Читать книгу Stille Nacht, höllische Nacht - Thomas R. Behrendt - Страница 9
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„Warum ist dein Martin eigentlich nicht mitgekommen heute Abend?“, fragte Wolfgang Herder, ohne den Blick von der verschneiten Landstraße abzuwenden. Er hatte gleich nach dem Anruf beschlossen seine Jüngste zu ihrer Arbeitsstätte zu bringen. Bei diesem Wetter konnte er sie doch unmöglich selbst fahren lassen. Viel zu gefährlich. Sie hatte ja nicht mal Winterreifen für ihren VW-Polo. Und dann den steilen Anstieg hoch nach Oberaulbach. Von dort in engen Kurven hinunter nach Niederaulbach. Nein, das wollte er seiner Lieblingstochter nicht zumuten. Mit seinem Subaru Allrad waren sie viel sicherer unterwegs.
Und wie soll ich morgen früh um sechs zurückkommen?, hatte sie gefragt. Ruf' halt ein Taxi. Ich geb' dir das Geld dafür. Oder willst du auch einen Unfall bauen? Wie dieser Schrankenwärter? Da war zum Glück ihre anfängliche Skepsis überwunden, und sie hatte sich einverstanden erklärt.
Auf seine Frage nach Martin log sie jetzt: „Ich hab' ihn nicht eingeladen.“
„Wieso nicht?“
„Keine Ahnung.“
„Habt ihr euch gestritten?“
„Nein.“ Sie hätte ihrem Vater sagen können, dass es seine Schuld war. Weil Martin sich von ihm nicht akzeptiert fühlte. Aber sie hatte die Streitereien an diesem Weihnachtsabend satt.
„Bist du dir sicher, dass er der Richtige für dich ist?“, fragte Wolfgang Herder prompt.
Manuela gab keine Antwort. Gedankenschwer starrte sie durch das Seitenfenster auf das weihnachtliche Schneetreiben. Dicke Flocken tanzten um das Auto herum. Manche blieben an der Scheibe kleben, um sich in Sekundenschnelle in Wassertropfen zu verwandeln.
Aber Manuela nahm es kaum bewusst wahr. Sie war sauer. Sie hatte es immer noch nicht verwunden, dass sie ausgerechnet am Heiligen Abend arbeiten musste. Wie soll ich es Martin beibringen?, überlegte sie. Wenn ich heute Abend nicht mehr nach Hause komme, wird er stinksauer sein. Und vor allem das Baby. Er muss es heute noch erfahren!
Sie verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis mit Martin zu reden. Sofort. Obwohl ihr Vater neben ihr saß. Sie wollte seine Stimme hören. Ihm sagen, dass sie ihn liebte. Gerade weil ihr Vater neben ihr saß.
Während Manuela umständlich ihr Handy aus der Tasche kramte, gerieten sie beinahe in eine Schneewehe am Straßenrand. Trotz des Allradantriebs. Ihr Vater riss das Lenkrad herum.
Uff!
Mit angehaltenem Atem tippte sie die Nummer ein und wartete. Sechsmal ließ sie es klingeln, dann schaltete sich krächzend der Anrufbeantworter ein: „Dies ist der Anschluss von Manuela Herder und Martin Wittkowsky. Wir sind gerade irgendwo in der Geografie unterwegs. Bitte hinterlassen Sie...“ und so weiter. Manuela kannte den Spruch in- und auswendig. Ungeduldig wartete sie darauf, dass es endlich piiiep machte. Dann sagte sie leicht unwirsch: „Nun geh' schon 'ran. Ich weiß, dass du da bist.“ Doch am anderen Ende blieb es stumm. „Bitte, spiel' jetzt nicht die beleidigte Leberwurst. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen... Martin!“
Ihr Vater schaute stirnrunzelnd zu ihr herüber. „Was gibt es denn so Wichtiges?“, wollte er jetzt wissen.
„Ach, nichts.“ Sie rümpfte die Nase und unterbrach die Verbindung. „Rutsch' mir doch den Buckel 'runter“, grummelte sie vor sich hin. Im selben Moment trat ihr Vater ruckartig auf die Bremse. In der Ortsdurchfahrt von Niederaulbach spazierte eine schwarze Katze gemächlich über die Straße.
Manuela sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein. „Fahr' doch nicht so schnell, Paps“, schimpfte sie. Um ein Haar wären sie ins Schleudern gekommen. Unwillkürlich fasste sie sich an den Bauch, als wolle sie ihr ungeborenes Kind um Verzeihung bitten.
Im Dunkeln sah sie die gelben Augen der Katze leuchten. Sie schien überhaupt nicht erschrocken zu sein. Sekundenlang blickte sie unverwandt zu Manuela herüber. Dann machte sie einen Satz und verschwand auf leisen Pfoten hinter einem Gartenzaun.
„Fröhliche Weihnachten“, murmelte Manuela.
Ihr Vater gab vorsichtig Gas.