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Duisburg Walsum

Mikael Knoop hatte seinen Dienst vorzeitig beendet. Er hatte die Nase voll von der eintönigen Schreibtischarbeit. Er hatte in letzter Zeit den Eindruck, als behandele man ihn als Mädchen für Kleinkram. Sicherlich, er hatte bei seinem Dienststellenleiter van Gelderen nicht die besten Karten. Dennoch wartete Knoop auf die Gelegenheit, einen wirklich richtigen Fall übertragen zu bekommen. Jetzt wo sein Widersacher Peter Sakalewski im Krankenhaus lag, müsste die Chance, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, eigentlich größer sein. Knoop war im Grunde kein missgünstiger Mensch, aber den Bandscheibenvorfall seines stellvertretenden Chefs empfand er doch klammheimlich als Strafe Gottes, für den fiesen Charakter Sakalewski. Aber noch immer bearbeitete er Todesfälle, die offensichtlich kein Fremdverschulden zeigten, aber dennoch untersucht und protokolliert werden mussten. Jeder in der Abteilung konnte eine solche Arbeit erledigen. Warum häuften sie sich nur bei ihm? So der Tod der Rentnerin von heute. Laut Papiere war sie 79 Jahre alt. Sehen konnte man die Frau nicht mehr, weil ihre Leiche sich verflüssigt hatte. Er fand die alte Frau somit im Bett und Fußboden des Schlafzimmers ausgebreitet vor. An der körperlichen Hülle waren aber keinerlei Verletzungen festzustellen. Haustür und Fenster waren von innen verschlossen, was ein Fremdverschulden ausschloss. Zu dem bestialischem Gestank kam also noch der Bürokram dazu. Schnell hatte Knoop in Erfahrung gebracht, dass keiner der Nachbarn im Haus und in den Nachbarhäusern Kontakt mit der alten Dame gepflegt hatte, sie offensichtlich unter Einsamkeit litt. Die Gerichtsmedizin hatte ein Herzversagen infolge von Unterernährung diagnostiziert. Die Pathologin wollte sich aber bei dem Zustand der Leiche im Moment nicht endgültig festlegen. Keiner hatte sich um das Wohl der Alten gekümmerte, Keiner sie zum regelmäßigen Essen und Trinken angehalten. So war sie seiner Vermutung nach eines Tages, der Todeszeitpunkt war nicht mehr genau bestimmbar, lag aber schon drei Wochen zurück, nicht mehr aufgestanden und war im Bett verstorben. Sicherlich eine menschliche und soziale Katastrophe, aber eine kriminologische Herausforderung war dies nicht. Auch der Sturz in den Brunnen, den Knoop zu bearbeiten hatte, war ein Unfall und der Sprung vor den Schnellzug war ein Selbstmord, weil keine anderen Hinweise zu ermitteln waren. Nur die Randerscheinungen waren alles andere als angenehm. Die Unfalleiche stank, wie die der alten Frau und der Selbstmord bedingte das Einsammeln von Leichenteilen. All dies waren keine Fälle, auf deren es zeitlich in irgend einer Form ankam. Was er heute nicht machte, dies wurde eben morgen erledigt. Kein Hahn krähte danach, wer wie die Angelegenheit zu Ende brachte. Auch in den Zeitungen waren, wenn überhaupt, diese Ereignisse nur fünf Zeilen wert. Es sei denn, durch so einen Selbstmord brach stundenlang der Fahrplan der Duisburger Verkehrsbetriebe zusammen. Dann wurde darüber berichtet. Nicht über die Polizeiarbeit, sondern über die Warteschlangen und den Unmut der Fahrgäste.

So hatte er sich also heute den Dienst selbst verkürzt, war nach Hause gefahren, hatte seine Sportsachen gepackt und war nun auf dem Weg zum Volleyball. Heute hatte er genügend Zeit, sich auf die zwei Stunden Sport vorzubereiten. Er hatte sich vorgenommen, seine Aufwärmphase statt durch Runden in der Sporthalle diesmal durch einen Dauerlauf im nahen Grüngürtel von Walsum zu gestalten. Dann würde er einige Sprungtechniken üben können, bevor der Trainer eintraf.

Er war tatsächlich der Erste. Er zog sich um und verstaute seine Zivilsachen in seinem Wandschrank. Er machte gerade vor draußen vor der Sportstätte einige Lockerungsübungen vor seinem geplanten Dauerlauf, als ein Audi 100 in silbermetallic Lackierung in die Parkbucht der Sportanlage einbog. Das war Jens Hasslinghaus, der Vorsitzende des VV Walsum. Mikael wunderte sich, was den so früh hierher brachte.

Hasslinghaus war Systemtechniker bei der Deutschen Telekom. Knoop meinte zu wissen, dass er graduierter Informatiker war. Hasslinghaus hatte ein schönes und beknacktes Leben zugleich. Schön war das Leben, wenn die Computer seiner Kunden, die er betreute, alle funktionierten. Er lebte die meiste Zeit seiner Arbeit auf Abruf. Dann konnte er quasi machen, was er wollte: Zu Hause bleiben, Einkaufen, Sport treiben. Spielte aber ein Computer verrückt, dann war Hasslinghaus Tag und Nacht gefordert. Dieses war die beknackte Seite seines Berufs. Dann fragte keiner danach, ob er fünfzehn Stunden arbeitete und nur zu fünf Stunden Schlaf kam um dann erneut stundenlang weiterarbeiten zu müssen. Das, was die Rechner steuerten, war höchst kostenintensiv, ging schnell in die Millionen Euro. Ein fieberhaftes Ingangsetzen war dann Gegenstand seiner Tätigkeit. Dazu kam, dass alle aufgeregt waren: Die Mitarbeiter seines Kunden, deren Kunden und schließlich auch sein Chef. Alle lagen ihm dann in den Ohren. Dies bedingte, Nerven wie Drahtseile zu haben. Und Knoop konnte sich an keine Situation erinnern, bei der Jens Hasslinghaus die Geduld verloren hätte. Für diese Ruhe beneidete Knoop ihn. Ja, er war für ihn ein Vorbild. Vieles, was er von Jens gelernt hatte, konnte er erfolgreich in seinem Beruf umsetzen. Denn in Vielem gleichen sich ihre beiden Berufe. Auch Knoop kannte Phasen geringer Anspannung, so wie im Moment. Geschah aber ein spektakulärer Mord, dann spielte alles verrückt: Die Medien, die Öffentlichkeit, die Betroffenen und letztendlich die Politiker und Vorgesetzten. Auch in einem solchen Fall galt es Ruhe zu bewahren. Mit geregelter Arbeitszeit konnte man dann Keinem kommen. Hier Hasslinghaus als Beispiel zu kennen, war ein gewaltiger Vorteil.

Sie begrüßten sich durch Abklatschen ihrer offenen Hände. Nachdem beide sich gegenseitig berichtet hatten, was sie im Moment vorhatten, griff der Vorsitzende zu seiner Sporttasche, ließ sie aber aus geringer Höhe wieder fallen.

„Miki, was ich dich schon immer fragen wollte ...“

Knoop brach den Start zu seinem Erwärmungslauf ab und kam erneut auf Hasslinghaus zu, ohne etwas zu erwidern, signalisierte aber Interesse, was da auf ihn zukommen würde.

„Miki, was ich dich fragen will. Kannst du dir vorstellen, Vorstandsarbeit zu übernehmen? Weißt du, ich frage lieber vorher, dann kann ich dem Vorstand und den Mitgliedern jemanden vorschlagen, der bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen und der dazu auch geeignet ist. Ich könnte mir vorstellen, dass du mit deiner Art und Weise, wie du mit den Kollegen umgehst, dazu geeignet bist.“

Mikael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Mit Speck fängt man Mäuse. Zuerst Loben, damit ein Dummer dann leichter die Arbeit macht.“

„Ich glaube, dies siehst du falsch. Deine Dummen, die können immer arbeiten. Die müssen dafür nicht im Vorstand sein. In unseren Vorstand gehören Köpfe. Natürlich muss man auch bereit sein anzufassen. Vorbildfunktion, du verstehst? Aber wir brauchen Leute mit Ideen.“

Hasslinghaus griff Mikael an den Oberarm und führte ihn ein wenig zur Seite.

„So geheimnisvoll“, fragte Mikael.

„Muss ja noch keiner wissen, Ich verlasse mich dabei auch auf deine Verschwiegenheit. Unser Kassierer scheidet bei der nächsten Mitgliederversammlung aus. Er zieht aus beruflichen Gründen nach Brunsbüttel um. Verständlicherweise kann er dann nicht mehr sinnvoll unsere Kasse verwalten. Der Beisitzer Jürgen Rohde ist bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Aber wir brauchen nun einen neuen Beisitzer und da habe ich an dich gedacht.“

Knoops Gesicht wurde bei den Ausführungen seines Vorsitzenden immer nachdenklicher.

„Muss ich mich jetzt festlegen Jens? Ich würde das gerne mit Christel besprechen, aber es ehrt mich, dass du mir einen solchen Posten zutraust.“

„Kein Problem.“ Hasslinghaus wollte sich gerade wieder zu seiner Sportasche bücken, als er zögerte und sich wieder aufrichtete. „Da ich dich gerade am Schlips habe. Am nächsten Samstag haben wir eine Einladung zu einem Freundschaftsspiel. Drei Spiele mit anschließendem Grillen. Kannst du mitmachen?“

Knoop zögerte erneut. Ich muss Christel fragen, ob wir da etwas vorhaben. Ist ja etwas kurzfristig.“

„Auf unserer Homepage steht dieses Turnier aber schon zwei Wochen.“

Knoop fiel ein, dass er es versäumt hatte, auf die Homepage des Vereins zu schauen, eine Homepage, die Hasslinghaus selbst geschaffen hatte.

„Du, das muss ich übersehen haben.“

„Bis Donnerstag muss ich Bescheid wissen.“

„Du Jens, ich rufe dich an, wenn ich heute mit Christel gesprochen habe.“

„Miki, dann weißt du ja auch mehr über den Vorstandsposten.“

Knoop nickte und schaute auf seine Uhr. „Schade, jetzt ist es für mein Warmup an der frischen Luft zu spät. Jetzt bleiben mir nur die Runden in der Sporthalle.“

Jans grinste über beide Ohren. „Ja Miki, jetzt lernst du schon die Belastungen von Vorstandsarbeit kennen.“

Der Mann ohne Konturen

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