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Tag 39
Оглавление25. September 2013
Manfred Götzl, Richter. Thomas M., 35, Polizist in Hof, zuvor in München. Er hat die Spuren im Mord an Theodoros Boulgarides gesichert, der am 15. Juni 2005 in München ermordet wurde. Karsten R., Polizist aus Kassel. Er war an der Untersuchung im Fall Halit Yozgat beteiligt, dem Betreiber eines Internetcafés, der am 6. April 2006 erschossen wurde. Karsten R. sagte auch an Tag 88 aus. Karl-Heinz G., 63, Kriminalkommissar a.D. in Kassel. Er sagte auch an Tag 104 aus. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Thomas Bliwier, Sascha Prosotowitz, Andreas Thiel, Anwälte der Nebenklage.
(Der erste Zeuge, der Polizist Thomas M., hat Lichtbilder vom Mordopfer Theodoros Boulgarides und dem Tatort in München mitgebracht, die nun im Gericht gezeigt werden.)
Thomas M. Als wir am Tatort eintrafen, haben wir eine tote männliche Person mit, vermutlich, Kopfschüssen vorgefunden.
(Ein rotes Haus in der Trappentreustraße 4 in München ist zu sehen, davor Bäume und Zeitungsständer, die Aufschrift »Schlüsselwerk«. Hinterm Tresen liegt Theodoros Boulgarides neben der Werkbank. Auf dem Tresen Werbematerial, Feuerzeuge.)
Herr Boulgarides lag in Rückenlage auf dem Fußboden, mit drei Schussverletzungen. Die Wohnung war bestimmungsgemäß eingerichtet, es gab keine Anzeichen, dass ein Kampf oder eine Auseinandersetzung stattgefunden hat. In einem Fach unter dem Tresen lag ein Handy, es wurde noch in der Nacht ausgewertet. Die Registrierkasse war geschlossen.
Götzl Das nächste Bild ist noch ein Bild von der Leiche, das gibt keine zusätzlichen Informationen. Das schauen wir uns jetzt nicht an.
(Die Wohnung ist zu sehen, frisch renoviert, drei Leitern stehen noch im Gang. Auf dem Bett im Schlafzimmer liegt ein Schlafanzug. Auf einem Wohnzimmertisch stehen zwei halb leere Weingläser und ein Teller mit Apfelstücken. Auf dem Schreibtisch steht ein Aschenbecher mit Zigarettenkippen.)
Thomas M. Die Wohnung und der Keller wurden mit Rauschgifthunden durchsucht. Es wurde keinerlei Rauschgift gefunden.
Götzl Dann kommen wir zur Beschreibung der Blutantragungen.
Thomas M. Auf der Jacke und am Poloshirt waren im oberen Bereich Blut und Gewebeantragungen zu erkennen. Auch an der linken Hand des Herrn Boulgarides fanden wir Blutantragungen.
(Auch am Hausschuh haften Blutspritzer, ebenso am Heizkörper und einem Metallschrank in dem Laden. Auf dem Boden ist eine fast einen Meter breite Blutlache zu sehen.)
Anwalt Prosotowitz Waren Sie an den weiteren Ermittlungen beteiligt?
Thomas M. Ich war bis 2007 mit Ermittlungen betraut, dann wurden sie von der »Soko Halbmond« beziehungsweise der »BAO Bosporus« übernommen.
Verteidiger Klemke Können Sie mir sagen, wer den Einsatz dieses Rauschgiftspürhundes angeordnet hat?
Thomas M. Ich glaube, im Rahmen der Soko wurde entschieden, dass die Wohnung nach Rauschgift durchsucht wird.
Verteidiger Klemke Und wer konkret?
Thomas M. Das kann ich nicht sagen.
(Nach weiteren Zeugen folgt der Zeuge Karsten R., Polizist aus Kassel. Es geht wieder um den Mord an Halit Yozgat.)
Karsten R. Es war ein schöner Frühlingstag, ich war mit dem Rad unterwegs und kam relativ spät zum Tatort in der Holländischen Straße 82 in Kassel, etwa um 20 Uhr. Ich habe die Befragung von Herrn S. vorgenommen, der kurzzeitig als Verdächtiger festgenommen wurde. Er war zum Tatzeitpunkt am Tatort, in einer der Telefonzellen im linken Bereich. Er hatte mehrere Telefonate geführt und sagte aus, er habe zwei- dreimal etwas Dumpfes gehört, wie Luftballons, die geplatzt sind. Er hat sich umgedreht, konnte aber nichts sehen, weil ein Plakat in der Glastür hing. Im Augenwinkel habe er eine männliche Person gesehen, etwa 180 Zentimeter groß und recht kräftig, die das Internetcafé verlassen hat. Das Tatobjekt liegt in einer Hauptausfallstraße Richtung Norden, in der Mitte fährt eine Straßenbahn. Es handelt sich um einen klassischen Nachkriegsbau, dreieinhalb Geschosse. Über drei Stufen konnte man das Geschäft erreichen. Es hatte eine große Schaufensterscheibe, vier Telefonzellen links, zwei rechts. Herr S. war in der Telefonzelle Nummer 3, ganz vorn an der Tür. In einem abgetrennten Raum war die Zelle Nummer 7, im hinteren Raum standen noch mal sieben PCs.
Verteidiger Klemke Es heißt, das Opfer habe hinter dem Tresen gelegen.
Karsten R. Das Opfer war schon vorgezogen worden in den Raum, man kann keine Leichenschau machen hinter dem Tresen.
Verteidiger Klemke Wie hoch war der Tresen?
Karsten R. Ungefähr einen Meter hoch, normale Schreibtischhöhe.
(Es folgt der Zeuge Karl-Heinz G., ein Polizist aus Kassel.)
Karl-Heinz G. Ich hatte am 6.4.2006 Bereitschaft, gegen 17.20 Uhr informierte mich der Kriminaldauerdienst über den Vorfall. Wir haben uns vor Ort einen Überblick vom Geschehen verschafft: Ein Herr S., der aus dem Irak stammte, telefonierte auf der Nummer 3. Zwei Jugendliche sind im hinteren Bereich am Computer gesessen. Es stellte sich später heraus, dass noch eine weitere Person dort saß.
Das Opfer lag auf dem Rücken, sein Gesicht war blutverschmiert, er hatte zwei Einschusslöcher im Kopf. Die Obduktion ergab, dass zwei Projektile noch drinsteckten. Der Erschossene hatte Schürfwunden am Kopf, von einer Eckleiste am Boden. Ich bin davon ausgegangen, dass der Mann auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch erschossen wurde und dann so fiel, dass der Kopf neben dem Mülleimer und neben der Leiste aufkam. Die Angehörigen hatten um zeitnahe Überführung gebeten, um ihn zu bestatten, deshalb wurde der Leichnam sofort freigegeben.
Es stellte sich heraus, dass die Tatwaffe die Česká 7,65 war, die bereits bei acht vorherigen Mordtaten benutzt wurde. Bei der ersten und der dritten Tat wurde auch eine zweite Waffe verwendet. Deswegen ging ich davon aus, dass das zwei Täter waren. Man musste ja auch damit rechnen, dass jeden Moment sekundenmäßig jemand aus dem Haus kommt, um die Ecke biegt und was sehen kann. Es mussten also mindestens zwei Personen dort tätig gewesen sein.
(Eine Skizze des Internetcafés wird im Gerichtssaal eingeblendet.)
Wie Sie sehen, saß der Iraker in Telefonzelle 3 direkt an der Tür, hinten im Raum hielten sich zwei Jugendliche auf und der Verfassungsschutzmitarbeiter Temme, die damals noch nicht bekannte Person. Eine schwangere Frau mit Kleinkind telefonierte in der abgetrennten Zelle.
Über dem Bürostuhl hing die Jacke des Opfers, es waren die Schlüssel drin und ein Brief an Halit Yozgat. Auch eine Mappe mit Schulbüchern fanden wir. Der Sohn machte damals die Abendrealschule und wollte zum Unterricht. Der Vater sollte den Sohn ablösen.
Die Auswertung der Computer hat die Zeugenaussagen der beiden Jugendlichen und der Frau bestätigt: Etwa gegen 16.50 Uhr ist eine Person reingekommen, welcher der Verstorbene den Platz 2 zugewiesen hat. Um 17.01 Uhr hat sich diese Person ausgeloggt. Die Jugendlichen haben zwei Knallgeräusche gehört. Der Iraker hat einfach weitertelefoniert.
Wir haben Herrn Yozgat gesagt, dass wir alles tun, um diese schreckliche Tat aufzuklären. Deswegen haben wir ihm auch gesagt, dass wir alles abklären müssen, auch innerhalb der Familie. Die Familie war sofort damit einverstanden. Halit Yozgat wurde von allen als netter, freundlicher Kumpel beschrieben. Die Eltern hatten ihm das Internetcafé ausgestattet. Wir haben in der Realschule, wo er früher war, nachgefragt, ob es Ärger gegeben hat. Es gab keine Ansätze, kein Motiv. Er hatte einen guten Freund, der saß wegen Drogendelikten im Gefängnis. Aber es gab keinen Zusammenhang, dass Halit Yozgat darin verwickelt sein könnte. Innerhalb der Familie war es genauso. Es gab keine Ansatzpunkte, dass bei den Geschwistern oder Eltern eine Motivlage bestand, die eine derart schreckliche Tat begründen könnte. Früher war in dem Haus eine türkische Teestube, da gab es mal eine Erpressungslage, aber das hatte mit den Yozgats nichts zu tun. Die Yozgats hatten noch Schulden auf ein Haus, aber auch da bestand kein Zusammenhang. Sie hatten in einer türkischen Holding Geld angelegt, die betrügerisch verwaltet wurde. Aber auch da war nichts zu finden an Zusammenhang mit der Tat. Die Familie war uns gegenüber sehr kooperativ. Wir haben sie auch immer sofort informiert, wir haben an einem Strang gezogen.
Götzl Es kam wohl auch zum Einsatz eines verdeckten Ermittlers.
Karl-Heinz G. Ja, und mehrere Monate wurden die Anschlüsse der Familie überwacht. Das hat nichts erbracht.
Götzl Können Sie uns schildern, welche Folgen der Mordanschlag für die Familie hatte?
Karl-Heinz G. Bei all unseren Gesprächen kam immer wieder zum Ausdruck, dass es die gesamte Familie sehr mitgenommen hat. Der Sohn war Mittelpunkt der Familie und wurde auf so abscheuliche Art herausgerissen.
Anwalt Bliwier Ich möchte die Harmonie etwas trüben. Der Familie Yozgat stellt sich das anders dar. Sagt Ihnen der Kollege T. was?
Karl-Heinz G. Ja, der Herr Yozgat hat sich ihm anvertraut und erhoffte sich Informationen über die Ermittlungen.
Anwalt Bliwier Trifft es nicht eher zu, dass Herr Yozgat sich bei ihm beschwert hat?
Karl-Heinz G. Nein, das glaube ich nicht. Können Sie gerne Herrn Yozgat fragen.
Anwalt Bliwier Ich habe hier den Vermerk des türkischen Kollegen. Er schreibt, Herr Yozgat sagte, die Ermittler hätten einen falschen Ermittlungsweg. Sie sollten aufhören, ihn und seine Familie zu verdächtigen. Er fing an zu weinen. Warum sollte er etwas verheimlichen? Er sei der festen Überzeugung, dass sein Sohn und die anderen von Rechtsextremisten ermordet worden sind. Es müsse ein Spinner sein, der wahllos Ausländer umbringt.
Karl-Heinz G. Uns gegenüber hat sich Herr Yozgat nicht so verhalten.
Anwalt Bliwier Ist Ihnen eine solche Information zugegangen, dass Herr Yozgat Ausländerfeinde für die Täter hält?
Karl-Heinz G. Wir haben der Familie gesagt, dass wir auch wegen Ausländerhass ermitteln, in alle Richtungen.
Anwalt Bliwier Das ehrt sie. Aber haben Sie konkret ermittelt in Richtung Fremdenhass?
Karl-Heinz G. Ich weiß, dass solche Nachfragen und Ermittlungen erfolgt sind. Das Ergebnis kann ich Ihnen aber nicht sagen.
Anwalt Bliwier Wer hat das veranlasst?
Karl-Heinz G. Das weiß ich nicht. Wir sind zum Beispiel in die Abendschule gegangen, um zu sehen, ob es da ausländerfeindliche Motive gab.
Anwalt Bliwier Sie waren also in der Schule. Weitere Beispiele?
Karl-Heinz G. Als ich gesehen habe, dass der Iraker in der Telefonzelle im Internetladen aus Mossul stammt, einem Zentrum der Kurden, da habe ich gedacht: Halt, gab es da vielleicht einen Zusammenhang?
Anwalt Bliwier Kurden aus dem Irak – das sind für Sie ausländerfeindliche Hintergründe?
Karl-Heinz G. Nein, natürlich nicht.
Anwalt Bliwier Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, ich ziehe nur in Zweifel, dass das mit dem harmonischen Miteinander mit der Familie so stimmt.
Anwalt Thiel Halit Yozgat telefonierte kurz vor seinem Tod noch mit einem Freund. Was ist mit dem Handy passiert?
Karl-Heinz G. Ja, das kann ich Ihnen sagen. Während der Obduktion habe ich den Erkennungsdienst gefragt, wo das Handy ist. Es gibt kein Handy, sagten die. Der Verstorbene hatte aber ein Handy. Dieses Handy hatte ein Mitarbeiter der Pathologie gestohlen und mit nach Hause genommen.