Читать книгу Der Mann ohne Konturen - Volker Buchloh - Страница 8
ОглавлениеDuisburg Meiderich
Gallowayy fand nach längerem Suchen doch noch eine Parklücke. Die Straße war mit älteren Häusern umsäumt. Die Fassaden hatten lange keine Farbe mehr gesehen. Jedes Haus hatte drei bis vier Etagen. Manche Fenster hatten eine Umrandung die beigeputzt war. Diese Stilelemente waren Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts zeitgemäß und für Häuser reicher Bürger üblich. Dadurch verrieten sie, dass sie schon bessere Bewohner beherbergt hatten, als die jetzigen. Die meisten Häuser hatten alle moderne Eingangstüren. Nur die wenigsten waren aus Holz mit filigranen Schnitzereien versehen. Aber an der Pflege dieser Holzarbeiten fehlte es allenthalben. So, wie die Gebäude heute aussahen, konnten die Mieten hier nicht hoch sein. Unabhängig davon konnte sich aber wohl jeder ein Auto leisten, denn die Rinnsteine waren fast alle zugeparkt. Der Amerikaner wechselte die Straßenseite und verschwand nach kurzem Blick auf die Hausnummer in einem Türeingang. Das Tageslicht zeigte, dass der Treppenaufgang schon lange nicht mehr gestrichen worden war. Die einzige Dekoration waren Sprüche, die werdende Künstler an die Wände gemalt oder gesprüht hatten. In der zweiten Etage fand er das Türschild, welches er suchte.
Erst nach dreimaligem Klingeln öffnete sich die Wohnungstüre. Eine Geruchswolke aus billigem Fetter reichte ihn schon, bevor jemand auftauchte. Im Türspalt erschien eine Frau so um die Zwanzig mit ungemachten Haaren. Gallowayy war sich nicht sicher, ob das Blond ihre richtige Haarfarbe war. Ihre linke Hand hielt einen hellblau geblümten Bademantel zusammen. Der teilweise sichtbare Büstenhalter war weiß, aber nicht sauber. So, wie er an der Figur hing, verriet Gallowayy, dass er sie bei irgendetwas gestört haben musste. Das verwischte Make up bestätigte seinen Eindruck. Ihre Stimme klang deshalb wohl recht ungehalten:
„Wat wolense?“
„Kann ich Ihren Vater sprechen, ist er da?“, fragte er höflich.
Die Frau im Bademantel drehte sich um zu dem schlauchförmigen Flur, der nur durch eine offene Türe an der linken Seite des Ganges erhellt wurde. Die mit Blumendekor versehene Tapete war abgegriffen und nicht wert, beleuchtet zu werden. Mit Erleichterung in der Stimme rief sie in die Wohnung: „Werner, da will jemand deinen Alten sprechen.“
Begleitet von einem Geschimpfe erschien ein Mann in dem Türspalt, schubste seine Frau zur Seite, die wiederstrebend in den Hintergrund verschwand. Er hatte mit Gel sein schütteres Haar über dem Kopf zu Stacheln toupiert. Beide Daumen waren in den Hosenträgern verhakt, unter denen ein ärmelloses Unterhemd sichtbar wurde. Auch dieses zeigte, dass in dieser Familie an Waschpulver gespart wurde. An der Stelle, die das Hemd frei gab, erschienen die Brüste einer eintätowierten Frau auf seiner linken Schulter.
„Wat willse?, fragte er ungehalten.
Gallowayy wollte etwas und so ignorierte er die offensichtliche Unhöflichkeit des Tätowierten.
„Kann ich bitte Ihren Vater sprechen?“
„Da kommen Sie aber etwas zu früh“, höhnte die Stimme, „Mein Alter ist schon über fünf Jahre tot.“
„Dies tut mir leid“, murmelte der Amerikaner, merkte aber zugleich, dass eine Entschuldigung bei seinem Gegenüber ohne Eindruck blieb. Er wollte aber den Faden der Kommunikation nicht mehr aus der Hand geben und so setzte er, unbeeindruckt über die offensichtliche Unfreundlichkeit, nach. Er griff in seine Manteltasche und zog die Mitschrift, die er am Rechner erstellt hatte hervor, ohne allerdings auf den Inhalt genauer einzugehen.
„Haben Sie nicht einen Onkel in den Vereinigten Staaten? Ich bin im Urlaub hier und soll sie von ihm recht herzlich ...“
„Seit wann hast du denn einen Onkel, und dann noch in Amerika? Davon hast du mir gar nichts erzählt.“
Die Frau drängte sich wieder in den Türspalt. Sie hatte sich einen gestreiften Pullover übergezogen, der nicht nur ihre Körbchengröße A betonte, sondern auch die Speckfalten um ihre Hüften trefflich sichtbar machte.
„Gibt es was zu erben?“, setzte die Frau interessiert nach.
Barsch wurde sie wieder außer Sichtweite gedrängt.
„Quatsch! Bisse doof? Verschwinde!“ Der Mann hob seine rechte Hand, um zu unterstreichen, wozu er gewillt war, wenn seine Frau nicht gehorchte.
Die Frau war es wohl gewöhnt, so angesprochen zu werden. Während sie sich grummelnd in den hinteren Teil der Wohnung zurückzog, drehte der Mann wieder die Schulter mit der barbusigen Tätowierung dem Besucher zu:
„Ich habe keinen Onkel und einen in den USA schon überhaupt nicht. Willse mir `ne Zeitung andrehen. Ich kenn alle Eure Tricks! Alle!“ Beide Arme bewegten sich wie Scheibenwischer hin und her.
Gallowayy murmelte ein „Entschuldigung“ und drehte sich kommentarlos um. Hier war er nicht richtig. Alles weitere war reine Zeitverschwendung. Auf dem nächsten Treppenabsatz zog er eine Marlboroschachtel aus seiner Hose, entnahm ihr eine Zigarette und ein Einwegfeuerzeug. Erst, nach dem er zweimal den Rauch tief inhaliert hatte, legte er den Weg zum Wagen zurück.
Auch die zweite Adresse in Duisburg war Zeitverschwendung. Die Gegend sah alleine dadurch freundlicher aus, weil es hier mehrere grüne Flecken gab. Aber auch hier reihte sich Haus an Haus, nur waren diese Gebäude neueren Datums. Die Fassaden waren teils gefliest, teils mit abgesetzten Farben dekoriert. Dafür waren sie aber wesentlich länger in ihrer Straßenfront. Zwar verdächtigte man ihn hier nicht, Haustürgeschäfte zu betreiben, aber der dort wohnende Heinz Bürger war über Siebzig, hatte nur eine Schwester und fluchte nur über die Amis, die letztendlich nichts anderes zu tun hätten, als Kriege zwischen den friedliebenden Völkern anzuzetteln.
Nach einem Blick auf seine Armbanduhr beschloss Gallowayy, für heute Schluss zu machen. Im Moment würde er doch nichts mehr erreichen. Er hatte heute noch nicht Richtiges gegessen. Er verspürte Hunger nach einem gebratenen Stück Fleisch mit Eiern und >husch Browns<. Das Letztere würde er hier im >Ruhr Distrikt< wohl nicht bekommen, aber zumindest den Kaffee, mit dem er alles herunterspülen würde.