht sehr. Seine Mutter war eine so anstrengende und dominante Persönlichkeit, und er konnte jeden verstehen, der unnötige Diskussionen mit ihr vermied. Er lächelte seinem Vater aufmunternd zu.
»Was ist es? Soll ich ihr das Testament vorenthalten, in dem du sie enterbt hast?«, fragte er scherzhaft. »Oder ist es die Geburtsurkunde deiner unehelichen Tochter in Montevideo?«
»In Mailand«, sagte Reinhard Richter leise und verblüffte seinen Sohn damit so sichtlich, dass der alte Herr lachen musste. »Kleiner Scherz am Rande«, sagte er. »Es geht um einige nicht ganz undelikate Immobilienspekulationen aus der jüngeren Zeit. Ich möchte nicht, dass deine Mutter sich Sorgen macht. Ich habe einige unserer Häuser und Wohnungen beliehen, um unsere Anteile bei der letzten Kapitalerhöhung der Bank nicht zu verwässern. Wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ehrlich gesagt …«
»Egal«, wischte Reinhard Richter den Einwurf mit einer energischen Handbewegung weg. »Es sieht so aus, als wären wir über beide Ohren verschuldet. Das sind wir aber nur auf dem Papier. Deine Mutter wird an die Decke gehen, wenn sie es mitbekommt – weil sie es einfach nicht versteht.« Er sah seinem Sohn in dessen ausdrucksloses Gesicht und seufzte. »Es scheint wohl in der Familie zu liegen.« Er lächelte verbindlich. »Also tu mir den Gefallen und nimm die Sachen raus und lege sie in deinen Banksafe, ehe Viola auf die Idee kommt, aus reiner Langeweile in meinen Unterlagen zu stöbern.«
Mark nickte. »Das kann ich gerne machen. Das heißt: Einen Banksafe habe ich nicht.«
»Du hast keinen Safe?« Reinhard Richter konnte es nicht fassen. Der Sohn eines angesehenen Bankiers, ein studierter Rechtsanwalt, wenn auch ohne Zulassung, und ehemaliger Referent des Hamburger Wirtschaftssenators verfügte nicht über einen eigenen Safe? Er griff zum Telefon, wählte mit leicht zitternder Hand eine Nummer, lauschte und führte dann ein kurzes Gespräch: »Friedemann? – Ja, Richter hier. – Seien Sie so gut und bereiten Sie einen Safe vor. Er ist für meinen Sohn. Er wird in zwanzig Minuten …« Reinhard Richter blickte zu seinem Sohn. »In dreißig Minuten bei Ihnen sein«, verbesserte er. »Sorgen sie dafür, dass er nur rasch abzeichnen muss, und geben Sie ihm einen von den größeren bitte. – Ja. – Danke.« Er legte auf. »So«, sagte er. »Jetzt hast du einen.«