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GLUTAMINSÄURE

Man kann hier unschwer erkennen, warum sich in allen Kochkulturen Fonds und Saucen aus typischen Kombinationen durchgesetzt haben: Fleischreste, Knochen, Tomaten, Zwiebel, Wurzelgemüse oder Pilze sind nun einmal die Grundlage praktisch jeder Sauce. Gemüse steuert Glutaminsäure bei und die Nucleotide (Inosinat und Guanylat) kommen etwa aus Fleisch und Pilzen.


PILZE sind mit freier Glutaminsäure reichlich bestückt. Sie enthalten hohe Konzentrationen freien natürlichen Glutamats, etwa 0,1 bis 1 Prozent ihres Eigengewichts. Deshalb lassen sich mit getrockneten Steinpilzen oder Morcheln viele Gerichte entsprechend gut in die „umami“-Richtung würzen, sei es mit Pilzstückchen, mit einem Pulver aus getrockneten Pilzen, die in einer Kaffeemühle, im Mörser oder im Hochleistungsmixer pulverisiert wurden, oder mit gefiltertem und kurz aufgekochtem Pilzeinweichwasser.

BITTER

Die meisten Gemüse sind bitter – ursprünglich waren sie es noch mehr als heute, man hat den meisten Sorten ihre Bitterstoffe weggezüchtet.

Die biologische Funktion liegt bei diesem Geschmack auf der Hand: Die Bitterstoffe sollen Fraßfeinde abschrecken (das klappt ja auch bisweilen noch bei Menschen, zumindest bei den sensiblen „Bitterschmeckern“). Verantwortlich dafür sind bei Gemüse insbesondere zwei Stoffgruppen: zum einen die Glucosinolate, zum anderen phenolische Verbindungen. Glucosinolate finden sich in allen Kohlsorten und Zwiebelgewächsen ( Aromabildung durch Angriff, Seite 39). Ein Teil dieser Moleküle spaltet sich durch Myrosinase beim Schneiden oder Kochen in Zucker und Schwefelduftstoffe, der Rest sorgt für einen leichten Bittergeschmack des Gemüses. Bei den anderen Gemüsen erzeugen nichtflüchtige Phenole bittere Noten. Diese Bitterstoff-Moleküle bestehen aus einem oder mehreren hydrophoben Phenolringen (Benzolringen), sind aber durch eine hohe Anzahl von OH- Gruppen (und ein größeres Molekulargewicht) wasserlöslich. Sie verbleiben auf der Zunge und lösen bei den Bitterrezeptoren entsprechende Geschmacksreize aus.

Die Phenole sind Bestandteil des Abwehrmechanismus‘ in den Pflanzen. Wie Menschen und Tiere müssen sich Pflanzen vor starker Sonneneinstrahlung und der energiereichen ultravioletten Strahlung schützen. Dies geschieht durch den Einbau bestimmter Moleküle, die UV-Strahlen schadensfrei absorbieren können, um auf diese Weise Oxidationsschäden durch die energiereiche Strahlung zu verhindern. UV-Strahlung kann dabei so energiereich sein, dass die Photonen Elektronen aus Molekülen schlagen oder Moleküle „ionisieren“. Es bilden sich freie, chemisch hochreaktive Radikale, die selbst wieder Zellen schädigen, sofern diese nicht rechtzeitig abgefangen werden. Wie im Sonnenblumenöl, das unter anderem reich an antioxidativen Inhaltsstoffen ist, schützt sich die Pflanze mit Antioxidantien, etwa mit Phenolen und Polyphenolen. Die π-Elektronen der beiden Benzol- (auch Phenol-)Ringe sichern eine gute Absorption von Licht (Photonen), während die OH-Gruppen relativ leicht chemisch reagieren und somit freie Radikale einfangen können. Gleichzeitig stellen die OH-Gruppen eine gewisse Wasserlöslichkeit sicher. Phenole sind nicht flüchtig, sie haben daher keinen Geruch, sondern tragen zum bitteren Grundgeschmack der Gemüse bei. Viele Pflanzen bedienen sich eines Tricks, um die Wasserslöslichkeit der Phenole zu erhöhen, indem ihnen ein Zuckermolekül über eine glycosidische Bindung angehängt wird. Auch diese Glycoside schmecken bitter.

BITTERKEIT UND ADSTRINGENZ

Da der trigeminale Reiz der Adstringenz ebenfalls von Phenolen ausgelöst wird ( Adstringenz, Seite 30), trifft man in phenolreichen bitteren Gemüsen häufig auf ein Wechselspiel von „bitter“ und „adstringierend“. Bei Kohl- und Zwiebelgewächsen ist die Adstringenz eher untergeordnet, weil der Bittergeschmack in erster Linie durch Glucosinolate erzeugt wird, die wegen des in ihnen enthaltenen Zuckers nicht die für die chemosensorische Adstringenz erforderliche Struktur haben ( Seite 39), außerdem eine stark erhöhte Wasserlöslichkeit aufweisen und weniger Speichelproteine fällen können, sodass sie nicht zwingend adstringierend wirken. In vielen phenolreichen Gemüsearten kommt die Gallussäure als Hauptverursacher der chemosensorischen Adstringenz vor, etwa in Auberginen, Cardy, Gurken, Papaya, Portulak und sogar in der Sojabohne.

Soll die Adstringenz als Wahrnehmung gefördert werden, bieten sich entsprechende Würzungen etwa mit Walnüssen oder mit Saucen/Vinaigrettes auf Grundlage von grünen Tees an oder eine entsprechende Wahl begleitender Getränke. So gibt es viele Möglichkeiten, die „chemischen Sinne“ gezielt zu stimulieren, um bestimme sensorische „Sensationen“ in den Vordergrund zu spielen. Bitterkeit kann man in der Küche – wenn man möchte – ebenfalls hervorheben durch das Abrunden mit etwas Bitterorangensaft, Campari, das Würzen mit Kaffee oder das gezielte Einsetzen von etwas Bittergurke, Chicorée oder Radicchio sowie Kräuterauszügen. Auch die Verwendung von bitteren Bieren in Saucen, Schmorfonds oder Angüssen würzt auf eine außergewöhnliche Art. Ganz Mutige kochen für einen Teil der Kochzeit eine Hopfendolde mit. Ansonsten lässt sich Bitterkeit – bis auf Säure, die zu schnell dominant wird (siehe oben) – geschmacklich gut in alle Richtungen ergänzen.

Interessant ist übrigens das Verhältnis von Bitterkeit und Adstringenz bei Wein: Rotweine mit höherem Alkoholgehalt erscheinen weniger adstringierend, dafür bitterer als Weine mit niedrigem Ethanolgehalt. Das liegt daran, dass Ethanolmoleküle weit weniger polar sind als Wasser. Steigender Alkoholgehalt hat daher zur Folge, dass die stärker polaren Dreier-OH-Gruppen, die für die Adstringenz zuständig sind, sich lieber untereinander zu größeren Komplexen gruppieren. Dadurch wirken sie schwächer, die Adstringenz nimmt ab. Die hydrophile Struktur der Aggregate (mit deutlich mehr als drei OH-Gruppen) ähnelt nun den bitter schmeckenden Phenolen, daher tragen sie eher zum Bittergeschmack bei: Diese Überlegungen lassen sich durchaus für die Getränkewahl einsetzen, insbesondere bei bitterem und adstringierendem Gemüse. Ein, zwei Prozent Ethanol (im tanninfreien Weißwein) mehr oder weniger zu Gemüsegerichten geben mal dem Bittergeschmack, mal der Adstringenz mehr Raum.

BITTERKEIT UND ADSTRINGENZ ABMILDERN Wird von einem Maskieren der Bitterstoffe gesprochen, lautet die Empfehlung meist, Zucker dazuzugeben. Die Erklärung, dass die Süße die Bitterkeit überdeckt, etwa wenn man Spargel mit etwas Zucker kocht oder eine Prise Zucker zum Kohl gibt, ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Viel mehr passiert auf molekularem Wege: Jedes Zuckermolekül konkurriert auf molekularer Ebene um Wasser. Der stärker polare und deutlich leichter lösliche Zucker entreißt den Phenolen Teile ihrer Wasserhülle und bricht sie auf. Die Phenole müssen sich daher zusammenlagern, um sich mit einer gemeinsamen Wasserhülle zu umgeben. Werden aber diese Aggregate größer, sind sie weniger beweglich, sie erreichen die Rezeptoren langsamer. Werden sie noch größer, sind sie bereits zu groß, um an den Rezeptoren überhaupt den Geschmack „bitter“ auszulösen. Diese Prozesse geschehen bereits, bevor man den Süßgeschmack wahrnehmen kann. „Bittergeschmack maskieren“ heißt also nicht immer „mit Süße überdecken“. Ähnliches gilt für die Adstringenz, auch hier beeinflussen die polaren Zuckermoleküle die Phenole. Eine Prise Zucker in Cardy- oder Gurkenrezepten bewirkt sensorisch kleine Wunder.

NATURWUNDER ODER GEMÜSE DER ZUKUNFT?

Zukunftsforscher schlagen gern vor, Gemüse künftig in wohldefinierten Umgebungen statt auf Feldern zu erzeugen. Hydrokulturen, exakte Nährstoffzufuhr, effektives Licht mit exakt der Pflanze zugutekommenden Wellenlängen, statt den unkontrollierten Wechsel von Sonne, Regen und Nacht. Mag gut sein, dass sich damit die Welt retten lässt, schade aber um die Aroma- und Geschmacksvielfalt der Freilandpflanze. Denn ohne Stress zu gedeihen ist langweilig. Verhätscheltes Helikoptergemüse ist eben nur fade, ohne Ecken und Kanten.

In der genetischen Zusammensetzung jedes einzelnen Gemüses angelegt, entstehen in der Natur als Abwehrreaktion und als Lockmittel oder durch den Abbau der Fettsäuren wunderbare Aromen und Geschmacksstoffe im erntefrischen Gemüse. Nun fehlt nur noch der dritte Aspekt, der für den Gesamteindruck des Gemüses verantwortlich ist – und für uns natürlich der spannendste: die Beeinflussung von Aroma, Geschmack und Textur durch „Prozesse“ in der Küche.

Wie verändern sich Gemüse auf dem Weg von „roh“ zu „gar“, welche Zubereitungsweisen und Garmethoden gibt es und welche unterschiedliche kulinarische Wirkung haben sie? Und nicht zuletzt – wie kombiniert man am besten all diese vielfältigen Düfte aus der Natur und der Küche untereinander zu fantasievollen und wohlschmeckenden Gemüsetellern?

Aroma Gemüse

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