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4.

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Ricarda stürzte voller jugendlichem Elan ins Zimmer. »Hallo, Großmama!«, rief sie und versuchte, besonders aufgeräumt und fröhlich zu wirken. Viola Richter saß an ihrem Lieblingsplatz am Fenster, hielt ein Glas in der Hand und schaute hinaus, wo sich die Bäume im Wind wiegten.

»Guten Tag, Ricarda«, sagte sie, ohne ihre Enkeltochter anzusehen. »Was führt dich zu mir? Brauchst du Geld?«

Ricarda blieb stehen. Viola Richter hatte sie schon öfter mit sehr nüchternen Worten begrüßt. Doch diesmal traf es sie wirklich.

»Ich wollte nach dir sehen, Großmama«, sagte sie und konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme nicht verbergen.

»Was wolltest du denn sehen?«, fragte Viola Richter, stellte ihr Glas ab und sah zu ihr herüber. Missbilligend betrachtete sie die Kleider ihrer Enkelin, die wie immer die unmöglichsten Farben miteinander kombinierte.

»Ich wollte nur sehen, ob ich dich vielleicht ein bisschen aufheitern soll.«

»Aufheitern«, brummte die alte Dame. Sie lachte knapp und freudlos vor sich hin. »Aufheitern. Deshalb kommst du hier vermutlich rein, als ob du zum Karneval unterwegs wärst.«

Ricarda fühlte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie schluckte. »Ich kann auch wieder gehen«, presste sie hervor. »Ich will dich nicht stören.«

»Ja, natürlich«, erwiderte Viola Richter, »geh nur. Lasst mich alle allein. Ich komme schon irgendwie zurecht.«

»Also hör mal, Großmama«, protestierte Ricarda. »Erst beschwerst du dich, dass ich komme, und dann beschwerst du dich, dass ich gehe … Hallo, ich bin ja noch nicht einmal weg!«

»Das sehe ich.« Viola Richter machte eine unwirsche Handbewegung. »Dann setz dich wenigstens, wenn du schon hier bist. Es macht mich unruhig, wenn du hier so herumstehst.«

»Danke«, sagte Ricarda knapp und setzte sich. Sie faltete die Hände im Schoß und blickte an ihrer Großmutter vorbei aus dem Fenster.

So saßen sie eine Weile schweigend, bis Viola Richter sagte: »Du bist ein hübsches Mädchen, Ricarda. Ich war auch einmal so hübsch. Aber ich war nicht so gescheit wie du. Du könntest es weit bringen, weißt du?«

Ricarda atmete tief durch. Wenn ihre Großmutter solche Dinge sagte, vergaß Ricarda alle vorhergegangenen Verletzungen. »Naja«, sagte sie, »vielleicht bringe ich es ja mal weit?«

Die alte Dame seufzte. »Ich weiß nicht. Dafür bist du wiederum nicht klug genug.« Sie nahm einen Schluck Gin und sah wieder aus dem Fenster. »Was hast du nicht schon alles studiert. Politik und Wirtschaft und Sport …«

»Keinen Sport«, warf Ricarda ein.

»Also dann eben keinen Sport. Aber du machst alles ein bisschen und nichts richtig. Am Ende kommst du zu gar nichts, glaub mir. Du solltest dein Leben nutzen.«

»Und mir einen tüchtigen Mann suchen, wie du damals?«

Viola Richter sah ihre Enkeltochter überrascht an. War das eben so etwas wie Auflehnung gewesen? Sie musste lächeln.

»Nein, Kind, nicht so wie ich damals. Das waren andere Zeiten. Nein, du solltest selbst etwas auf die Beine stellen. Lerne einen Beruf und lerne ihn richtig. Alles andere findet sich dann ganz von selbst. Vielleicht auch der richtige Mann. Aber das hat noch Zeit. Erst einmal solltest du dich zu etwas Gutem entschließen und es mit Leidenschaft betreiben. Wie dein Großvater!«

Ricarda strahlte ihre Großmutter an. »Das tue ich, Großmama«, sagte sie. »Und ich bin bereits auf dem besten Weg.«

»So? Und was ist es?« Nun war Viola Richter doch ehrlich interessiert.

»Konzeptkunst.«

»Konzeptkunst? Was ist das? Und was hast du damit vor? Willst du eine Galerie eröffnen?«

»Nein, Großmama, ich will Konzeptkünstlerin werden. Das heißt, eigentlich bin ich es bereits. Meine erste große Konzeption steht schon fast. Und mit etwas Glück bekomme ich sogar die Unterstützung einer renommierten Stiftung, die …«

»Was heißt das: Konzeptkunst? Willst du Malerin werden? Oder Bildhauerin?«

»Oh nein, Konzeptkunst, das ist viel mehr, das ist die völlige Freiheit von den Fesseln der einzelnen Kunstgattungen, es ist eine Mischung aus Tanz und Malerei, Musik, Installation und …«

»Unsinn«, komplettierte Viola Richter Ricardas Ausführungen. »Das klingt wie großer Unsinn für kleine Mädchen. Ach Kind, ich fürchte, du bist noch weit entfernt davon, etwas Gescheites auf die Beine zu stellen.«

Ricarda sprang auf. »Weißt du was, Großmama«, rief sie und ihre Wangen glühten, »ich werde es dir beweisen.« Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Zimmer und ließ Viola Richter mit ihrem Gin zurück.

In besten Händen

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