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Duisburg Mitte

Hartung hatte schlecht geschlafen. Diese verdammte Magensäure hatte ihm zu schaffen gemacht. Eigentlich befielen ihn diese Beschwerden in langen Zeiträumen. Gewöhnlich achtete er deshalb auch darauf, aber gestern Abend... Er hätte die Finger von der Schokolade lassen sollen. Aber es hatte in seinen Fingern gejuckt, als diese auf dem Beistelltisch lag. Er blätterte sich aus der karierten Bettgarnitur und begab sich sofort in die Senkrechte. Seine beiden Hände massierten seinen malträtierten Magen. Sein Nachbar hatte Geburtstag gefeiert. Nein, er wollte sich nicht drücken. Er setzte sich wieder auf die Bettkante. Diese Einladung passte genau in seine Empfindungen. Er hätte sonst mühselig irgendwohin zum Abendessen laufen müssen und hier bekam er es fertig kredenzt. Und die paar Bierchen? Er war kein Kostverächter. Er hielt doch das deutsche Bier für das geschmackvollste der Welt. Wegen Reinheitsgebot und so. Verdammt, dass er bei der Schokolade schwach werden musste. Er erhob sich taumelnd. Auf dem Weg zum Badezimmer stützte er sich mehrmals an der Wand ab. Von dem Spiegel schaute ihn ein Gesicht an, dass ihn zutiefst erschrak. Eingefallene Augen, die inmitten aufgedunsener Weichkörper lagen. Die Haare standen wirr vom Kopf ab. Die Haut lag faltig auf den Gesichtsknochen. Hartung rieb mit der Rechten über seinen Magen. Er rülpste. Dies brachte ihm etwas Erleichterung im Magen, in seiner Nase aber nicht.

Hartung hatte gestern so viel gegessen, dass er auf ein Frühstück verzichten konnte. Er zog seine Sachen von gestern wieder an, brühte sich in der Kochnische einen magenberuhigenden Tee und wechselte mit der dampfenden Tasse in der Hand in sein Büro.

Der Detektiv bootete seinen Rechner. Den Sessel klappte er dabei in die Relaxstellung, um den Magen nicht zusammen drücken zu müssen. Hartung schaute in sein Memoprogramm, das ihn an die täglichen Verpflichtungen erinnerte. Richtig! Dies mit der Metallfirma Kornefeld. Hier gab es Probleme mit einem Mitarbeiter des Wachdienstes. Immer wenn dieser zur Nachtschicht eingeteilt war, dann fehlte später etwas. Der Detektiv sollte heute der Firma ein Konzept vorlegen, wie man den Dieb auf frischer Tat überführen könnte. Dann war da noch der Besuch bei seiner Hausbank. Die wussten schon, wie man Gebühren erfand. Gottseidank hatte er sich schriftlich bestätigen lassen, welche Gebühren frei und welche zu bezahlen waren. Aber er würde sich das nicht gefallen lassen, was man ihm angekündigt hatte. Und dann war da noch die Verabredung mit Werner Rötthaus. Er war gespannt, was der von ihm wollte. Warum der nicht in sein Büro kam? Man würde sehen.

Hartung schaltete den Rechner aus, erhob sich vom Schreibtisch und griff zu dem Mantel, der immer noch da lag, wo der Amerikaner ihn gestern achtlos über einen Stapel mit Broschüren geworfen hatte. Mitten auf dem Weg zur Türe drehte er sich wieder um. Jetzt hätte er doch vergessen, Tilli anzurufen. Achtlos warf er den Mantel wieder über den Broschürenberg, griff zum Telefon und tippte eine Nummer in die Tastatur, die er auswendig wusste. Während er die Relais klicken hörte ging er um den Schreibtisch und versank im Lederpolster seines Sessels!

„Hallo Tilli! Wie geht es den Kindern“

„Ach, du je! Immer, wenn du nach den Kindern fragst, dann willst du was. Du verdienst dir eine goldene Nase und ich habe nur Scherereien.“

Tilli hieß eigentlich Therese, Therese Schüllkamp. Sie war alleinerziehende Mutter von zwei Mädchen. Er glaubte, sie hießen Jenny und Patrizia und waren Vier und Sechs Jahre alt. Tillis Pech war, dass ihr Mann sie wegen einer Reisekauffrau hatte sitzen lassen. Diese waren sich bei einem Urlaub in Rimini wohl näher gekommen, als geplant. Nun buchten beide ein Sonderangebot nach dem anderen. Eine solche Lebensweise war höchst kostspielig, so dass Alimentezahlungen entweder verspätet oder verkürzt eintrafen, manchmal auch gar nicht auftauchten. Ihr Verflossener hatte sich zudem armgerechnet und der Richter hatte dies auch geglaubt. So lohnte sich der Einsatz eines Rechtsanwalts nicht, wenn die Zahlung nicht erfolgte. Tilli hatte es schließlich aufgegeben, als sie auf den Rechnungen des Anwalts auch noch zweimal sitzen geblieben war. Die alleinerziehende Mutter war so immer in Geldnot. Kinder waren eh teuer und für die Betreuung während der eigenen Arbeit musste man auch flüssig sein. Und als Angestellte in der Stadtverwaltung Duisburg verdiente man nicht genug. So nutzte sie die Möglichkeit, sich den ein oder anderen Schein dazu zu verdienen.

Hartung überhörte geflissentlich die Anspielung, dass es um Nebenverdienst ging.

„Ich brauche wieder einmal deine Hilfe.“

„Nicht jetzt. Hast du noch die alte Telefonnummer? Ich melde mich gleich.“

Die Verbindung war unterbrochen. Hartung schaltete die Rufumleitung ein, erhob sich und verließ den Raum. Er überquerte den Hinterhof seines Wohngebäudes, passierte den Durchbruch in einer Mauer und befand sich sofort auf einem großen Parkplatz. Seit dem er hier wohnte, gab es diesen Zugang. Vielleicht war die Mauer deshalb sogar eingerissen worden. Er wusste es nicht, aber es war bequem, Wohnung und Parkmöglichkeit so zu koppeln.

Hartung startete seinen Opel Corsa und lenkte ihn aus der Ansammlung wildparkender Pkws auf die Straße. Kurz vor Erreichen der Nord-Süd-Achse klingelte sein Handy. Er schaltete die Freisprecheinrichtung an. Die Verbindung wurde augenblicklich hergestellt.

„Ich konnte nicht, hatte Publikum“, sagte die Frauenstimme unvermittelt.

„Schon gut.“

Hartung griff zu den Notizen, die er sich am Vortage gemacht hatte. „Waldfels, heißt er, Vorname nicht bekannt. Aber irgendetwas mit Jo, Johann, Johannes, Josef, du weist schon.“

„Ja, ja. Die Stimme klang unwillig. „Duisburg?“

„Erst einmal.“

Hartung hörte das leise Klappern einer Tastatur.

„Ja, weiter“, tönte es in seinem Ohr.

„Habe wie gesagt keinen genauen Vornamen. Walsfels hat auf der Kardinal-Gahlen-Straße gewohnt, wahrscheinlich Hausnummer 79. Aber dies war so um 1984.“

Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung fluchte.

„Mist, da gab es noch keine Rechner. Ich muss dafür in den Keller. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch schaffe. Dieses wird aber teurer. Damit du schon einmal bescheid weißt. Ich melde mich später.“

Das Trenngeräusch einer nicht mehr bestehenden Kommunikationsverbindung drang nur noch an sein Ohr. Hartung lenkte den Wagen durch den stockend fließenden Berufsverkehr. Die Anlagen des riesigen Freihafens verschwanden hinter ihm. In Meiderich verließ er die B59, um sein Gespräch mit der Firma Kornefeld zu führen.

Der Mann ohne Konturen

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