Читать книгу Stille Nacht, höllische Nacht - Thomas R. Behrendt - Страница 16
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„Verdammter Mist!“ Manuela Herder knallte ihr Handy auf die Tischplatte. Gerade hatte sie zum x-ten Mal auf Wahlwiederholung gedrückt, um endlich mit Martin zu sprechen. Aber entweder weigerte er sich ans Telefon zu gehen oder – noch schlimmer – er war nicht zu Hause. Und die zweite Möglichkeit wurde für Manuela von einem Versuch zum nächsten immer wahrscheinlicher.
Im gleichen Takt wuchs ihr Groll gegen Martin: Erst jammert er herum, weil ich an Heiligabend ein paar Stündchen mit meiner Familie verbringen will. Dann macht er sich selbst aus dem Staub, anstatt auf mich zu warten. „Männer sind doch Egoisten“, schimpfte sie laut, „alle miteinander!“
Wenn er wenigstens ein Handy hätte. Manuela konnte nicht nachvollziehen, warum ihr Freund sich bisher standhaft geweigert hatte eines anzuschaffen. Als Student könne er sich das nicht leisten, behauptete er. Außerdem begreife er nicht, warum so viele Menschen das Bedürfnis hätten ständig erreichbar zu sein. Diesem Telefonterror wolle er sich nicht unterwerfen. Den Großen Lauschangriff hatte er es mal genannt. Und außerdem: Mit einem Handy in der Tasche kann man überall geortet werden. So weiß der Staat jederzeit, wo du gerade bist, was du gerade machst, hatte Martin behauptet. Big Brother is watching you! Auch so eine seiner Verschwörungstheorien...
Manuela lächelte grimmig. Sobald das Baby da ist, beschloss sie jetzt, werde ich ihm ein Handy kaufen. Dann kann er sich seiner Verantwortung nicht mehr entziehen.
Oh ja, das Baby. Heute wird Martin wohl nicht mehr erfahren, dass er Vater wird. Wieder eine Gelegenheit verpasst, ärgerte sich Manuela. Ich habe es viel zu lange vor mir her geschoben. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Oder soll ich einen Schlussstrich ziehen und meine Schwangerschaft vor ihm verheimlichen? Nein, es ist schließlich auch sein Kind. Und ich liebe ihn.
Die nächtliche Stille im Schrankenwärterhäuschen wurde erst von einem tiefen Seufzer unterbrochen und unmittelbar darauf vom schrillen Läuten des Diensttelefons. Manuela fuhr zusammen. Dann nahm sie mit zitternden Händen den Hörer ab.
„Herr Klumpp?“, kam es vom anderen Ende der Leitung.
„Nein, hier ist Herder.“ Manuela spürte die Verwunderung des Anrufers. Es war Fahrdienstleiter Armin Ludewig vom Bahnhof in Biedenstadt. Sie hatte ganz vergessen ihn bei Dienstantritt zu informieren. Jetzt entschuldigte sie sich und klärte ihn über die Situation auf.
„Oh, das tut mir Leid für Sie, Frau Herder. Ausgerechnet heute, an Heiligabend, müssen Sie einspringen.“
„Hmhm.“
„Aber warum soll es Ihnen besser gehen als mir?“ Ludewig lachte. Als er jedoch merkte, dass sein Humor keinen Widerhall fand, wurde er dienstlich: „Äh, warum ich eigentlich anrufe – der Regionalexpress nach Köln verspätet sich. Wie es aussieht, um mindestens eine halbe Stunde. Das Schneetreiben, Sie wissen schon.“
„Aha.“
„Irgendwo bei Gerolstein ist die Strecke blockiert. Sie wird gerade freigeräumt.“
„Ich verstehe.“
„Statt 23:48 Uhr kann es also etwa 0:20 Uhr werden. Oder auch noch später. Wenn ich Genaueres weiß, melde ich mich wieder.“
„Danke.“ Manuela legte den Hörer auf und starrte auf das Schneegestöber draußen vor dem Fenster. Weiße Weihnacht, dachte sie. Was ist daran eigentlich so romantisch? Sie verzog das Gesicht. Was hab' ich daran bisher so romantisch gefunden? Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Fensterscheibe. Weiße Scheiße!“, sagte sie laut, obwohl niemand sie hören konnte.
Vor Langeweile hätte Manuela heulen können. Warten, warten, warten, nichts als warten, dachte sie. Oh, lieber Gott, lass' diese Nacht schnell vorübergehen!