Читать книгу Stille Nacht, höllische Nacht - Thomas R. Behrendt - Страница 20
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„Na los, Manfred! Beeilen Sie sich doch mal!“ Dr. Alexander Braun wurde langsam ungeduldig. „Wir können nicht ewig hier drin bleiben.“
Seit fast einer halben Stunde durchstöberten sie die Wohnung von Ahmed Karabük. Bisher hatten sie keinen Hinweis darauf gefunden, wo sich der geflohene Patient und mutmaßliche Taximörder verstecken könnte. Aber es sah ganz so aus, als hätte er seine Familie mitgenommen.
Die Tatsache, dass sie nur eine Taschenlampe hatten, machte ihnen die Aufgabe nicht leichter. Natürlich hätten sie das Deckenlicht einschalten können, aber sie wollten nicht gesehen werden. Es hingen keine Gardinen vor den Fenstern. Jeder im Haus gegenüber könnte sie beobachten, hatte Alex zu bedenken gegeben.
Der Leidtragende war Pfleger Manfred Gerling. Denn der Doktor selbst hielt sich vornehm zurück. Als ausführendes Organ hatte er schließlich einen Gehilfen mitgebracht. Seinen persönlichen Part sah Alex im Erteilen von strikten Anweisungen und klugen Ratschlägen. Und als ob das noch nicht genug wäre für einen Mann seines Ranges, bezog er Horchposten an der Wohnungstür.
Manfred klappte einen Schrank nach dem anderen auf, durchwühlte Schublade um Schublade. Er bemühte sich dabei äußerst sorgfältig vorzugehen und alles wieder so anzuordnen, wie er es vorgefunden hatte. Keiner sollte später bemerken, dass die Wohnung durchsucht worden war.
Er stieß allerdings nur auf Trödel und Plunder. Suchen Sie nach persönlichen Dingen, hatte Dr. Braun gesagt. Dinge, die etwas über ihren Eigentümer aussagen: Papiere, Dokumente, Fotos, Notizen, irgendwas eben. Und Manfred suchte und suchte. Aber er fand nichts.
„Das hat doch alles keinen Sinn, Herr Doktor“, resignierte er schließlich. „Lassen Sie uns auf dem schnellsten Weg von hier verschwinden.“
„Damit die ganze Aktion umsonst war? Sie sind wohl verrückt? Nein, wir bleiben so lange, bis wir etwas entdeckt haben. Sie müssen sich eben mehr Mühe geben, Mann.“
Aber der Pfleger mit dem buschigen Schnurrbart hatte jetzt endgültig die Nase voll: „Suchen Sie doch selbst weiter.“ Er war gerade damit beschäftigt gewesen, die Tischschublade in der Wohnküche zu durchwühlen. Jetzt brach er die Aktion mittendrin ab und hielt Alex Braun die Taschenlampe hin. „Ich gehe.“
„Nun warten Sie doch mal. Nicht so hastig.“ Alex griff nach der Taschenlampe. „Okay, okay. Jetzt übernehme ich das Suchen. Sie bewachen die Tür.“
„Meinetwegen.“
Alex machte erst einmal in der Küche weiter, hielt sich aber nicht lange damit auf und wanderte dann schnurstracks ins Schlafzimmer. Sein unfreiwilliger Komplize wartete so lange im Flur.
Schon nach einer Minute kehrte der Doktor mit triumphierendem Lächeln zurück. Er schwenkte ein Büchlein in der Hand und sagte: „Sehen Sie, Manfred, was ich hier habe? Das ist ein Adressbuch. Es steckte in einem von Karabüks Jacketts, die im Kleiderschrank hängen. Haben Sie dort eigentlich nicht nachgesehen?“
„Ich kann ja nicht überall gleichzeitig suchen.“
„Ich glaube, Ihnen fehlt einfach der kriminalistische Spürsinn.“
„So, meinen Sie?“ Auf derlei Belehrungen hatte Manfred gerade noch gewartet. Aber er verkniff sich jeden Kommentar.
„In diesem Büchlein steht ein ganzer Haufen von Adressen und Telefonnummern“, stellte Alex beim Durchblättern fest. „Die rufen wir jetzt der Reihe nach an.“
„Wie bitte?“
„Na, logisch“, sagte der Doktor.
„Und wozu soll das gut sein?“
„Ich wette, Karabük ist mit seiner Familie bei Verwandten oder Bekannten untergetaucht. Wohin sollte er sonst gehen?“
„Das mag ja sein, aber seine Verwandten werden ihn bestimmt nicht verpfeifen.“
„Sie dürfen nicht vergessen, dass ich psychologisch geschult bin. Ich merke es sofort, wenn mich einer anlügt.“
„Ich will Ihre Qualifikation nicht in Frage stellen, aber...“
„Außerdem“, schob Alex nach, „wer lebt schon gerne unter einem Dach mit einem Geisteskranken?“
Von diesem Argument ließ sich der Pfleger überzeugen. Er hatte schließlich lange genug in der Psychiatrischen Klinik gearbeitet. Nein, keinen einzigen seiner Patienten würde Manfred Gerling mit nach Hause nehmen. Und dieser Karabük war keiner von den harmlosen Irren. Er war eine unberechenbare Zeitbombe. Das hatte ihm Dr. Braun inzwischen klar gemacht. Ob er wirklich diesen Taxifahrer getötet hat?, fragte sich Manfred. Er kannte Karabük nicht und konnte ihn nicht einschätzen. Dr. Braun jedenfalls schien die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen „Okay“, sagte er deshalb, „aber Sie rufen die Leute an. Ich halt' mich da 'raus.“
„Selbstverständlich.“
„Wie viele sind es eigentlich?“
„Keine Ahnung. Ich hab' sie nicht gezählt. Aber wir beschränken uns erst mal auf diejenigen, die in der Nähe wohnen. Die Telefonnummern in der Türkei heben wir uns bis zum Schluss auf. So weit kann Karabük ja noch nicht gekommen sein.“ Alex grinste und griff mit der rechten Hand zum Hörer.
In diesem Moment spürte er ein Vibrieren an seiner Brust. Er legte das Adressbuch zur Seite, ließ den Telefonhörer fallen und fischte das Handy aus der Innentasche seines Mantels. Das wird Nadja sein, dachte er, sein momentan heißestes Eisen im Feuer. „Mist! Warum ausgerechnet jetzt?“, fluchte er deshalb und war schon versucht das Gespräch wegzudrücken. Da erkannte er die Nummer der Klinik auf dem Display. „Hallooo?“, sagte er gedehnt.
„Herr Doktor, wo sind Sie denn bloß?“ Es war Nachtschwester Hildegard. „Prof. Dombach hat angerufen. Er wollte sie dringend sprechen. Wegen diesem Patienten aus Zimmer 115. Ob sie schon was gehört hätten.“
Ach, du Scheiße, dachte Alex. „Was haben Sie zu ihm gesagt?“
„Nichts. Nur dass Sie nicht ans Telefon kommen könnten.“
Er atmete auf. Die Solidarität, die unter dem Krankenhauspersonal herrschte, war einfach phänomenal. Sogar ihn, den Assistenzarzt, schloss sie mit ein. Trotzdem, überlegte er, wenn Dombach noch mal anruft, bin ich geliefert. „Haben Sie vielen Dank, Schwester Hildegard. Ich komme sofort zurück.“ Er unterbrach die Verbindung und wandte sich Manfred Gerling zu: „Kommen Sie. Wir verschwinden von hier. Auf dem schnellsten Weg.“ Er steckte sein Handy weg und hatte schon die Türklinke in der Hand, da drehte er sich noch einmal um. „Aber das Adressbuch, das nehmen wir mit.“