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3.

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Heiteres Sonnenlicht blinzelte durch das Blätterdach der alten Ulmen auf die gekiesten Wege, die den kleinen Park hinter der Klinik durchzogen. Es war ein Tag wie gemalt, und Mark wünschte, er wäre endlich wieder draußen. Er war bestimmt kein Sportsmann, doch mit Turnschuhen an den Füßen im Grünen unterwegs fühlte er sich wohler als an jedem anderen Ort. Das musste mit seiner früheren Tätigkeit im Rathaus zu tun haben, als er das Büro oft erst spät in der Nacht hatte verlassen können, um am nächsten Tag bereits in der Morgendämmerung wieder am Schreibtisch zu sitzen. Moderne Sklavenarbeit, wie man sie von freien Mitarbeitern oder politischen Referenten erwartete. In seinem Fall hatte die unglückliche Konstellation bestanden, dass er beides gewesen war: freier Mitarbeiter und politischer Referent. Wäre nicht Alexandra gewesen, er wäre wahrscheinlich verrückt geworden, hätte sich wie ein Hamster im Laufrad so lange auf der Stelle bewegt, bis er irgendwann mit einem Herzinfarkt auf dem alten Eichenparkett gelegen hätte. Doch schlimmer noch war der Zynismus des politischen Geschäfts gewesen. Es ging nicht um die Sache, es ging nur um die Macht. Eiskalt hatte man ihn Gesetzesentwurf und Gegenentwurf im selben Atemzug entwerfen lassen, als stünden dahinter nicht die Schicksale zahlloser Menschen. Nein, der Rechtsstaat war ein Witz, leider ein schlechter. Die Hüter der Staates fühlten sich nicht mehr ihren Wahlversprechen verpflichtet. Der Zweck, nämlich der Erhalt der Macht, heiligte die Mittel. Dieser kleine Funke Rebellion, der schon seit seiner Jugend in ihm geschlummert hatte, brach nun mit vehementer Kraft aus ihm heraus. Die Regeln des Staates bedurften in Marks Augen einer gründlichen Revision. So konnte und wollte er viele Gesetze nicht akzeptieren. Und so weigerte er sich immer häufiger, für Vergehen, die in seinen Augen keine waren, Strafe zu bezahlen.

Mark strich sich mit beiden Händen übers Gesicht, um die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. Er wollte diesen schönen Tag genießen, und sei es hier am Fenster seines Krankenhauszimmers stehend. Er lauschte den Geräuschen, die durch den Spalt des gekippten Fensters hereindrangen, dem fernen Straßenverkehr, dem leisen Rauschen, das stets über Hamburg lag, den Stimmen der Patienten und Besucher, die im Park spazieren gingen, dem Lachen von Ricarda, das gedämpft an sein Ohr drang … dem Lachen von Ricarda? Er schaute genauer, ließ den Blick über den Rasen schweifen. Auf einer Bank entdeckte er tatsächlich seine Tochter zusammen mit – Doktor Wenger, beide unterhielten sich offensichtlich glänzend, ja, es sah fast so aus, als würden beide heiß miteinander flirten.

Wieder drang das Lachen Ricardas herauf. Mark kniff die Augen zusammen und schaute so angestrengt, dass sich schon nach wenigen Sekunden die Kopfschmerzen wieder zurückmeldeten. Plötzlich standen beide auf und schlenderten auf das Haus zu. Vermutlich würde seine Tochter in wenigen Augenblicken bei ihm im Zimmer auftauchen. Er legte sich schnell zurück ins Bett und setzte seine bewährte Leidensmiene auf. Er musste innerlich schmunzeln. Obwohl Ricarda längst erwachsen war, versetzte ihm jeder kleine Flirt seiner Tochter mit einem Mann einen Stich. Er wusste sehr wohl, wie lächerlich er sich damit machte, also beschloss er, den verständnisvollen, toleranten Vater zu spielen. Im selben Augenblick wurde ihm aber klar, dass ihm das mit Sicherheit doch wieder nicht gelingen würde.

Auf dem Flur waren Schritte zu hören, doch es kam niemand herein. Wahrscheinlich besuchte sie erst Papa. Das konnte etwas dauern. Mark nahm eine Zeitschrift zur Hand und blätterte darin, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder glitten seine Gedanken ab, und es schwebte ihm das Bild seiner Tochter mit dem Mediziner vor Augen. Sicher, der Mann hatte seine Qualitäten. Zweifellos war er intelligent und auch ziemlich gut aussehend, wenn man das als Vater einigermaßen neutral beurteilen konnte. Mama hätte ihn vermutlich außerdem für eine relativ gute Partie gehalten. Ricardas letzter Freund war jedenfalls Mitglied einer Punkband gewesen. Mit allem, was dazugehörte. Grüne Haarbüschel, Tattoos und ein Piercing in der Nase. Für Mark spielte dergleichen keine Rolle. Seit er sich selbst frei gemacht hatte von den Regeln der sogenannten Gesellschaft.

Mark seufzte. Mit Alexandra hatte er sich darüber in den letzten Monaten vor dem Unglück häufiger gestritten. Sie hatte ihm vorgeworfen, seine Zukunft, ihre gemeinsame Zukunft zu gefährden. Doch Mark hatte nicht einsehen wollen, dass er das angenehme Leben auf später verschieben sollte, nur um im Hier und Jetzt das ohnehin beträchtliche Familienvermögen noch weiter zu vergrößern. Mark legte die Zeitschrift beiseite. Es war schon merkwürdig. Bei den meisten Paaren hatte er beobachtet, dass sie sich, je länger sie zusammenlebten, immer ähnlicher wurden. Bei ihm und seiner Frau war es genau umgekehrt gewesen: Je länger sie zusammenwaren, umso tiefer wurden die Gräben, die zwischen ihren Meinungen und Ideen, ihren Hoffnungen und Wünschen verliefen. Dabei hatte er seine Frau immer geliebt, ja, es schien ihm, als wäre seine Liebe zu Alexandra immer noch gewachsen. Ob ihre Liebe zu ihm indes gewachsen war, hätte er beim besten Willen nicht zu sagen gewusst.

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