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g) Eltern, die ihre Kinder verhungern oder verdursten lassen

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Erschreckend lang ist die Liste der Kinder, die an Unterernährung gestorben oder verdurstet sind, weil die Eltern ihnen Essen und Trinken vorenthalten haben[189]. Und manch ein Kind konnte erst in letzter Minute vor dem sicheren Hungerstod bewahrt werden. Typisch ist der folgende Fall: Die Angeklagte, die mit ihren 2 und 4 Jahre alten Söhnen zusammenlebte, plante, zu Weihnachten einen weit entfernten Freund zu besuchen, über Nacht zu bleiben und anderentags wieder zurückzureisen. Sie reiste mit dem 4-jährigen Jungen ab und ließ den 2-Jährigen in seinem Gitterbett mit einer Babytrinkflasche mit 280 ml Flüssigkeit und einigen Butterkeksen zurück. Dieser Junge kränkelte seit Tagen, hatte in kurzer Zeit stark an Gewicht verloren und nahm auch kaum noch Nahrung und Flüssigkeit zu sich. Um eine Betreuung hatte sich die Angeklagte vergeblich bemüht. Sie entschloss sich dann, einen Tag länger als geplant bei ihrem Freund zu bleiben. Diesem spiegelte sie vor, dass zu Hause die betreuende Freundin weiterhin auf das Kind aufpassen würde. Als die Angeklagte verspätet zurückkehrte, bemerkte sie, dass die Kekse und die Trinkflasche, deren Inhalt möglicherweise verschüttet war, neben dem Bett lagen. Sie sah, dass es dem Jungen sehr schlecht ging. In den nächsten Stunden aß er nichts und trank kaum noch. Die Angeklagte holte keinen Arzt, da sie „fürchtete, dass dieser das Jugendamt verständigt hätte. Sie dachte, sie könne das Kind allein gesund pflegen“. 2 Tage später verstarb der Junge infolge Nahrungs- und Flüssigkeitsmangels. Das Kind wies zum Todeszeitpunkt deutliches Untergewicht auf. Am Abreisetag der Angeklagten hätte der Junge bei intensiv-medizinischer Behandlung noch gerettet werden können. Für den Zeitpunkt der Rückkehr der Angeklagten konnte dies nicht sicher festgestellt werden[190].

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Am Anfang steht die Frage nach der eigentlichen Todesursache, eng verknüpft damit die Frage der Todeskausalität der Untätigkeit der Angeklagten sowie der Vorhersehbarkeit und der Vermeidbarkeit des Todeserfolges. Hier sind zunächst die Gerichtsmediziner gefragt. Der Sachverhalt ließ schon bei der Kindesmutter einen psychischen Defekt vermuten. Wie der hinzugezogene Psychiater herausfand, litt sie an einer Borderline-Störung. Problematisch, wie immer in diesen Fällen, war die Frage nach der Bewusstseinslage der Angeklagten zum Zeitpunkt der Abreise und zum Zeitpunkt der Rückkehr. Tatbestände? Mord, Misshandlung Schutzbefohlener, Aussetzung mit Todesfolge?

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren

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