Читать книгу Stille Nacht, höllische Nacht - Thomas R. Behrendt - Страница 10
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„Im Frühjahr hol' ich mir die neue VFR.“
„Wieder 'ne Honda?“, fragte Martin gelangweilt. „So'n blöder Reiskocher?“, sagte er dann und stellte sein Bierglas ab. Manuelas vereinsamter Freund hatte aus der Not eine Tugend gemacht und war in seine Stammkneipe um die Ecke gegangen. Schließlich wollte er am Heiligen Abend nicht allein zu Hause herumsitzen und warten, bis Manuela endlich zurückkehrte.
Zu seinem Glück war das Bitburger-Fass geöffnet. Martin hockte am Tresen und fachsimpelte mit dem Wirt.
„Was heißt hier Reiskocher?“ Holger war genau wie er ein Motorrad-Freak. Über ihr gemeinsames Hobby konnten sie stundenlang reden – oder vielmehr stundenlang streiten. Denn Holger hatte ein Faible für schnelle Maschinen made in Japan. Martins Herz dagegen schlug für Oldtimer aus Großbritannien. Honda und Yamaha gegen Norton und Triumph. Gegensätze, die schier unüberbrückbar erschienen. Zwar versuchten beide seit Jahren den anderen von den Qualitäten ihrer Marken zu überzeugen. Allerdings ohne den geringsten Erfolg. Auch an diesem Abend gab es in der müßigen Diskussion keinerlei Annäherung.
„Die Testergebnisse sind einfach super“, lobte Holger seine neue Traum-Maschine. „Stell' dir vor, die Motorrad-Zeitung nennt sie ein Weltklasse-Eisen!“
Martin rümpfte die Nase und hielt Holger sein leeres Glas hin. „Mach' mir lieber noch 'n Bier.“ Er holte seinen Tabak aus der Hemdtasche und drehte sich eine Zigarette.
Der Wirt zapfte seinem Gast das mittlerweile dritte Pils, ließ sich dabei aber nicht vom Thema ablenken: „Ihr ABS soll gnadenlos gut sein.“
„Ey, wenn ich das schon höre.“ Martin machte eine wegwerfende Handbewegung. „ABS. Phh! Wenn dir die Sicherheit so wichtig ist, dann steig' doch gleich auf vier Räder um und kauf' dir 'nen Volvo.“
Aber Holger ließ sich nicht provozieren. „Als ich noch so 'n junger Spund war wie du, ging mir das auch am Arsch vorbei. Aber wenn du erst mal fünfunddreißig bist...“ Er schob Martin das volle Glas hin. „...Da denkst du schon mal nach. Übers Leben, über den Tod und so weiter.“
Martin zuckte nur die Achseln und nahm einen kräftigen Schluck von dem frischen Pils. „Mir kommt jedenfalls kein Reiskocher ins Haus“, sagte er nach einer Weile und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.
Bevor sein Gegenüber etwas erwidern konnte, ging die Tür auf, und drei junge Leute betraten das Lokal. Martin drehte sich auf seinem Barhocker um und blickte flüchtig hinüber zum Eingang. Einer der neuen Gäste war männlich, zwei waren weiblich – soweit das unter den dicken Anoraks und Wollmützen überhaupt auszumachen war. Das Trio schüttelte den Schnee von seinen Klamotten ab.
„Fröhliche Weihnachten“, rief eine weibliche Stimme.
Martin fuhr zusammen. Oh, Scheiße, dachte er. Die hat mir gerade noch gefehlt.
Er kannte die Stimme sehr gut. Sie gehörte Marion Jakoby, seiner Ex-Freundin. Vor über einem Jahr hatte er mit ihr Schluss gemacht. Zwar war es eine Beziehung voller Leidenschaft gewesen – auch sexueller Leidenschaft – aber sie hatten ständig gestritten. Sie war einfach nicht bereit gewesen, ihm seine Freiheit zu lassen. Sie hatte zu sehr geklammert, ihn als ihr persönliches Eigentum betrachtet. Auch dass es aus war, wollte sie lange Zeit nicht akzeptieren. Mehrfach hatte sie ihn angerufen, Briefe geschrieben, ihm vor der Wohnungstür aufgelauert. Einmal war sie dabei sogar Manuela begegnet. Auweia! Fast wäre es zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden Frauen gekommen. Wenn sie Marion noch einmal in Martins Nähe sehen würde, dann gebe es ein Unglück, hatte Manuela gedroht.
Er machte jetzt einen kläglichen Versuch sich aufs Klo zu verdrücken, aber Marion hatte ihn bereits entdeckt. „Hey, Martin! Wo willst du denn hin?“ Sie trat ihm in den Weg. Die beiden anderen Neuankömmlinge stellten sich in seinem Rücken auf und schnitten damit jede Fluchtmöglichkeit ab.
„Mensch, Wittkowsky! Dich hab' ich ja schon ewig nicht mehr gesehen!“ Das war die Stimme von Gunnar Dombach, einem ehemaligen Basketballer aus Martins Verein. Ein nordischer Hüne. Seit drei Jahren studierte er Medizin in Münster und kam nur hin und wieder in den Semesterferien zu Besuch. Oder wie jetzt zu Weihnachten.
„Komm', wir setzen uns da drüben an den Tisch. Dann können wir mal in Ruhe quatschen. Was treibst du denn so?“, fragte Gunnar. Er legte Martin seinen muskulösen Arm um die Schultern und zog den Widerstrebenden mit sich.
„Sorry“, stammelte Martin, tut mir echt Leid, aber...“
„Was aber? Ein paar Minuten Zeit für einen alten Kumpel, die wirst du doch haben – oder?“ Ohne eine Antwort abzuwarten gab er Holger hinter dem Tresen ein Zeichen. „Mach' für Martin noch ein Bier. Und für mich auch eins.“ Dann schaute er zu seinen beiden Begleiterinnen. „Was darf ich für euch bestellen, Mädels?“
Marion wollte auch ein Bier.
„Ich glaub', ich nehm' einen Tee mit Zitrone. Ich muss mich erst mal aufwärmen“, sagte Kathrin. Sie war Gunnars jüngere Schwester. Martin kannte sie vom Sehen. „Ganz schön kalt da draußen.“ Sie rubbelte ihre Hände gegeneinander und schenkte Martin ein gewinnendes Lächeln. Aber er nahm es gar nicht richtig wahr. Er war wie gebannt von der Gegenwart seiner Ex-Freundin. Sie rief eine seltsame Erregung in ihm hervor.
Marion ihrerseits hatte Kathrins Lächeln sehr wohl bemerkt und warf ihr einen eifersüchtigen Blick zu. Lass' bloß die Finger von ihm, sollte er sagen, der Typ gehört mir!
Gunnar hielt Martin sein Zigarettenetui hin. Dann zückte er sein goldenes Benzinfeuerzeug und ließ eine Stichflamme auflodern, dass alle erschrocken zurückzuckten.
„Hey, du Blödmann! Pass' doch auf“, sagte Marion. „Du versengst uns noch die Haare.“
Gunnar lachte.
Martin lachte nicht. Er holte einen Gummi aus der Hosentasche und band seine lange Mähne zu einem Pferdeschwanz. „So“, sagte er leicht genervt, „damit nichts mehr anbrennen kann.“ Dann griff er nach Gunnars Feuerzeug und betrachtete es kritisch von allen Seiten. „War sicher nicht billig, das Teil?“, fragte er abschätzig.
Gunnar grinste nur überlegen.
Martin ließ ebenfalls eine Stichflamme auflodern, dann gab er das Feuerzeug seinem Besitzer zurück und schüttelte missbilligend den Kopf. Das großspurige Gehabe seines Sportskameraden war ihm schon früher oft auf die Nerven gegangen. Gunnar hatte bereits als Jugendlicher immer eine Menge Geld in der Tasche gehabt. Deshalb wunderte Martin sich auch nicht, als er jetzt die protzige Rolex an Gunnars Handgelenk entdeckte. „Ist die echt?“, fragte er. „Oder aus Bangkok?“
„Von wegen Bangkok“, sagte Gunnar leichthin.
„Die hat er von unserem Daddy zu Weihnachten bekommen“, verkündete Kathrin stolz. „Und ich diesen wunderschönen Ring.“ Sie spreizte ihre Finger, damit Martin das brillantbesetzte Kleinod bewundern konnte.
Doch er warf nur einen flüchtigen Blick darauf. Na ja, dachte er, ihr alter Herr ist eben kein armer Schlucker, sondern Chefarzt in der Psychiatrischen Klinik von Biedenstadt. Da gehören solche protzigen Statussymbole offenbar dazu. Er rümpfte die Nase.
Dann begann Gunnar zu erzählen: Sie hätten zu Hause über dem Weihnachtsbraten gesessen, da sei sein Vater zu einem Notfall in die Klinik gerufen worden. Kathrin und er hätten die Gunst der Stunde genutzt und sich schnellstens aus dem Staub gemacht. Auf dem Kirchplatz seien sie Marion begegnet, Kathrins Kollegin aus der Anwaltskanzlei. Sie habe ihre Mutter zur Christmette begleitet und sich an der Kirchentür von ihr verabschiedet.
Marion nickte bestätigend.
„Und, Wittkowsky? Wie hast du Heiligabend verbracht?“, fragte Gunnar harmlos.
„Ich? Ähm...“
„Na, hier in der Kneipe hat er ihn verbracht“, höhnte Marion, „das siehst du doch.“ Und an Martin gewandt: „Hat deine Manuela dich etwa sitzenlassen?“
„Nein, Quatsch!“, antwortete Martin gereizt. „Sie kommt gleich vom Besuch bei ihren Eltern zurück. Deshalb muss ich auch bald gehen, Leute.“ Er blickte verstohlen zur Tür. Doch in diesem Moment brachte Holger die Getränke und baute sie vor ihnen auf.
„Jetzt stoßen wir erst mal an“, sagte Gunnar gut gelaunt. „Prost, alter Junge!“ Er rammte sein Bierglas so fest gegen Martins, dass beide Gläser überschwappten und der Schaum hoch aufspritzte. Ein Spritzer landete auf Marions Bluse.
„Oh, hoppla“, lachte Gunnar.
„Passt doch auf“, zischte Marion und wich erschrocken zurück.
„Tut mir echt Leid“, entschuldigte sich Martin und griff nach einer Papierserviette. Ehe er sich bewusst wurde, was er tat, betupfte er damit die Schaumflocken auf Marions Brust.
„Du hast wohl mit Absicht gekleckert?“, neckte ihn Gunnar. „Die Masche kannte ich noch gar nicht.“
Martin ließ die Serviette sinken.
„Es ist ja nicht das erste Mal, dass er meine Brust berührt“, sagte Marion und zog seine Hand wieder an ihren Busen zurück. Obwohl er wusste, dass es ein Fehler war, ließ er es geschehen.