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Tag 43

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8. Oktober 2013

Manfred Götzl, Richter. Frank L., 38, Kriminaloberkommissar beim BKA. Er sagte auch an den Tagen 17 und 241 aus. Thomas D., 39, Geschäftsführer einer Gebäudereinigung in Dortmund, Nachbar der Zeugin Veronika A., die am Tag 40 über ihre merkwürdigen Beobachtungen auf dessen Grundstück berichtet hat. Vera D., 36, seine Frau. Ellen H., 28, Polizistin beim BKA. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe. Alexander Hoffmann, Detlef Kolloge, Stephan Kuhn und Yavuz Narin, Anwälte der Nebenklage.

Götzl Wir kommen zu der DVD, die im Brandschutt in der Frühlingsstraße in Zwickau gefunden wurde. Was können Sie uns erzählen?

Frank L. Ich nahm die Erstbewertung der sogenannten NSU-DVD vor, die am 10.11.2011 im Brandschutt aufgefunden wurde. Am Anfang war eine Art Intro, ein Bildschirm, auf dem wellenartig ein Bild war, eine Landschaft, dazu lief die Pink-Panther-Musik: »Wer hat an der Uhr gedreht?« In der Mitte war zu lesen: Nationalsozialistischer Untergrund, Frühling, DVD 1. Daraus schlossen wir, es müsste auch eine DVD 2 gegeben haben. Bisher haben wir aber keine gefunden. Der Film nutzt verschiedene »Paulchen Panther«-Folgen als Grundlage. Das Intro hatte eine Dauer von 1,14 Minuten. Durch einen Klick gelangte man zum Hauptfilm, der 15 Minuten und zwei Sekunden dauert. Er begann mit einem Statement: »Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz ›Taten statt Worte‹. Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt.« In der nächsten Einstellung ist in den vier Ecken des Bildschirms je ein Paulchen-Panther-Kopf platziert. In der Mitte das Logo des NSU.

Dann fing der Film an. Neben Comic-Elementen waren auch TV-Ausschnitte eingestreut: von »Stern-TV«, »Aktenzeichen XY« und einem WDR-Beitrag. Auch schriftliche Botschaften waren in dem Film untergebracht. Der Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse wurde thematisiert, der Anschlag in der Kölner Keupstraße, auch die Česká-Serie mit den neun Morden. Das alles wurde als »Deutschlandtour« bezeichnet, die Tatorte wurden gezeigt auf einer Staffelei, die Opfer wurden gezeigt auf einer Staffelei, so wurde das vom ersten bis zum letzten Mord dargestellt.

Drei Morde wurden etwas detaillierter dargestellt anhand von Gedankenblasen von Paulchen Panther. Wir haben festgestellt, dass bei den drei Straftaten auf Fotos zurückgegriffen wurde, die exklusiv von den Tätern gestammt haben. Sie waren nicht aus den Polizeiakten oder aus Medienberichten.

Beim ersten Fall, dem Mord an Enver Şimşek, wurde Material aus der Sendung »Aktenzeichen XY« herangezogen. Die Ersteller des Videos haben in der Sprechblase ein Foto von Enver Şimşek gezeigt und es als »Original« gekennzeichnet und das aus »Aktenzeichen XY« als »Fälschung«. Auf diesem ersten Foto hat Şimşek noch gelebt. Das Bild muss von Täterseite also unmittelbar nach der Tat angefertigt worden sein.

Auch im Fall Özüdoğru war eine Gedankenblase zu sehen mit einem Foto. Auf diesem Foto waren im Kopfbereich starke Blutungen erkennbar, die Kleidung war noch sehr sauber. Man sieht an der buchstäblich weißen Weste von Özüdoğru auf dem Foto, dass die Tat noch nicht lange her ist. Auf den Polizeibildern ist die weiße Weste durchgehend blutdurchtränkt. Der Arm des Opfers hängt auf den Polizeibildern schlaff am Körper herunter, auf dem Bekennervideo lag er noch auf der Bank. Erst gegen 21.30 Uhr wurde das Opfer gefunden, die Tat wurde auf 16.30 Uhr terminiert. Bis dahin war bei dem Opfer viel Blut ausgetreten.

Von Süleyman Taşköprü gibt es ein Bild, wie er auf der Seite liegt in einer Nische beim Brotregal. Die Rettungssanitäter zogen ihn in die Mitte. Dort setzen erst die Polizeifotos ein. Wir gehen davon aus, dass auch dieses Foto unmittelbar nach der Tat gefertigt worden sein muss.

Das ganze Video ist mit mehr oder weniger offenen und versteckten Botschaften versehen: Hoch lebe Paulchen und der NSU, Bombenstimmung in der Keupstraße, Aktion Dönerspieß, Kamerad bei der Arbeit. Nach circa 14 Minuten geht das Video in einen Abspann über. Dazu läuft das Lied: »Wer hat an der Uhr gedreht?« Am Ende des Films ist eine Ankündigung zu erkennen: Mehrere Sekunden läuft eine Collage als Standbild: Bilder zum Mordfall Kiesewetter, von Trauerfeiern, Stichworte wie »DVD 2«, »Paulchens neue Streiche«. Das hat bei uns die Vermutung genährt, dass es eine zweite CD gibt oder geben sollte und weitere Straftaten geplant waren.

(Polizist L. zeigt am Richtertisch Bilder der Mordopfer Şimşek, Özüdoğru und Taşköprü, die in dem Video verwendet wurden.)

Anwalt Kuhn Kann das Video auch vom engeren Umfeld des NSU erstellt worden sein, das vielleicht nur die Aufgabe hatte, das Video zu erstellen? War in dem Video die Figur des Paulchen Panther mit dem NSU deckungsgleich?

Götzl Vom Zeugen werden da Beweiswürdigungen gefordert, die lieber Sie machen sollten. Und wir auch. Dafür sind Sie doch da.

Anwalt Kuhn Dann frage ich anders: Ergibt sich aus dem Video, ob der NSU und Paulchen Panther deckungsgleich waren?

Frank L. Soll ich jetzt die Frage beantworten?

Götzl Die Frage wird beanstandet. Es ist nicht Ihre Sache, die Beweise zu würdigen. Auch wenn es durchklingt, dass Sie das gerne machen würden.

(Der Zeuge Thomas D. wird aufgerufen. Es ist der frühere Nachbar der Zeugin Veronika A. in Dortmund. Sie hatte Grabungen in seinem Garten beobachtet, die ihr unheimlich vorkamen. Sie will auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in seinem Garten gesehen haben.)

Götzl Kennen Sie Frau Zschäpe, Herrn Böhnhardt oder Herrn Mundlos?

Thomas D. Nee, überhaupt nicht. Ich habe sie mittlerweile gezwungenermaßen auf Bildern gesehen, aber bis sich jetzt das BKA bei mir meldete, hatte das für mich keine Bedeutung.

Götzl Was können Sie zu den Grabungsarbeiten sagen, die Frau A. beobachtet hat?

Thomas D. Ja, ich habe mit einem Kollegen von mir mal einen Gartenteich angelegt.

Götzl Tagsüber oder am Abend?

Thomas D. Kann sein, dass es in der Dämmerung war, nach meinem normalen Dienst. Der endet normalerweise um 17 Uhr.

Götzl Können Sie Ihren Kollegen beschreiben?

Thomas D. 1,70 oder 1,75 Meter groß, muskulös, er macht Bodybuilding. Blondierte, kurze Haare. Tja.

Götzl Haben Sie mal eine Camouflagehose getragen?

Thomas D. Ja, das war eine Zeit lang Mode, da hat die jeder angehabt.

Götzl Was können Sie zu den Fahrzeugen sagen, die vor dem Grundstück standen?

Thomas D. Ich war selbstständig, konnte davon aber nicht leben. Deshalb habe ich als Subunternehmer gearbeitet und hatte immer einen Transporter vor der Tür stehen.

Götzl Hatten Sie auch ein Wohnmobil?

Thomas D. Ja, ich glaub 2011.

Götzl Was können Sie zu den Vornamen Ihrer Söhne sagen?

Thomas D. Odin und Thor, das sind für mich germanische Götter. Da stehe ich heute noch dazu, das ist nichts Verwerfliches.

Götzl Sie haben angegeben, dass Sie nie in einer rechtsradikalen Partei oder Organisation waren. Stimmt das?

Thomas D. Ja.

Götzl Die Zeugin sagte, sie habe Frau Zschäpe, Herrn Mundlos und Herrn Böhnhardt auf Ihrem Grundstück gesehen. Können Sie sich das erklären?

Thomas D. Das wird mein Schwager und mein Neffe gewesen sein. Und meine Schwester, sie hat dunkle, schulterlange Haare. Es kann auch ein Schulfreund dabei gewesen sein. Mein Schwager hat auch sehr kurze Haare und ist sehr dünn.

(Thomas D. verlässt den Gerichtssaal, seine Frau Vera ist die nächste Zeugin.)

Götzl Können Sie zu Ihrer eigenen politischen Einstellung und zu der Ihres Mannes etwas sagen?

Vera D. Nein, ich glaub nicht.

Anwalt Narin Wissen Sie, ob Ihr Mann mal Skinhead war?

Vera D. Nein.

Anwalt Narin Können Sie es ausschließen?

Vera D. Ich kann es doch nicht ausschließen, wenn ich es nicht weiß.

(Bevor Vera D. den Saal verlässt, bittet ein Nebenklagevertreter sie, sich in Richtung Opferanwälte umzudrehen. Ihr Mann hatte dem BKA erzählt, die Zeugin hätte von sich selbst gesagt, sie sehe Zschäpe ähnlich. Nebenklagevertreterin Doris Dierbach wird nach dem Auftritt von Vera D. außerhalb des Saals sagen: »Die Zeugin sieht Frau Zschäpe ungefähr so ähnlich wie ich ihr.« Dierbach ist – im Gegensatz zu Zschäpe – groß und blond.)

Verteidigerin Sturm Nach den Aussagen dürfte jedem im Saal klar geworden sein, dass die Aussagen der Zeugin A. nicht den Tatsachen entsprachen. Deswegen haben sich insgesamt auch weitere Erklärungen zur Zeugin erübrigt.

(Nach einer weiteren Zeugin folgt die Zeugin Ellen H. vom Bundeskriminalamt.)

Götzl Sie waren im Bundeskriminalamt mit der Auswertung der sichergestellten Videodateien auf einer Festplatte aus dem Brandschutt Frühlingsstraße befasst. Was können Sie uns berichten?

Ellen H. Wir haben originale Szenen aus der Paulchen-Panther-Serie gefunden, aber auch Dateien, die nicht verwendet wurden. Das komplette Bekennervideo und zwei alte Versionen. Zwei Tatortaufnahmen des zweiten und dritten Mordes, die im NSU-Film verwendet wurden. TV-Aufzeichnungen zum Mord an der Polizistin Kiesewetter und zum Anschlag in der Keupstraße. Und einen Ordner mit verschiedenen Bildern. Diese Bilder weisen starke Bezüge zu Herrn Eminger auf. Es handelt sich um Bilder von Frau Eminger, schwanger und mit Baby. Weihnachtsgrußkarten der Familie Eminger für Verwandte. Einladungsschreiben für eine Burgführung in Sachsen im Jahr 2003, mit anschließender nationalsozialistischer Veranstaltung. Umrandet von Runenschriftzeichen, die wir als »Sieg Heil« entziffern konnten. Des Weiteren haben wir amateurhafte Aufnahmen von Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Dänemark gefunden und eine Collage mit einer Aufnahme von Gerhard Schröder hinter Gittern, mit inem Judenstern auf der Brust und dem Schriftzug »You’re the next«. Sie stammt aus dem Jahr 2002 und war vermutlich für Poster oder T-Shirt-Aufdrucke gedacht.

Götzl Was können Sie uns über die alten Fassungen des Bekennervideos sagen?

Ellen H. Dort tauchen die Namen der Opfer auf, zum Beispiel Taşköprü. Außerdem taucht der rosarote Panther mit einer Gedankenblase auf: »Der Ali muss weg.« Es ist von Ali 1 bis 9 die Rede, Ali steht makabererweise für die Mordopfer. Die alten Fassungen sind noch wesentlich aggressiver als das bekannte Video. Beim Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 zum Beispiel wird das Opfer direkt angesprochen: »M. weiß jetzt, wie ernst uns der Erhalt der deutschen Nation ist«, heißt es da.

Anwalt Kolloge Wann wurde die Festplatte eingerichtet?

Ellen H. So generell lässt sich das nicht sagen. Die Dateien im bereits erwähnten Ordner mit Bildern namens »Bildermix« wurden alle im Februar 2007 erstellt. Ich kann vielleicht noch ergänzen, dass wir bei André Eminger zwei externe Festplatten gefunden haben, auf denen auch die Inhalte des Ordners »Bildermix« waren. Das belegt, dass es da eine Verbindung geben muss.

Anwalt Hoffmann Haben Sie auch etwas gefunden zu Tätowierungen von Herrn Eminger?

Ellen H. Gut, dass Sie mich erinnern: Es fand sich die Tattoovorlage der Clownsfigur auf dem Unterschenkel von Herrn Eminger – ein Clown mit Krallen statt Fingern, angelehnt an die Figur aus Stephen Kings Buch »Es«.

Der NSU Prozess

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