Читать книгу Stille Nacht, höllische Nacht - Thomas R. Behrendt - Страница 18
Оглавление23:50 h
„Mama.“ Bülents Stimme klang dünn und weinerlich.
„Ja, mein Schatz.“
„Warum kommt der Zug nicht?“
„Ich weiß es nicht.“ Renan Karabük schaute ihren Sohn hilflos an. „Er müsste bald da sein.“ Sie war selbst der Verzweiflung nahe. Mehr noch als die Angst zehrte mittlerweile die Kälte an ihren Nerven.
Mehrfach hatte sie ihren Platz auf der Bank verlassen, war auf und ab gegangen, um sich etwas Bewegung zu verschaffen. Doch die Kälte wollte nicht aus ihren Gliedern weichen. Sie fror erbärmlich. Wie das Wetter jetzt wohl in der Türkei sein mag?, überlegte sie. Im Hochland von Anatolien gibt es auch strenge Winter. Aber solche Schneemassen? Das hatte sie dort noch nicht erlebt.
Wieder legte sie die Hand auf Bülents Stirn. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, dachte Renan, aber sie fühlt sich immer heißer an. Das Fieber steigt. Wenn der Zug nicht bald kommt, wird Bülent ernsthaft krank. Das darf ich nicht zulassen!
Wenn sie nur jemanden um Auskunft bitten könnte. Aber es gab kein Personal auf der kleinen Vorortstation in Kaldenbach. Und es waren auch keine anderen Reisenden zu sehen.
Renan setzte dem Zug eine letzte Frist von fünf Minuten. „Wenn er bis Mitternacht nicht da ist“, versuchte sie Bülent zu trösten, „gehen wir wieder nach Hause.“
„Ist Papa dann auch wieder daheim?“
Hoffentlich nicht, dachte Renan. Aber eigentlich war es ihr jetzt gleichgültig. Die Kälte hatte ihren Widerstand gebrochen. Auf keinen Fall wollte sie noch länger hier draußen ausharren. Da erschien ihr Ahmed beinahe als das kleinere Übel.
„Sag', ist Papa dann auch wieder daheim?“, wiederholte Bülent und riss seine Mutter aus ihren trüben Gedanken.
„Vielleicht“, sagte sie nur und blickte gebannt auf den großen Zeiger der Bahnhofsuhr. Jeden Moment würde er auf die Zwölf umspringen. Sie trat an die Bahnsteigkante und schaute an den Schienen entlang in die Dunkelheit hinein.
„Kommt er?“, fragte Bülent hoffnungsvoll.
Aber noch immer war weder ein Zug zu sehen noch zu hören. „Nein, mein Kleiner“, antwortete Renan deprimiert. „Es sieht nicht so aus.“
„Schade“, meinte Bülent nur.
„Ja, das ist schade.“
Als die selbst gesetzte Frist endlich abgelaufen war, nahm Renan ihren Sohn und ihr Köfferchen und machte sich auf den Heimweg. Allein die Vorfreude auf die warme Wohnung beschleunigte ihren Schritt. Sogar der kleine Bülent war auf einmal wieder putzmunter. Noch zehn Minuten, dachte Renan, dann haben wir es geschafft.