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dd) Voraussetzungen
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Formell-rechtlicher Fehler. Der Aufhebungsanspruch ist gem. § 46 VwVfG nur dann ausgeschlossen, wenn der Verwaltungsakt lediglich unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist. Diese Vorschriften können sowohl im Verwaltungsverfahrensgesetz als auch in speziellen Gesetzen enthalten sein.[697] Bei materiell-rechtlichen Fehlern oder Verstößen gegen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit ist § 46 VwVfG von vornherein nicht anwendbar.
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§ 46 VwVfG ordnet nach seinem Sinn und Zweck (weitestmögliche Erhaltung des Verwaltungsakts bei alleiniger Verletzung „dienenden“ Verfahrensrechts) den Ausschluss des Aufhebungsanspruchs lediglich im Fall der Verletzung relativer Verfahrensrechte an. Bei der Verletzung absoluter Verfahrensrechte, die einen Selbstzweck haben und daher ungeachtet ihres Einflusses auf die Sachentscheidung der Behörde beachtet werden müssen, kommt § 46 VwVfG nicht zur Anwendung.[698]
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Keine Nichtigkeit oder vorherige Heilung. Der Verwaltungsakt darf nicht nach § 44 VwVfG nichtig sein.
Beispiel:
Wird ein Verwaltungsakt, für dessen Erlass ein Gesetz zwingend die Schriftform anordnet (z.B. § 10 Abs. 7 Satz 1 BImSchG), mündlich erlassen, ist er regelmäßig gem. § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, es sei denn, die Schriftform hat lediglich eine Ordnungs- oder Beweisfunktion.[699]
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§ 46 VwVfG ist nachrangig gegenüber § 45 VwVfG. Der Ausschluss des Aufhebungsanspruchs wegen eines formell-rechtlichen Fehlers gem. § 46 VwVfG ist nicht zu prüfen, soweit der Fehler nach Maßgabe des § 45 VwVfG ex tunc geheilt wurde und der Verwaltungsakt damit als formell rechtmäßig anzusehen ist.[700]
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Keine Ergebnisrelevanz. Schließlich muss offensichtlich sein, dass der Rechtmäßigkeitsmangel die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Beeinflussung der Sachentscheidung setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Behörde ohne den Verfahrensfehler eine andere, für den Betroffenen günstigere Entscheidung getroffen hätte.[701] § 46 VwVfG verlangt mithin die hypothetische Prüfung einer konkreten anderen rechtmäßigen Sachentscheidung.[702] Die Alternativlosigkeit ist stets eine Frage des Einzelfalls, wird aber bei Ermessensverwaltungsakten, vorbehaltlich einer Ermessensreduktion auf Null, tendenziell eher zu verneinen sein als bei gebundenen Verwaltungsakten.[703] Der Kausalzusammenhang zwischen dem formellen Rechtsfehler und der Sachentscheidung kann sowohl bei tatsächlicher als auch bei rechtlicher Alternativlosigkeit der Sachentscheidung fehlen.[704] Allein der Umstand, dass dem Verwaltungsakt eine politische Entscheidung für dessen Erlass vorausgegangen ist, hat noch nicht die Alternativlosigkeit der Sachentscheidung zur Folge.[705]
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Die fehlende Ergebnisrelevanz ist offensichtlich, wenn „jeglicher Zweifel“ an der Alternativlosigkeit der Sachentscheidung ausgeschlossen ist.[706] Lassen sich letzte vernünftige Zweifel daran nicht ausräumen, geht dies zu Lasten der Behörde.[707] Für die Feststellung der Offensichtlichkeit gilt ein objektiver Maßstab, wobei auf alle erkennbaren Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist.[708] Ermittlungsergebnisse, die im Zusammenhang mit der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts gewonnen wurden, sind zu berücksichtigen; darüber hinausgehende Ermittlungen sind jedoch grundsätzlich nicht anzustellen.[709]
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Im Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 1 Buchst. b) der UVP-Richtlinie ist § 46 VwVfG dergestalt unionsrechtskonform auszulegen und anzuwenden, dass dem Rechtsbehelfsführer nicht die Darlegungs- und Beweislast für die Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers auferlegt werden darf.[710] Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss deshalb das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforschen (vgl. § 86 VwGO) und darf den Verfahrensfehler nur dann gem. § 46 VwVfG als unbeachtlich ansehen, wenn es aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnismittel von der fehlenden Kausalität des Verfahrensfehlers für die Sachentscheidung überzeugt ist. Kann es hingegen nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten die Ergebnisrelevanz nicht aufklären, wird vermutet, dass der Verfahrensfehler gem. § 46 VwVfG die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat.[711]