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Solingen

Der Navigator steuerte seinen Wagen durch Straßenzüge, die ihm alle nichts sagten. Die Häuser, an denen er vorbei kam, hatten höchstens zehn Stockwerke. Nur ab und zu tauchten Gebäude auf, die man als kastrierte Wolkenkratzer bezeichnen konnte. Jedenfalls, wenn man die Gebäude seiner Heimatstadt als Vergleich heranzog. Mit der Dauer der Fahrtzeit nahm die Höhe der Häuser stetig ab. Auch der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Aber nicht viel anders als bei ihm Daheim, wenn man die City verlassen hatte. Nur, wenn man auch die Vororte hinter sich hatte, dann war man unmittelbar in der Wildnis. Hier gab es immer wieder Gebäude. Kam mal ein Waldstück, dann war man husch, husch an ihm vorüber und die nächsten Häuser tauchten auf.

Die Damenstimme des Navis, die um das Ziel seiner Fahrt wusste, führte ihn in eine Siedlung, die außerhalb des Stadtkerns von Solingen lag. Die Siedlungsfläche war schachbrettartig aufgeteilt, aber die Straßenführung war verwinkelt. Die Stadtplanung legte wohl Wert darauf, dass man hier mit dem PKW langsam fahren musste. Es waren durchgängig anderthalbgeschossige Häuser, die man hier hatte bauen dürfen. Ihre Besitzer mussten samt und sonders betucht sein. Das ein oder andere Gebäude mochte zwar noch in der Hand von Kreditunternehmen sein, aber auch um sich die monatlichen Hypothekenzahlungen leisten zu können, musste man viel Geld dafür übrig haben. Diese Siedlung existierte schon lange, denn die Büsche und Bäume zeigten mächtige Ausmaße. Er kurvte in Wohnstraßen herum, immer wieder bewachsene Inseln umrundend, als seine Wegweiserin freudig die Kempkesstege benannte und ihm kurz darauf mitteilte, am Ziele zu sein. Er ignorierte den Hinweis und lenkte den Wagen um die nächste Ecke. Er parkte den Wagen auf einer gekennzeichneten Fläche.

Die Kempkesstege 19 war ein mit weißem Bruchmarmor geklickertes Haus. Die Auffahrt war breit und bot mit einer Doppelgarage mindestens zwei Autos Platz. Im Vorgarten hatte man einen kleinen Teich angelegt, der von der Straßenseite durch eine mannshohe Hecke kaum sichtbar war. Als Gordon in die Auffahrt trat, sah er, dass aus einem Stein Wasser hervorrann, weitere Steine benetzend. Es lief wohl dorthin zurück, wo eine Pumpe es entnommen hatte. Die Anlage machte auf den Betrachter den Eindruck, dass auch hier die Besitzer trotz eventueller monatlicher Zahlungen an eine Bank nicht schlecht lebten. Es war wohl keiner zu Hause, denn trotz des wiederholten Klingelns rührte sich nichts.

Der Nachbar zur Linken kämpfte wohl möglich gegen das Unkraut in seinen Beeten. Obwohl er dem Unkraut keine Chance gab, wachsen zu können, war er wohl permanent damit beschäftigt, mögliche Ansätze sofort im Keim zu ersticken. Dabei bekam er alles mit, was um ihn herum so geschah. Wachsam strichen seine Augen rechts und links über die Wohnstraße. Gallowayy war sich nicht klar, ob dieser Zeitgenosse vorrangig im Garten war, um zu gärtnern, oder die Kontrolle über die Besucher zu behalten. Gesehen hatte der ihn längst. Der Kopf wurde von einem Strohhut beschattet. Sein strapazierter Zustand belegte beides, das Alter des Hutes und die Kompetenz seines Trägers. Der Körper steckte in einem Blaumann, der so sauber war, als könne man sich bei diesen Arbeiten nicht beschmutzen.

Gallowayy nahm den Weg zu dem Gärtner über den Bürgersteig und dessen Auffahrt. Die abwehrenden Gesichtszüge zeigten ihm, dass die Neugier des Mannes das eine war, aber die Bereitschaft Fremden sein Grundstück betreten zu lassen, war etwas anderes. Der Amerikaner musste das Eis brechen.

„Ist bei Burger keiner da?“

Das war eigentlich eine tautologische Frage, hatte er sich doch soeben von der Antwort selbst überzeugt. Er wollte ja auch nur ein Gespräch beginnen. So setzte er nach, ohne eine Antwort abzuwarten:

„Sie haben aber einen tollen Garten? Haben Sie dies gelernt?“

Das Gesicht seines Gegenübers wurde freundlicher. Die Schultern strafften sich. Wer einen solchen Sachverstand besaß, der konnte kein schlechter Mensch sein.

„So, sieht man das? Ist aber viel Arbeit! Glauben Sie mir.“

„Dies sehe ich. Kostet viel Schweiß und keiner erkennt die Arbeit an.“

Als der Gärtner stöhnte kennend, Hier schien er auf einen wissenden Leidensgenossen getroffen zu sein. Gallowayy merkte unmittelbar, dass er auf dem richtigen Wege war. Das Gartengerät Unkrautvernichter, welches anfangs wie eine Waffe gehalten wurde, wandelte sich nun zum Stützpfeiler. Sein Rückrad entlastend, lehnte sich der Nachbar auf sein Arbeitsgerät. Gallowayy hatte wenig Ahnung von Gartengewächsen, gab es doch in den vielen Parks in New York für ihn nur Pflanzen. Grün waren sie alle, einige blühten sogar. Er zeigte auf einen Rhododendron.

„Haben Sie den mit Dünger so prächtig hingekriegt?“

Er erfuhr so den Namen des eingesetzten Düngers, der ihm aber nichts sagte. Der Gärtner begann aus dem Nähkörbchen zu plaudern. Das Gespräch entwickelte sich langsam zu einem Selbstläufer. Der Amerikaner musste sich den gesamten Vordergarten anschauen. Dabei wurden ihm so viele Pflanzennamen genannt und Möglichkeiten ihrer Pflege, dass ihm bald schwindelig wurde. Hakte er einmal nach, so bot er dem Hobbygärtner nun erneut eine Gelegenheit, sein umfangreiches Wissen an den Mann zu bringen.

Der die Auffahrt nebenan hinauffahrende Pkw befreite Gordon von seiner misslichen Lage. Unter dem Vorwand, nun aber nach drüben gehen zu müssen, verabschiedete er sich. Aber zwischendurch hatte er erfahren, dass Bürger sein Geld mit Programmieren verdiente, das Haus hier vor 16 Jahren gebaut hatte. Allerdings mit seiner ersten Frau. Diese hatte sich scheiden lassen, weil ihr die Gartenarbeit über dem Kopfe gewachsen war. Da war sich der Nachbar sicher. Bürger war inzwischen wieder verheiratet. Um aber die Hypotheken und den Unterhalt zu stemmen, wohnte die Schwiegermutter mit im Haus. Eine komische Frau, die sich kaum sehen ließ und von Gartenarbeit überhaupt nichts hielt.

Die Frau, die mit zwei Stofftaschen in den Händen die Fahrertüre zudrückte, blickte kurz auf, nahm aber von ihm erst Notiz, als sie die beiden Beutel an der Haustüre abgestellt hatte. Dem Alter nach zu urteilen konnte es nicht die Schwiegermutter sein. Sie trug kurzgeschnittene Haare, die Richtung Gesicht geföhnt waren. Sie brachte kaum Sechzig Kilo auf die Waage. Gallowayy tippte, eine Sportlerin vor sich zu haben. Tennis oder Golf schätzte er. Er stellte sich mit Namen und Beruf vor. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass die Nennung seines Berufs Detektiv, in diesen Kreisen Aufmerksamkeit erzeugte. Jedenfalls bei denen, die nichts zu verbergen hatten. Als er ihr den Grund seines Besuches erklärte, bat sie ihn auf die Terrasse, wo er auf ihren Mann warten sollte. Zuerst war er sich nicht sicher, aber im Laufe der Unterhaltung zeigte sich, dass er Recht hatte. Sie lispelte, aber auf eine Weise, die letztendlich gewinnend war. Eigentlich müsste ihr Gatte ja schon dar sein, aber die Arbeitsüberlastung war ein üblicher Grund für seine Verspätung. Dann beklagte sie die Kürze der Mittagspause ihres Gatten.

Das Glas Mineralwasser nahm er gerne an. So bot sich doch so die Gelegenheit, etwas über die familiären Verhältnisse dieser Familie zu erfahren. Frau Burger wusste nichts über verwandtschaftliche Beziehungen ihres Mannes in die Staaten, war sich aber nicht sicher, da man ja erst seit drei Jahren miteinander verheiratet war. Als das Gespräch zu stocken begann, weil man nichts Wissenswertes mehr auszutauschen hatte, kam glücklicherweise ihr Gatte. Er trug eine Anzugkombination in einem dezenten Blau, die Krawatte enthielt Streifen, die gediegen aussahen und perfekt zum Anzugstoff und dem hellblauem Hemd passten. Bürger hatte ebenfalls eine sportliche Figur und der kurzgeschnittene, leicht gekräuselter Haarschnitt verrieten, dass er Programmieren eher managte, als dass er Programme selbst schrieb. Mit einem freundlichen aber nichtssagenden Willkommensgruß beugte er sich zu seiner Frau herunter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. Dann reichte er seinem unbekannten Gast die Hand. Während er sich in den Teakstuhl des Terrassenmobiliars nieder ließ, informierte ihn seine Frau über das Wesentlichste. „So, Amerikaner sind sie? Privatdetektiv aus New York? Was führt Sie zu uns?“ Lässig lehnte er sich in dem Holzstuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Der Detektiv konnte dadurch den eingestickten Schriftzug auf den dunkelblauen Socken lesen: Windsor.

Burgers Stimme klang höflich, blieb aber im Ton unverbindlich.

„Ich suche einen New Yorker, der jetzt hier in Deutschland lebt.“

„Und dann kommen Sie zu uns?“

Ein leichter Schatten machte sich in den Zügen des Gastgebers breit. Gallowayy versuchte, mit Taktgefühl die Atmosphäre beizubehalten.

„Was wir wissen ist, dass er, der Gesuchte, verwandtschaftliche Beziehungen zu einer Familie Burger hat. Gibt es in Ihrer Familie jemanden, der in den Staaten gelebt hat?“

Burgers Stirn legte sich in Falten. Er kratzte leicht mit dem Zeigefinger über die rechte Stuhllehne.

„Ich glaube nicht. Es kann aber sein, dass vor dem Zweiten Weltkrieg ...“ In seinem Gesicht legte sich ein Lächeln, als er „Wirtschaftskrise, Sie verstehen.“ einschob, um dann fortzufahren: ...ein Vetter meines Großvaters ...“

„Nein, nein!“ unterbrach Gallowayy den Hausherrn, „Das muss so in den Siebziger Jahren gewesen sein.“

„Dann kann ich Ihnen nicht helfen.“

Burgers Oberlippe verhärtete sich. Er war es nicht gewohnt, unterbrochen zu werden. Er erhob sich aus dem Gartenstuhl und reichte dem Amerikaner seine Rechte als Zeichen, dass für ihn diese Angelegenheit beendet war. Mit der Frage, was es denn zum Abendessen gäbe, wandte er sich demonstrativ seiner Frau zu und verließ seine Terrasse, ohne sich um den Fremden weiter zu interessieren. Gordon war klar, hier war er, was seine Recherche betraf, fehl am Platze.

Der Detektiv schaute auf seine Armbanduhr. Es war noch Zeit genug vorhanden, um heute noch die andere Adresse aufzusuchen, die er heute Vormittag nicht erreicht hatte. Um dorthin zu gelangen, führte ihn die Stimme der Navigatorin rund um Köln. Dieser Norbert Burger wohnte in Porz. Hatte er bislang freie Fahrt gehabt, so füllte sich die Autobahn nun. Gallowayy musste seine Geschwindigkeit drosseln. Er verblieb auf der linken Spur, kam aber nicht merklich weiter als die Fahrzeuge auf den anderen beiden Fahrbahnen. Bei dem Verkehr war es fraglich, wann er dort sein könnte. Er überlegte, ob es besser sei, den Versuch auf morgen zu verschieben, aber die Anzeige des Navigators behauptete, er ei in einer halben Stunde am Ziel. Besser war es in jedem Falle, wenn er heute schon Bescheid wusste, ob dieser Gedanke mit den Familienkontakten erfolgreich war oder nicht. Sehr erfolgreich war seine Mission bislang nicht gewesen. Er beschloss, sich telefonisch bei Hartung zu melden. Er vergrößerte den Abstand zum vorfahrenden Fahrzeug und tippte die Telefonnummer in die Tastatur. Hartung meldete sich sofort. Dieser hatte aber auch noch keine neuen Informationen. Er vertröstete seinen Auftraggeber auf den nächsten Tag, da er heute Abend noch Informationen erwartete.

Der Mann ohne Konturen

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