Читать книгу Der NSU Prozess - Tanjev Schultz - Страница 50
Tag 33
Оглавление5. September 2013
Manfred Götzl, Richter. Martin G., 30, Kriminalkommissar beim BKA in Meckenheim. Waltraud N., 54, Musiklehrerin aus Nürnberg. Sie sagte auch an Tag 77 aus. Sie beobachtete am Morgen des 9.6.2005 zwei verdächtige Radfahrer in der Nürnberger Scharrerstraße, kurz bevor İsmail Yaşar, Besitzer eines Dönerstands, dort durch fünf Schüsse ermordet wurde. Nicole Schneiders, Verteidigerin von Ralf Wohlleben. Sebastian Scharmer, Anwalt der Nebenklage.
Götzl (nickt nach allen Seiten) Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen. Dann setzen wir nach unserer Pause die Verhandlung fort. Herr G., bitte erzählen Sie uns von Ihren Begegnungen mit dem Angeklagten Holger Gerlach.
Martin G. Zur Vernehmung von Holger Gerlach am 27.11.2011 sind wir mit dem Hubschrauber von der JVA Köln nach Zwickau geflogen, um die Wohnung in Zwickau zu finden, zu der Herr Gerlach nach seinen Angaben zusammen mit Frau Zschäpe vom Bahnhof gelaufen ist. Er hatte angegeben, dass er in der Wohnung eine Waffe an Mundlos und Böhnhardt übergeben hat. Herr Gerlach hatte gesagt, dass er die Adresse nicht kannte. Er ist dann aber losgelaufen und wir sind dann an der Polenzstraße 2 in Zwickau rausgekommen. (Dort lebten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eine Zeit lang.)
Verteidigerin Schneiders Er soll noch eine Bemerkung bezüglich eines Aldi-Marktes gemacht haben. Können Sie sich daran erinnern?
Martin G. Er sagte, vor der Tür der Wohnung befanden sich Straßenbahnschienen. Das war auch so. Auch ein Supermarkt befindet sich dort.
Verteidigerin Schneiders Er sagte, da sei noch kein Aldi-Markt gewesen. Ist das überprüft worden, wann der gebaut wurde?
Martin G. Das weiß ich nicht. Durch mich nicht.
(Der Zeuge verlässt den Gerichtssaal, es werden zwei Videos gezeigt: zunächst der Mitschnitt der Fernsehsendung »MDR Kripo live« vom 22.2.1998, dann ein Video, das Überwachungskameras vor dem Eingang des Musiksenders Viva in der Kölner Keupstraße aufgenommen haben – wenige Minuten bevor dort am 9.6.2004 die Nagelbombe explodierte und mehr als 20 Menschen verletzte.
Zu den Bildern des ersten Videos, dem Mitschnitt von »MDR Kripo live«, erklärt die Moderatorin, es handle sich um den brisantesten Fall, den »Kripo live« je behandelt habe: eine Rohrbombe. 1997 hätten spielende Kinder im Bereich des Theaters in Jena einen roten Koffer mit weißem Hakenkreuz darauf gefunden und zum Theater gebracht, weil sie dachten, es handle sich um eine Requisite. Theaterleute hätten den Koffer geöffnet und einen Sprengkörper entdeckt. Die Bombe habe zwar nicht explodieren können, weil die Zündvorrichtung fehlte, dennoch habe die Polizei Ermittlungen in alle Richtungen aufgenommen. Bei Durchsuchungen in den Wohnungen der Verdächtigen seien auch eine Armbrust, eine Schreckschusspistole und Wikinger-Kampfsterne gefunden worden. Die Polizei fahnde nach Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Die Moderatorin befragt eine Polizistin des Landeskriminalamts: »Sehen Sie eine neue, gestiegene Gefährlichkeit der Rechtsextremisten in Thüringen?« Die Polizistin antwortet: »Das kann ich eindeutig bejahen. Unsere Erkenntnisse sind geeignet, Unruhe in der Bevölkerung hervorzurufen, wenn nicht gar Angst.«
Es folgt ein Video vom 9.6.2004 von der Überwachungskamera am Eingang des Musiksenders Viva in Köln. Zu sehen ist eine Vespa, entspannte Menschen auf der Treppe vor den Studios. Sie drehen Zigaretten und unterhalten sich. Um 14.34 Uhr ist ein Mann mit Schirmmütze zu sehen, er schiebt zwei Fahrräder. Zwölf Minuten später kommt er zurück, ohne Fahrräder. Er trägt eine knielange Hose, T-Shirt und Turnschuhe. In der rechten Hand hält er einen weißen Zettel. Um 15.10 Uhr kommt er wieder. Diesmal hat er eine durchsichtige Tüte mit einem fladenbrotähnlichen Gegenstand in der einen und eine weiße Tüte mit einem kantigen Gegenstand in der anderen Hand. Ihm folgt in einiger Entfernung ein weiterer Radfahrer mit Schirmmütze, langer Hose und T-Shirt, der ganz vorsichtig ein Damenfahrrad schiebt. Auf dem Gepäckträger seines Rads ist ein Aufbau zu erkennen. Auf der Straße sind viele junge Menschen in kurzen Hosen und T-Shirts zu sehen, es herrscht eine sommerliche, fröhliche Stimmung. Minutenlang laufen diese Bilder im Gerichtssaal, ohne Ton.
Später am Verhandlungstag lässt das Gericht Vorstrafen und Urkunden zu den Angeklagten verlesen. Zunächst geht es um Ralf Wohlleben, geboren 25.2.1975, gegen den schon 1991 wegen Diebstahls ermittelt wurde und der wegen Körperverletzung, Nötigung und übler Nachrede verurteilt wurde. Auch die Geburtsurkunde von Beate Zschäpe wird verlesen: Geboren am 2. Januar 1975 um 18.38 Uhr. Sie heißt zunächst Beate Apel, nach ihrer Mutter Annerose Else Apel. Ihren rumänischen Vater, Valer Boankic, hat sie nie kennengelernt. Nach der Hochzeit der Mutter mit Horst Gunder Trepte bekommt sie den Namen Trepte. Nachdem die Mutter 1978 erneut geheiratet hat, erhält die Tochter den Namen des neuen Partners und heißt seitdem Beate Zschäpe.
Die nächste Zeugin, Waltraud N. aus Nürnberg betritt den Gerichtssaal. Nun geht es erneut um den Mord an İsmail Yaşar.)
Waltraud N. Ich hatte am Donnerstag, den 5. Juni, um 8.30 Uhr Unterricht in der Scharrer-Schule. Ich wollte danach zum Sport gehen und fuhr in die Scharrerstraße rein. Als ich abbremsen musste, sah ich zwei schwarz gekleidete junge Männer und dachte mir, vielleicht machen die eine Radtour. In dem Moment dreht sich einer um. Ich bin erschrocken, der hatte meiner Meinung nach nichts Gutes vor.
Ich hatte das Fenster leicht geöffnet, kurz danach hörte ich Schüsse. Ich fragte mich, ob die nicht doch die Post oder die Sparkasse ums Eck überfallen haben. Ich habe den Gedanken aber verworfen, es hätte ja auch ein Kind mit einer Spielzeugpistole sein können. Ich bin dann zum Sport gegangen und habe mir keine Gedanken gemacht. Einen der jungen Männer sah ich auch zum Fenster reinschauen bei der Dönerbude, der andere stand am Straßenrand.
Götzl Mit welchem hatten Sie Blickkontakt?
Waltraud N. Mit dem am Straßenrand.
Götzl Können Sie die beiden noch näher beschreiben?
Waltraud N. Der eine hatte schwarze Haare und ein schwarzes Käppi. Und der andere, na ja, beim Augenkontakt fielen mir seine braunen Augen auf. Die Züge waren fein geschnitten, er war nicht jung, sondern Ende zwanzig, Anfang dreißig, hatte einen starken Bartwuchs und war leicht gebräunt.
Götzl Auf was gründet der Eindruck, dass er was Böses vorhatte?
Waltraud N. Er schaute wirklich bös, ich hab gemerkt, da ist was. Er hat mich angestarrt. Er hatte mich im Auge, hat mich fixiert. Da hätte ich nicht aussteigen wollen.
Götzl Was hörten Sie für Geräusche?
Waltraud N. Bumm bumm – bumm bumm bumm. Dumpfe Geräusche, wie mit einem Schalldämpfer. Ich hab mir tatsächlich überlegt, vielleicht haben sie jetzt doch die Bank oder Sparkasse überfallen. Aber das habe ich verworfen, weil ich so einen engen Terminplan hatte am Donnerstag. Ich dachte mir, das haben andere ja auch gehört.
Götzl Wie oft haben Sie das Geräusch wahrgenommen?
Waltraud N. Ich bilde mir ein, dass es vier- oder fünfmal waren.
Götzl Wie lang waren Sie im Fitnessstudio?
Waltraud N. Da brauche ich immer so eine Stunde, so gegen 11 Uhr bin ich da wieder raus. Beim Zurückfahren habe ich die Polizei gesehen in weißen Anzügen. Aber weil es nicht bei der Post oder bei der Sparkasse war, sondern weiter hinten, dachte ich mir, da ist wohl was anderes passiert.
Götzl Gab es keine Überlegungen, die Polizei anzusprechen?
Waltraud N. Nein, erst als ich am nächsten Tag in der Zeitung gelesen habe, dass da ein Mord passiert ist, kam nach und nach die Erinnerung.
Götzl Vom Typ her waren das Südländer, haben Sie bei der Polizei gesagt.
Waltraud N. Ja, das dachte ich mir. Wir haben in der Südstadt viele Südländer, er war so dunkel und hatte braune Augen.
Götzl Haben Sie Bilder von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen?
Waltraud N. Ja, habe ich gedacht, die müsste ich ja gesehen haben. Aber ich habe sie nicht mit Sicherheit erkannt. Am ehesten glich er Uwe Mundlos.
Anwalt Scharmer Sie haben sich nach Ihrer Vernehmung noch mal telefonisch bei der Polizei gemeldet. Was war Ihnen so wichtig?
Waltraud N. Ich war mir nicht sicher wegen der Hautfarbe und habe mir das durch den Kopf gehen lassen. Er war leicht gebräunt. Das wollte ich richtigstellen.
Anwalt Scharmer Besteht da ein Unterschied für Sie zwischen Südländer und gebräunter Gesichtsfarbe?
Waltraud N. Ja, es gibt auch Deutsche, die schnell braun werden. So ein Typ war das. Nicht so hellhäutig wie ich, sondern jemand, der schon viel in der Sonne war.