Читать книгу Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren - Steffen Stern - Страница 31
b) Blutrache
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Das in einigen Regionen bestimmter Länder wie Italien (Vendetta), Albanien, Griechenland, ehem. Jugoslawien und Türkei oder innerhalb bestimmter Gemeinschaften, wie etwa den Yeziden, noch heute anzutreffende Prinzip der Blutrache ist eine archaische Reaktion auf tatsächlich erlittenes Unrecht[136]. Sie verlangt von den Familienangehörigen eines Getöteten, den Mord durch eine vergleichbare Bluttat an dem Mörder oder dessen Verwandten zu rächen[137]. Kennzeichnend für die Blutrache ist eine Familienfehde, deren Ursprünge unter Umständen sehr weit zurückreichen. Ist Rache geübt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder die andere Familie zuschlägt. Es ist ein nicht endender Kreislauf der Gewalt. Ist der Konflikt zwischen den Familien bislang über eine Körperverletzung nicht hinausgegangen, lässt sich Schlimmeres vielleicht noch durch eine offizielle Aussöhnung beider Familien unter Einschaltung eines Vermittlers (Friedensrichters) abwenden. Wenn nicht, entstehen über Generationen hinweg anhaltende Blutfehden zwischen Familien, Dörfern und Stämmen. Mitunter genügt schon die Verletzung der Ehre oder ein als Tötungsversuch gedeuteter Gewaltangriff als Ausgangspunkt einer langjährigen Blutsfeindschaft. Familienfehden, die schon vor Ewigkeiten in der Türkei begannen, finden u.U. bei uns ihre blutige Fortsetzung mit weiteren unschuldigen Todesopfern.
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Längst nicht immer lässt sich das die Blutfehde auslösende Ereignis sicher rekonstruieren. Es ist mitunter nur noch das „Wissen“ vorhanden, dass die Vorfahren beider Familien dereinst in der Türkei über Schafe in Streit geraten sind und mittlerweile beide Familien 3 oder 4 Tote zu beklagen haben. Und man weiß, welche Familie zuletzt Blutzoll gezahlt hat und nun, was die Blutrache anlangt, „am Zuge ist“. Mehrfach sind mir in Blutrachefällen polizeiliche Vernehmungsprotokolle begegnet, in denen ein Sohn des soeben Getöteten von der bestehenden Familienfehde berichtet und zugleich unumwunden kundtut, seinerseits den Tod des Vaters rächen zu wollen.
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Höchst problematisch ist die Verteidigung eines unschuldigen Jugendlichen, der, wie es vor Jahren in Saarbrücken geschehen ist, durch seine yesidische Familie „bestimmt“ wurde, die Bluttat, die nicht er, sondern andere erwachsene Familienmitglieder begangen haben, unter Inkaufnahme einer maßvollen Jugendstrafe durch ein Falschgeständnis[138] auf sich zu nehmen.