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4. Kapitel:Wiedervereinigung 4.1Das geteilte Deutschland
Оглавление44Mit der Errichtung zweier Verfassungsordnungen auf deutschem Boden stellte sich von Anfang an die Frage nach dem Verhältnis der Bundesrepublik und der DDR zum gesamtdeutschen Staat wie auch nach dem Verhältnis beider Teile zueinander. In der Phase des Kalten Krieges erhoben beide Seiten zunächst einen Alleinvertretungsanspruch. Im Zuge der „neuen Ostpolitik“ gab die Bundesregierung den Alleinvertretungsanspruch auf. In ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 sprach sie von den „zwei Staaten in Deutschland“.1 Nach dieser Auffassung war die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik kein Ausland; die DDR war aber im Verhältnis zur Bundesrepublik auch kein Inland, da der Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Art. 23 Satz 1 GG in der damals geltenden Fassung sich nur auf die damaligen Länder der Bundesrepublik erstreckte. Die Beziehungen zwischen Bundesrepublik und DDR wurden daher als „Beziehungen besonderer Art“ bezeichnet. Wenn Bundesgesetze die Begriffe „Inland“ und „Ausland“ verwendeten, war jeweils durch Auslegung festzustellen, ob damit das Gebiet der DDR gemeint sein konnte oder nicht.2
45Der Normalisierung der Beziehungen zueinander diente der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ (Grundlagenvertrag) vom 21. Dezember 1972.3 Inhalt des Grundlagenvertrages war insbesondere: die Entwicklung normaler gutnachbarlicher Beziehungen, der Grundsatz, dass die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Hoheitsgebiet beschränkt, ein Bekenntnis zu friedlicher Streitbeilegung und zur Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenzen.
Der Grundlagenvertrag war politisch und rechtlich umstritten. Die Bayerische Staatsregierung war der Auffassung, der Vertrag verletze ua. das Gebot der Wahrung der staatlichen Einheit Deutschlands, das Wiedervereinigungsgebot und die Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber Deutschen in der DDR; sie rief daher im Wege der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) das Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel an, das vom Bundestag beschlossene Vertragsgesetz zum Grundlagenvertrag für mit dem GG unvereinbar und deshalb nichtig zu erklären. Das Bundesverfassungsgericht befand den Grundlagenvertrag für verfassungsgemäß.4 Die Entscheidungsgründe enthalten grundlegende Ausführungen zum Fortbestand des deutschen Staates und zum Verhältnis der Bundesrepublik zur DDR5:
„Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und Staatsrechtslehre! – geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. (…) Das Deutsche Reich existiert fort (…), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. (…) Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‘Rechtsnachfolger’ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‘Deutsches Reich’, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‘teilidentisch’, so dass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. Die Bundesrepublik umfasst also, was ihr Staatsvolk und ihr Staatsgebiet anbelangt, nicht das ganze Deutschland, unbeschadet dessen, dass sie ein einheitliches Staatsvolk des Völkerrechtssubjekts ‘Deutschland’ (Deutsches Reich), zu dem die eigene Bevölkerung als untrennbarer Teil gehört und ein einheitliches Staatsgebiet ‘Deutschland’ (Deutsches Reich), zu dem ihr eigenes Staatsgebiet als ebenfalls nicht abtrennbarer Teil gehört, anerkennt. Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den ‘Geltungsbereich des Grundgesetzes’, fühlt sich aber verantwortlich für das ganze Deutschland (vgl. Präambel des Grundgesetzes). Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlin; der Status des Landes Berlin ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht als Ausland angesehen werden. Deshalb war zB. der Interzonenhandel und der ihm entsprechende innerdeutsche Handel nicht Außenhandel.“6
46Anders als die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht lehnte die Regierung der DDR die Annahme besonderer Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland ab. Der Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961, die Anordnung über die Ordnung in den Grenzgebieten und den Territorialgewässern der DDR (Grenzordnung7) von 1964 mit der Einführung von „Schutzstreifen“ und „Sperrzonen“ und die Einführung einer DDR-Staatsbürgerschaft durch das Staatsbürgerschaftsgesetz von 19678 waren unübersehbare Zeichen der Abgrenzungspolitik. Erich Honecker kennzeichnete diese Politik in seiner Rede vor Soldaten der Nationalen Volksarmee am 6. Januar 1972 so: „Es ist also völlig sinnlos, dass manche Leute in der BRD immer wieder die Platte von irgendwelchen sogenannten innerdeutschen Beziehungen auflegen. Von solchen seltsamen ‘Beziehungen’ kann keine Rede sein … Die BRD ist somit Ausland und noch mehr: sie ist imperialistisches Ausland.“9 Selbst die deutsche Nation10 wurde aus dem Vokabular der Verfassung gestrichen. Während Art. 1 Satz 1 der Verfassung der DDR von 1968 noch feststellte: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation“, lautete Art. 1 Satz 1 der Verfassung von 1974: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.“